Familie und Beruf: Ständiger Balanceakt
Viele Alleinerziehende stehen beruflich und gesellschaftlich im Abseits. Mehr als ein Drittel der Alleinerziehenden verdient weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens in Deutschland.
Julia hatte einen Plan für ihr Leben. Erst die Schule fertigmachen, dann eine Ausbildung, in den Job starten und irgendwann eine Familie gründen, in einem Häuschen im Grünen leben. Doch der Plan geriet jäh ins Wanken, als Julia unverhofft schwanger wird, noch bevor sie ihre Ausbildung zur Rechtsanwaltsfachangestellten beenden kann. Dann zerbricht auch noch die Beziehung zum Vater ihres Sohnes. Als die Elternzeit sich dem Ende zuneigt, ist Julia verzweifelt. Wie soll es weitergehen als Alleinerziehende ohne Berufsausbildung?
„Ich wusste, dass ich kaum Chancen bei den Firmen habe“, sagt Julia. Doch schließlich bekommt die 24-Jährige einen Platz im Projekt „Mütter an den Start“ des SOS-Berufsausbildungszentrums Berlin. Die Initiative vermittelt ihr eine Ausbildung zur Bürokauffrau. Das alles in Teilzeit und so organisiert, dass ihr Sohn nicht zu kurz kommt. Zudem bekommt Julia Bewerbungstrainings und ein Coaching, damit sie trotz Kind und ohne Partner Chancen auf dem Arbeitsmarkt hat. Die Jobcenter unterstützen das Projekt.
Julia ist eine von rund 1,6 Millionen Alleinerziehenden in Deutschland. Sie stehen noch stärker als Paare unter dem Druck, Beruf und Kindererziehung zu meistern. „Die Existenzsicherung, sich selbst und die Kinder finanziell durchzubringen, das steht für die meisten Alleinerziehenden im Vordergrund“, sagt Elisabeth Küppers, Projektleiterin beim Verband alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV). Der Verdienst aus dem Job reicht meist gut für eine Person. Aber mit Kindern wird es schwierig, Miete, Essen, Kleidung, Versicherungen und Freizeit finanziell zu stemmen. Viele Alleinerziehende würden sich vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen fühlen, sagt Küppers.
Die Chancen auf einen Karrierejob sind gering
Eine Studie des gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung bestätigt diese Erfahrung. Mehr als ein Drittel der Alleinerziehenden verdient weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens in Deutschland. Für die Statistiker liegt die Einkommensschwelle bei knapp unter 1000 Euro pro Monat. Sie gelten als armutsgefährdet. Betroffen sind weit über 500 000 Menschen aus dieser Zielgruppe.
Für Küppers liegen die Ursachen für die schlechte finanzielle Lage der Alleinerziehenden zum einen darin, dass oft kein oder nur wenig Unterhalt für die Kinder gezahlt wird. Zum anderen fassen viele nur schwer Fuß auf dem Arbeitsmarkt. Da kein Partner im Notfall einspringen kann, wenn die Kinder krank sind oder früher aus Kita und Schule abgeholt werden müssen, sind die Aussichten auf einen Karrierejob nicht immer rosig.
Die Folge: Viele – vor allem Frauen – entscheiden sich für schlechter bezahlte Teilzeitjobs. „Ständige Erreichbarkeit und flexible Einsätze sind bei vielen Alleinerziehenden nicht drin“, sagt Küppers. Chefs, die solche Anforderungen an ihre Mitarbeiter stellen, würden sich daher häufig zurückhalten, Mütter und Väter einzustellen, die die Kindererziehung größtenteils alleine bewältigen.
Die Einstellung dieser Arbeitgeber stößt bei Küppers auf wenig Verständnis. „Diese Mitarbeiter sind meist bestens organisiert und vor allem hochmotiviert.“ Sie fordert ein schnelles Umdenken in der Wirtschaft. Nicht zuletzt weil die Betriebe auf qualifiziertes Personal nicht länger verzichten könnten. „Zudem sind die meisten Alleinerziehenden bestens vernetzt, sie brauchen nur ein bisschen mehr Flexibilität“, sagt Küppers.
Schwesig setzt Steuerentlastungen für Alleinerziehende durch
Denn Müttern und Vätern ohne Partner bleibt schließlich keine andere Wahl, als auf die Unterstützung von Freunden, Verwandten, anderen Kita-Eltern oder die Angebote von Beratungsstellen zurückzugreifen. Küppers’ Verband appelliert zudem an die Politik, eine Grundsicherung für Kinder einzuführen. Knapp 600 Euro monatlich pro Kind würden etliche Alleinerziehende vor der Armutsfalle bewahren, heißt es in einer Stellungnahme.
Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) hat sich die Nöte der Alleinerziehenden längst auf ihre politische Agenda geschrieben. Doch ihr Anliegen stößt in der großen Koalition nicht nur auf offene Ohren. Erst vor wenigen Wochen einigte sich die Bundesregierung auf Steuererleichterungen für Mütter und Väter, die ihre Kinder alleine großziehen. Demnach soll der Entlastungsbetrag in diesem Jahr um 300 Euro erhöht werden und 2016 um weitere 300 auf dann 1908 Euro. Für das zweite und jedes weitere Kind werden jeweils 240 Euro mehr als bisher von der Steuer freigestellt.
Für die Opposition ist der Vorstoß ein erster Schritt. „Kinder zu haben, heißt nicht, zum Sozialfall zu werden“, sagt Franziska Brantner, kinder- und familienpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion. „Für alle sollte Teilhabe möglich sein.“ Sie spricht sich für eine grundlegende Reform von Kindergeld und Kinderfreibeträgen aus. Doch politische Entscheidungen dazu liegen noch in weiter Ferne.
Der Workshop „Familienstand: Alleinerziehend – Herausforderungen und Chancen für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und am Arbeitsmarkt“ findet am 17. Juni von 16.30 bis 18 Uhr statt.
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