Grünen-Parteitag: Die Grünen werden noch gebraucht
Der Druck war enorm, aber die Grünen haben sich auf ihrem Parteitag zusammengerauft. Und eine Antwort auf die Frage gegeben, wofür die Partei steht. Ein Kommentar.
Der Druck, unter dem die Grünen vor ihrem Parteitag standen, war enorm: maue Umfragewerte seit Anfang des Jahres, aus Sicht vieler Bürger ein unklares Profil – und an der Spitze mit Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir ein Duo für die Bundestagswahl, von dem einige sagen, es sei langweilig und zu angepasst. In den vergangenen Monaten hörten die beiden immer wieder die Frage: Wofür braucht es die Grünen eigentlich noch?
Am Wochenende hat die Partei darauf eine Antwort gegeben. Die Grünen haben klar gemacht, was sie durchsetzen wollen, sollten sie im September eine Chance zum Regieren bekommen: Abschalten der 20 schmutzigsten Kohlekraftwerke, Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor und der industriellen Landwirtschaft. Dazu die Ehe für alle, keine Obergrenzen in der Flüchtlingspolitik und Milliardeninvestitionen in Kitas und Schulen als Bedingung für eine Koalition.
Die Grünen haben sich damit für die Strategie entschieden, die sie auch im Bundestagswahlkampf 1998 verfolgt haben. Bevor sie damals in die rot-grüne Regierung gingen, nannten sie Gerhard Schröder den Preis für eine grüne Regierungsbeteiligung. Wohl wissend, dass man in einer Koalition dann an anderer Stelle schmerzhafte Zugeständnisse machen muss.
Mit erkennbarem Profil in den Wahlkampf
Sich ein erkennbares inhaltliches Profil zu geben, ist für die Grünen auch deswegen so wichtig, weil sie in diesen Wahlkampf mit einer bisher nicht dagewesenen Offenheit für eventuelle Partner ziehen. In ihrem Wahlprogramm erklären sie klipp und klar, dass sie mit allen Parteien außer der AfD reden würden. Die Parteitags-Delegierten sind nicht der Versuchung erlegen, Koalitionen von vornherein auszuschließen. Bemerkenswert ist, dass von insgesamt 2200 Änderungsanträgen nur zwei Koalitionsfragen betrafen. Sowohl die Forderung, Bündnisse mit der CSU abzulehnen als auch sich auf Rot-Rot-Grün festzulegen, wurden von einer Mehrheit abgeschmettert.
Die Grünen wissen, dass Koalitionsverhandlungen in keinem Fall einfach würden. Egal, ob es um Rot-Rot-Grün, Schwarz-Grün oder Jamaika mit der CDU und der FDP ginge. Doch die Offenheit für unbequeme Bündnisse ist dem Realismus geschuldet, dass es für Rot-Grün mit ziemlicher Sicherheit wieder nicht reichen wird. In die Opposition wollen die Grünen deswegen aber nicht automatisch gehen. Vielleicht ist der Kurs auch der Erkenntnis geschuldet, dass die Zeiten klassischer Lager vorbei sind. Viele Auseinandersetzungen laufen längst nicht mehr zwischen rechts und links, sondern zwischen den Polen autoritär und liberal.
Die Grünen haben sich zusammengerauft
Den Grünen ist es am Wochenende gelungen, sich zusammenzuraufen. Das liegt auch daran, dass die Spitzenkandidaten mit Leidenschaft für mehr Klimaschutz, ein weltoffenes Europa und eine freiheitliche Gesellschaft geworben haben. Göring-Eckardt und Özdemir, denen gelegentlich vorgeworfen wird, gegenüber der Bundesregierung und speziell der Kanzlerin zu zahm aufzutreten, haben Angriffslust gezeigt – und die Delegierten mitgerissen.
Natürlich kam auch dieser Parteitag nicht ohne nervige Tagesordnungsdebatten aus. Und natürlich haben einige Basis-Mitglieder darauf bestanden, noch kleinere Änderungen in den Zehn-Punkte-Regierungsplan zu verhandeln, den Göring-Eckardt und Özdemir vor dem Parteitag vorgelegt haben. Von einem Aufstand gegen das Spitzenduo war das jedoch meilenweit entfernt.
Die Partei stellt sich hinter die Spitzenkandidaten
Das liegt auch daran, dass sich die anderen Grünen-Promis an die Seite der Doppelspitze gestellt haben: Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann genauso wie der Kieler Umweltminister Robert Habeck oder Claudia Roth, die Ikone des linken Flügels. Jetzt müssen sie den Schwung des Parteitags nutzen, um auch die Wähler zu begeistern. Dafür haben die Grünen an diesem Wochenende zumindest die Grundlage gelegt.