Fraktionsklausur in Weimar: Die Grünen werden grundsätzlich
Die Grünen-Fraktion berät über die Oppositionsrolle und die eigene Zukunft. Informell geht es auch um den Führungsanspruch von Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter.
Der Start ins neue Jahr war für die beiden Grünen-Fraktionschefs holperig, doch nun wollen sie wieder Tritt fassen: Selbstbewusst reklamieren Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter die Rolle als führende Oppositionskraft für sich – auch als kleinste Fraktion im Bundestag. Oppositionsführer sei, wer die besten Konzepte vorlege und die Regierung am stärksten kontrolliere, sagte Hofreiter zum Beginn der Klausurtagung seiner Fraktion in Weimar. Bestärkt fühlen kann er sich durch Umfragen, die den Grünen momentan die beste Oppositionsarbeit bescheinigen.
Auf der Tagesordnung des dreitägigen Treffens stehen die Themen Zusammenhalt der Gesellschaft, Digitalisierung, Erinnerungskultur, Frauenrechte und Europa. Aber natürlich geht es bei der ersten größeren Klausur in dieser Wahlperiode auch um die künftige Rolle der Grünen im Bundestag. Und, zumindest informell, um den Führungsanspruch ihrer beiden Vorsitzenden.
Den müssen Göring-Eckardt und Hofreiter in diesen Tagen untermauern, schließlich stehen sie seit Wochen im Schatten der neuen Parteichefs. Zum einen, weil Annalena Baerbock und Robert Habeck bei den Grünen die Sehnsucht nach einem Neuaufbruch verkörpern. Aber auch, weil das neue Grünen-Duo die Debatte über ein neues Grundsatzprogramm der Partei geschickt nutzte, um aus der Parteizentrale heraus immer wieder neue Anstöße zu geben – wie zuletzt Habeck mit der Forderung nach einer Plastiksteuer.
Göring-Eckardt und Hofreiter hingegen lösen in ihrer Partei bei weitem nicht dieselbe Euphorie aus. Bei ihrer Wahl als Fraktionsvorsitzende im Januar erhielten sie nur 66 und 68 Prozent der Abgeordneten-Stimmen. Auch beim Parteitag wenig später lief es nicht besser: Göring-Eckardt schaffte es bei den Parteiratswahlen erst im zweiten Anlauf, in das Gremium gewählt zu werden – obwohl sie als Spitzenkandidatin einen ordentlichen Wahlkampf hingelegt hatte und auch als Verhandlungsleiterin der Grünen bei den Jamaika-Sondierungen einen guten Job machte. Auch Hofreiter, sonst der Parteitagsliebling des linken Flügels, schnitt bei der Wahl nicht besonders gut ab.
Manch einer hätte Cem Özdemir gerne weiter in der ersten Reihe gesehen
Offenbar waren die mittelmäßigen Ergebnisse auch eine Quittung derjenigen, die damit haderten, dass für den langjährigen Parteichef Cem Özdemir in der neuen Führungsriege kein Platz mehr frei war. Manch einer hätte den bekanntesten Grünen-Politiker, der die Partei gemeinsam mit Göring-Eckardt in die Bundestagswahl geführt hatte, gerne weiter in der ersten Reihe gesehen. Dass Göring-Eckardt und Hofreiter ihm nicht den Fraktionsvorsitz überließen, nahmen einige ihnen übel. Spekulationen, in der Mitte der Wahlperiode könne es nochmal einen Wechsel an der Fraktionsspitze geben, lassen bisher noch nicht nach.
Doch erst einmal wollen die beiden Fraktionsvorsitzenden nun auch intern einiges umkrempeln – womöglich auch ein Versuch, wieder aus der Defensive zu kommen. Die Abgeordneten der Bundestagsfraktion sollen künftig weniger ihre eigenen fachpolitischen Schrebergärten beackern, sondern gemeinsam wieder stärker an den großen Fragen arbeiten. Sechs Zukunftslabore haben die Chefs dafür eingerichtet: von der neuen sozialen Frage über gerechte Globalisierung bis zum Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen. In den Laboren solle interdisziplinär und innovativ diskutiert werden, schrieben Göring-Eckardt und Hofreiter vor kurzem in einer Mail an die Grünen-Abgeordneten. Und „gerne auch kontrovers über die großen Herausforderungen unserer Zeit“.
Die Fraktion habe „prallgefüllte Schubladen“ mit Konzepten, heißt es dort weiter. Schon zum vierten Mal in Folge ist die Ökopartei im Bund in der Opposition gelandet, seit dem Ausscheiden aus der Regierung 2005 sind unzählige Gesetzentwürfe produziert worden, die bisher nicht umgesetzt wurden. „Wir glauben, dass es sich lohnt, jetzt erneut grundsätzlich zu werden“, stellen Göring-Eckardt und Hofreiter nun fest. Wegen der Digitalisierung, weil die ökologische Krise sich weiter zuspitze, aber auch wegen der zunehmenden Zerrissenheit der Gesellschaft.
In den Zukunftslaboren solle es auch darum gehen, innere Widersprüche in den grünen Positionen zu beleuchten, sagt Hofreiter. Der Vorschlag sei bei den Abgeordneten „überwiegend sehr gut“ angekommen, aber natürlich habe es auch Irritationen gegeben. Hofreiter hält den Ansatz dennoch für richtig: „Man muss auch in der Lage sein, eigene Positionen angesichts der Umbrüche in Frage zu stellen.“