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Die Bedürftigkeitsprüfung der geplanten Grundrente droht die Koalition zu spalten.
© Frank May/dpa

Die Groko verspekuliert sich: Die Grundrente ist nicht die Schicksalsfrage für Deutschland

Altersarmut ist zwar ein großes Problem. Doch Union und SPD machen gar nicht den Eindruck, dass es ihnen um eine zukunftsweisende Lösung geht. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Anna Sauerbrey

Die große Koalition hat sich vertagt. Die beiden Regierungsparteien wollen noch einmal tief Luft holen, um am Sonntag den Streit um eine Grundrente mit (so will es die CDU) oder ohne Bedürftigkeitsprüfung (so will es die SPD) final auszufechten. Dass bis dahin noch irgendjemandem ein neues Argument einfällt, ist sehr unwahrscheinlich.

Darum geht es auch nicht. Neu ist aber die politische Kulisse, vor der das Grundrentendrama aufgeführt wird: In der SPD und zunehmend auch in der CDU sind durch miserable Wahlergebnisse und Führungsstreitigkeiten die Anreize gewachsen, die Groko platzen zu lassen. Die Atempause wird also vor allem dazu genutzt werden, darüber zu streiten, ob die Bedürftigkeitsprüfung die nötige Grundsätzlichkeit hat, um einen Koalitionsbruch zu verargumentieren – also ob sie als Abrissbirne taugt.

Am Montag ließen sich beiden Fraktionen (taugt/taugt nicht) schon recht klar identifizieren: SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil zum Beispiel wurde humanitär-grundsätzlich und sagte, es dürfe nicht sein, dass Menschen bei Behörden „betteln“ müssten.

In der Union pumpte mancher die Bedürftigkeitsprüfung zur ordnungspolitischen Frage auf: JU-Chef Tilman Kuban erklärte, eine Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung sei „der Einstieg in das bedingungslose Grundeinkommen“. CSU-Chef Markus Söder hingegen findet, dies sei kein Thema, an dem man eine Regierung scheitern lasse.

Die Armen von morgen

Aber mal abgesehen von der interessierten Pseudogewichtung: Entscheidet die Grundrente mit oder ohne Bedürftigkeitsprüfung über das Gelingen der Groko-Sozialpolitik?

Richtig ist: Altersarmut ist ein gravierendes Problem. Richtig ist auch, dass man trotzdem belegen sollte, dass man eine staatliche Leistung wirklich braucht. Insgesamt aber verkleinert ein Makel die Bedeutung des Projekts: Die Grundrente steht für genau jene Reparaturpolitik der großen Koalition, die es einfach nicht schafft, irgendwie „groß“ auszusehen.

Die Grundrente folgt, jahreszeitlich passend, dem Sankt-Martin-Prinzip der Sozialpolitik. Sankt Martin kommt vorbeigeritten, sieht ein soziales Problem (ein Bettler friert) und antwortet mit spontaner Alimentation: Er gibt dem Bettler eine Hälfte seines Mantels. Noch besser aber wäre es natürlich, die Grundlagen dafür zu schaffen, das morgen weniger Bettler am Wegesrand sitzen.

Probleme der Zukunft schon heute angehen

Wer die Armen von morgen sein werden, ist eigentlich schon klar. Es sind zum Beispiel die heutigen Geringverdiener, die es nicht schaffen, für das Alter vorzusorgen, indem sie Aktien oder Wohnraum kaufen. Es sind die neu zugereisten Migranten, für die es immer noch kein massives Integrationspaket gibt. Oder die vielen Schüler, die an den Schulen noch nicht ausreichend auf die digitale Wirtschaft vorbereitet werden.

Die Groko hat einen Digitalpakt für Schulen beschlossen, und dass Paketdienstleister für ihre Subunternehmer haften, wenn die den Mindestlohn umgehen, und das Gute-Kita-Gesetz. Das sind erste Ansätze, die Armut von morgen zu verhindern. Zum kleinen Karo der großen Koalition zählt aber, dass sie insgesamt mehr an den Folgen vergangener Politik herumdoktert, als die Probleme der Zukunft schon heute anzugehen.

Von daher fällt es sehr schwer, jenen zu folgen, die die Grundrente mit oder ohne Bedürftigkeitsprüfung nun zu einer Schicksalsfrage für Deutschland stilisieren wollen.

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