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Die Polizei hat seit den Übergriffen in der Silvesternacht ihre Präsenz am Hauptbahnhof in Köln verstärkt.
© dpa/Oliver Berg

Debatte um Flüchtlinge und die Übergriffe von Köln: Die gespaltene Nation

Nach Köln scheint in Deutschland die Fähigkeit zum differenzierten Diskutieren verloren gegangen zu sein. Die Folge ist eine Lagerbildung, die in ihrer Radikalität neu ist. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Lorenz Maroldt

Irgendwo zwischen den Bildern von ertrunkenen Kindern an Europas Küsten und Jagdszenen auf der Kölner Domplatte scheint in Deutschland die Fähigkeit zum differenzierten Diskutieren verloren gegangen zu sein – oder vielleicht fällt es auch nur jetzt so besonders drastisch auf.

Beunruhigend ist dabei weniger die Bereitschaft zur leidenschaftlichen Meinungsäußerung, das hat eine lange Zeit sogar eher gefehlt in der vermeintlichen Konsensgesellschaft. Gefährlich aber ist der zunehmende Hang zur selektiven Wahrnehmung von Ereignissen und Nachrichten – sowie die bedingungslose Bereitschaft, diese jeweils passend zur freiwilligen persönlichen Programmierung zu dramatisieren oder zu nivellieren. Nicht der Honig im Kopf ist das Problem, sondern der Beton, der da angerührt wird.

Die Folge ist eine Lagerbildung, die in ihrer Radikalität neu ist. Hart geführte Debatten hat es zwar auch früher gegeben, und oft waren sie sogar deftiger als zuletzt in der deutschen Politik üblich. Aber spürbar ist heute eine geradezu manische Beschäftigung mit allem, was die eigenen Vorurteile bestätigt, und zugleich eine Abschottung vor allem, was sie erschüttern könnte. Die Frage ist nicht mehr: Wie lauten deine Argumente?, sondern: Bist du auf meiner Seite oder der anderen? Was oft genug bedeutet: Bist du für Flüchtlinge oder gegen sie?

Wie absurd diese Frage und auch jede Antwort darauf ist, geht inzwischen unter im allgemeinen Wechselspiel zwischen übertriebener Provokation und ebensolcher Empörung. Ein richtiger und gerade deshalb – weil nicht stimmig zum sonstigen Bild – als falsch empfundener Zwischenton kann dazu führen, in einem der beiden Lager verortet, oder besser: eingesperrt zu werden. Wer das nicht will, hält sich lieber zurück – eine Deformation der öffentlichen Meinungsbildung, die in ihrer Wirkung giftig ist.

Wer immer schon antizipiert, was andere mit den eigenen Gedanken oder Erkenntnissen machen, wer ahnt, wie andere diese Gedanken – pars pro toto – entwenden und für die eigenen Zwecke missbrauchen, äußert sie möglicherweise schon bald nicht mehr, ja, bekommt sie vielleicht gar nicht erst.

Es ist beinahe amüsant, wie sehr die Kommentare die These des Autors bestätigen.Kaum haben sie den Text gelesen, brüllt es aus ihnen hinaus. Es sind vor allem Emotionen und hier Aggressionen, die aus den Worten der Meisten sprechen, nicht die Logik, die Differenzierung.

schreibt NutzerIn stefano1

Die Vielfalt innerhalb eines Mediums gerät unter Druck

Das Bild einer Gesellschaft, die in zwei verbarrikadierte Lager zerfällt, trügt deshalb. In Wahrheit ist sie zutiefst erschüttert – auch von der eigenen Unsicherheit und zuweilen auch von der eigenen Angst. Das aber macht sie immer weniger offen und immer verkrampfter.

Mit der eigenen Meinung, dem eigenen Blick Beifall von der anderen Seite bekommen, oder überhaupt von einer Seite, einem Lager, kann plötzlich zu einem Reputationsschaden führen: „Das sagen die Rassisten auch“, „das sagen die linken Gutmenschen auch“, das nützt diesen, das jenen – es ist ein Graus für jede Diskussion.

Auch in den Medien ist das zu spüren, gipfelnd in der tastenden, die Selbstzweifel offenbarenden Frage eines Senders an die Zuschauer, wie man denn, bitteschön, nun umgehen soll mit den Ereignissen von Köln. Als ob sich in wenigen Wochen oder Monaten die Grundlagen für einen freien, unabhängigen Journalismus geändert hätten.

Geändert haben sich allerdings die Bedingungen, unter denen er stattfindet. Die Angriffe und Vorwürfe, mit denen Journalisten konfrontiert werden, sind immer seltener verbunden mit der Erwartung einer Entgegnung, einer inhaltlichen Verteidigung, Erklärung oder Auseinandersetzung, sondern zunehmend mit der ultimativen Aufforderung, einer bestimmten Richtung zu folgen, respektive sie nicht zu berücksichtigen. Oft reicht es schon, eine dem Leser, Zuhörer oder Zuschauer missliebige Stimme oder unerwünschte Meinung nur zu zitieren, um den Bruch herbeizuführen.

Die Medienvielfalt gerät auf diese Weise nicht in Gefahr – wer will, findet für jede Meinung, für jede Haltung eine passende Publikation. Aber die Vielfalt innerhalb eines Mediums gerät unter Druck – und damit letztlich auch die Fähigkeit, zuzuhören, dazuzulernen, offen zu bleiben: für eine besondere Situation, eine neue Erkenntnis, ein anderes Argument.

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