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Soldaten sperren die Straße zum Parlament in Naypyidaw ab. Erinnerungen an ein halbes Jahrhundert Militärdiktatur werden wach.
© REUTERS

Militärputsch in Myanmar: Die Generäle greifen wieder nach der ganzen Macht

Das Militär putscht, Regierungschefin Aung San Suu Kyi wird festgesetzt. Ist es ein Poker oder geht es zurück in dunkle Junta-Zeiten?

Es war ein Coup mit Ansage, aber die meisten hatten die Drohungen des Militärs nicht wirklich ernst genommen. Schließlich hatten sich die Generäle und ihre langjährige Widersacherin, De-facto-Regierungschefin Aung San Suu Kuyi in den vergangenen fünf Jahren sehr zum Leidwesen vieler Minderheiten scheinbar recht gut verstanden.

Doch am Montag in aller Früh krachte es: Das Militär holte sich die Macht zurück, setzte die Friedensnobelpreisträgerin fest und verhängte den Ausnahmezustand. Nach ersten Ankündigungen für ein Jahr. Als Grund nannte die neue Führung um Armeechef Min Aung Hlaing, dass die Wahl am 8. November gefälscht worden sei.

Es solle Neuwahlen geben, versprachen sie später. Man sei dem „demokratischen Mehrparteiensystem“ verpflichtet. Das allerdings hat es in dem asiatischen Land auch bisher noch nicht gegeben.

Die Generäle haderten seit der Wahl mit dem Ergebnis

Das Ergebnis der Wahl vom 8. November hatten die Generäle nie akzeptiert. Sie forderten eine Überprüfung. Auch andere hatten Zweifel an der Unabhängigkeit der Wahlkommission, sie hatten den Eindruck, dass die frühere Demokratieikone Suu Kyi Menschen in bestimmten Gegenden unter Hinweis auf die Sicherheit nicht wählen ließ, in anderen Konfliktregionen, die ihrer Nationalen Liga für Demokratie (NLD) nahestanden, aber sehr wohl.

Vor allem fiel der Sieg der NLD mit 83 Prozent noch höher aus als vor fünf Jahren, als die Lady, die lange Jahre unter der Militärjunta in Hausarrest und Haft zubringen musste, erstmals wieder zur Wahl gestanden hatte. Das war trotz all ihrer verbrieften Privilegien ein Schlag fürs Militär.

Der Oberbefehlshaber übernimmt

Die Generäle bedienten sich nun einer Klausel in der Verfassung zur so genannten kontrollierten Demokratie, die sie sich 2008 rund um den verheerenden Zyklon Nargis hatten von der Bevölkerung absegnen lassen. Demnach kann der Vizepräsident, ein Militär, die Macht übernehmen, wenn die Demokratie unterwandert werde.

Myint Swe hat die Verantwortung mit dem Notstand sofort an den Oberbefehlshaber der Armee, Hllaing, weitergereicht, der nicht zuletzt wegen des Genozids an den muslimischen Rohingya (so nennen es die Vereinten Nationen)  auf internationalen Sanktionslisten steht. Aung San Suu Kyi und ihre NLD riefen zum (friedlichen) Widerstand auf und warnten vor der Rückkehr zur Diktatur.

Die UN, die USA, Australien, die EU und auch Außenminister Heiko Maas (SPD) forderten die Freilassung der Festgesetzten und die Rückkehr zur Demokratie. China, mit dem das Land gute Kontakte pflegt, hielt sich bedeckt. Wer außer der Tochter des Nationalhelden alle festgehalten wird und wo, war erst einmal unklar.

Aung San Suu Kyi und ihre NLD riefen zum (friedlichen) Widerstand auf und warnten vor der Rückkehr zur Diktatur.
Aung San Suu Kyi und ihre NLD riefen zum (friedlichen) Widerstand auf und warnten vor der Rückkehr zur Diktatur.
© imago images/ZUMA Wire

45 Personen sollen festgenommen worden sein, andere sind abgetaucht 

Nach Angaben des Menschenrechtsbüros sollen es 45 Personen sein. Manche, die auf einer entsprechenden Liste genannt wurden, standen offensichtlich nicht unter Arrest. Andere verstecken sich nach Informationen aus Rangun aus Angst vor einer Verhaftung. Einen Überblick zu bekommen, war auch für internationale Beobachter schwierig.

Viele Menschen hatten vergangene Woche noch Witze darüber gemacht, wie das Militär mal wieder merkwürdige Statements verbreite. Diese Art des Umgangs mit unübersichtlichen Situationen haben sich viele Menschen schon während der langen Zeit der Diktatur zugelegt. Viele wussten schon vor der Ansage im Militärsender, dass es einen Putsch gegeben hat. Internet, Telefone, Mobiltelefone gingen plötzlich nicht.

Kein Geld mehr von der Bank

Mitarbeiter der Stiftung für die Freiheit berichteten ihrem Chef Frederic Spohr von langen Schlangen vor den Banken. Niemand konnte Geld holen, die Institute seien geschlossen, die Automaten funktionierten nicht, berichtete Spohr dem Tagesspiegel am Telefon aus Bangkok. Seine Mitarbeiter sollen erst einmal zu Hause bleiben, nicht nur im Homeoffice. Die Supermärkte waren geöffnet, sollten aber um 18 Uhr Ortszeit schließen.

Bernt Berger, für die Friedrich-Ebert-Stiftung in Myanmar, bekam um fünf in der Früh einen Anruf. Der Büroleiter sitzt am Montag in einem Quarantänehotel in Rangun, er ist erst am Freitag zurückgekommen. Der Fernsehbildschirm auf dem Zimmer ist seit morgens eingefroren, zeigt er im Zoom-Call. Sehr beunruhigt wirkt der Asienkenner nicht.

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„Ich habe meiner Zentrale schon gesagt, egal, was passiert, ich bleibe.“ Er kennt Myanmar unter den Generälen, hat Kontakte zu NLD, Militär und den jüngeren Parteien. Für Berger handelt es sich um einen „Putsch light“. Er blieb auch während der Coronazeit im Land.

Ihre Anhänger nennen sie „Mama Suu“

Dort konnte er beobachten, wie die international inzwischen scharf kritisierte Lady bei der Mehrheit der Birmanen zu „Mama Suu“, der Landesmutter, avancierte. Sie konnte ihren Einfluss trotz aller Beschränkungen geschickt ausbauen. Sie darf nicht Präsidentin werden, weil ihr Mann Brite war, wie auch ihre Söhne es sind.

Im Parlament bekam die NLD vor den Wahlen ihre Forderung, das Vetorecht des Militärs aus der Verfassung zu streichen zwar erwartungsgemäß nicht durch. Die Generäle dürfen weiterhin ohne Wahl 25 Prozent der Abgeordneten stellen, zusätzlich gibt es mit der USDP eine ihr nahe stehende Partei, und sie besetzen drei Schlüsselministerien. Aber die Aktion der NLD war eine Machtprobe.

Das Militär bekam schließlich einen gewünschten Nachtragsetat nicht. Das schlechte Abschneiden der USDP, so sieht es die International Crisis Group, zeigte deutlich, dass deren Vertreter nicht als Partei der Zukunft, sondern der Vergangenheit gesehen werden.

Suu Kyis selbstbewusste Verteidigung Myanmars vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag wegen des unmenschlichen Umgangs mit den muslimischen Rohingya sowie ihr entschlossenes Handeln in der Coronakrise haben ihr bei ihren Anhängern kräftig Punkte eingebracht. Viele kämpfen inzwischen ums tägliche Überleben sie wünschen sich Sicherheit. Die versprechen sich viele von der selbstbewussten Suu Kyi, die den Generälen so viele Jahre ihres Lebens getrotzt hatte.

Auch ethnische Parteien sind frustriert

Wegen des „winner-takes-all“-Prinzips schafften es auch die ethnischen Parteien nicht, Sitze zu erlangen, um wenigstens als Königsmacher zu fungieren. Mancher Beobachter rechnete deshalb damit, dass die vielen gewaltsamen Konflikte wieder ausbrechen. Denn der Friedensprozess kam trotz anders lautenden Versprechen der NLD seit 2015 kaum voran.

Optimisten hoffen, dass es sich „nur“ um eine weitere Runde im Machtpoker handelt. Es gibt unter den (Ex-)Militärs durchaus Fachpolitiker, die etwas von ihren Gebieten verstehen. Und: Einige Ex-Generäle haben sich als „Zivilisten“ inzwischen lukrative Unternehmen aufgebaut.

Die lohnen sich aber nur, wenn das Land nicht wieder von der Welt abgeschottet wird. Sie dürften also kein Interesse an einem Rückfall in die dunklen Zeiten der Militärjunta haben. Doch eine Prognose, wie es nach dem Putsch weitergeht, wagt erst einmal niemand.

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