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Das Jahr 2015 hat bei der Europäischen Union Spuren hinterlassen - und 2016 wird nicht minder herausfordernd für die Staatengemeinschaft.
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2016 für die Europäische Union: Die EU muss einen Härtetest bestehen

Das Jahr 2016 hält für die EU erneut viele Bewährungsproben bereit – vom drohenden Austritt Großbritanniens bis zum Erstarken der Rechtspopulisten. Was kommt auf die Europäer 2016 zu?

Eine Prognose für 2016 kann man jetzt schon wagen: Leichter wird das Geschäft für die Europäische Union auch im neuen Jahr nicht. Auf die EU und ihre Mitgliedstaaten wartet in den kommenden zwölf Monaten, in denen zunächst die Niederlande und ab Juli dann die Slowakei den Ratsvorsitz übernehmen, ein ganzes Bündel an Herausforderungen. Ein Überblick.

Kommt es zum „Brexit“?

Der drohende Austritt Großbritanniens aus der EU stellt im neuen Jahr wohl das größte politische Minenfeld für die Gemeinschaft dar. Käme es zum „Brexit“, wären die Folgen für die EU gravierend. Ein Abschied der drittgrößten EU-Volkswirtschaft von der Gemeinschaft könnte einen Auflösungsprozess der gesamten Europäischen Union in Gang setzen. Wie fragil die EU derzeit ist, hat im zurückliegenden Jahr vor allem die Flüchtlingskrise deutlich gemacht.

Eine wichtige Wegmarke für Großbritannien ist der EU-Gipfel am 18. und 19. Februar. Hier soll eine Einigung über die britischen Sonderwünsche gefunden werden, die wiederum dem bevorstehenden EU-Referendum den Weg ebnen soll. Sowohl der britische Regierungschef David Cameron als auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wollen einen „Brexit“ verhindern. Bislang ist aber unklar, wie sich die EU-Partner bei einem zentralen Punkt aus Camerons Forderungskatalog einigen wollen: Der Premier will erreichen, dass EU-Ausländer in Großbritannien vier Jahre lang von bestimmten Sozialleistungen ausgeschlossen werden können. Offen ist derweil, wie eine solche Regelung, die eine Diskriminierung von EU-Ausländern gegenüber den Briten darstellen würde, ins Werk gesetzt werden soll.

Luxemburg und die Niederlande - milliardenschwere Steuervermeidung als Geschäftsmodell. Ungarn und Polen hebeln die Kernbestandteile der Demokratie aus. Brüssel stellt die Interessen der Lobbys über die seiner Bürger. Es könnte sein, dass ein Europa, wie wir es uns vorstellen, schon verspielt ist.

schreibt NutzerIn wilhelm

Beim letzten EU-Gipfel im Dezember wurde darüber spekuliert, dass das Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der EU bereits im kommenden Juni stattfinden könnte. Für den Ausgang der Volksabstimmung sind indes nicht nur die Details eines Brüsseler Deals zwischen Cameron und seinen Partnern entscheidend. Eine wichtige Rolle spielt auch der Kurs der gesamten Ministerriege in London: Falls sich einzelne Skeptiker unter Camerons Ministern für die Anti-EU-Kampagne stark machen sollten, könnte sich das Blatt zugunsten der „Brexit“-Befürworter wenden.

Wie geht es weiter mit den Flüchtlingen?

Die Flüchtlingskrise wird die EU wohl auch in diesem Jahr einer Zerreißprobe aussetzen. Bleibt es bei den hohen Flüchtlingszahlen, dann dürfte sich auch die innereuropäische Auseinandersetzung zwischen aufnahmebereiten Ländern wie Deutschland und Flüchtlings-Verweigerern wie Ungarn weiter verschärfen.

In Brüssel sind mehrere Schritte geplant, die zu einer Entschärfung der Krise beitragen sollen. So wollen sich die Staats- und Regierungschefs bis Juni über einen europäischen Grenz- und Küstenschutz verständigen, der Staaten wie Griechenland notfalls auch gegen deren Willen unterstützen soll. Allerdings ist der Vorschlag der EU-Kommission umstritten, weil er einen Eingriff in die Souveränität der Mitgliedstaaten bedeutet. Der Sicherung der EU-Außengrenzen dient ebenfalls der verstärkte Dialog zwischen den EU-Staaten und der Türkei, der im neuen Jahr fortgesetzt werden soll.

Gerade in der Flüchtlingskrise rächt es sich einmal mehr, dass es nur die Geldklammer EURO als gemeinsames EU-Projekt gibt.Es gibt keine ausreichende Konvergenzpolitik zur Angleichung der Lebensverhältnisse.

schreibt NutzerIn 2010ff

Darüber hinaus steht eine Reform der Dublin-Regelung auf der Agenda. Die Regelung ist nicht mehr haltbar, weil sie Länder wie Italien und Griechenland überfordert. Dem Dublin-System zufolge müssten die Asylverfahren eigentlich in Ländern wie Griechenland und Italien abgewickelt werden, wo die Flüchtlinge meistens ankommen. Das System ist aber Makulatur, seit über die Ägäis in Griechenland ankommende Flüchtlinge über die Balkanroute Richtung Deutschland weiterziehen. Eine Reform soll diese neuen Lage berücksichtigen: EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat beim letzten EU-Gipfel im Dezember zugesichert, im ersten Halbjahr 2016 Vorschläge zur Überarbeitung der Dublin-Regelung und zur legalen Einwanderung in die EU vorzulegen.

Allerdings mahlen die Mühlen der EU in der Flüchtlingskrise langsam – anders als in Zeiten der Euro-Rettung, als Rettungsschirme quasi über Nacht entstanden. Vor allem in der Frage einer gerechten Verteilung der Flüchtlinge stehen der EU 2016 voraussichtlich noch quälende Debatten ins Haus. Dass die EU bei der Verteilung der Schutzsuchenden kaum vorankommt, zeigt sich vor allem an zwei Zahlen: Von den 160 000 Flüchtlingen, die in den kommenden zwei Jahren den europäischen Beschlüssen zufolge von Italien und Griechenland aus in andere Länder gebracht werden sollen, waren Ende 2015 faktisch erst 266 umverteilt worden. Völlig unklar ist, wie unter diesen Voraussetzungen ein dauerhafter verbindlicher Verteilmechanismus im Kreis der EU-Mitgliedstaaten mehrheitsfähig werden kann, wie ihn Angela Merkel befürwortet. Für die Kanzlerin bleibt es indes entscheidend, dass es in der Flüchtlingspolitik europaweit zu einer fairen Lastenverteilung kommt. Der Grund: Ohne ein gewisses Maß an Solidarität seitens der EU-Partner dürfte ihr Kurs auch in Deutschland nur schwer zu vermitteln sein. Doch mit einem Durchbruch ist vorerst nicht zu rechnen. EU-Kommissionschef Juncker erklärte im Dezember, er sei nicht sehr optimistisch, dass es 2016 in puncto Flüchtlingsverteilung viel besser werde.

Kommt es zu einer Neuauflage der Griechenland-Krise?

Um Hellas ist es zuletzt ruhig geworden. Das könnte sich allerdings schon bald ändern. Denn zu Beginn des neuen Jahres hat die Regierung in Griechenland gleich einen dicken Brocken bei den mit den Gläubigern verabredeten Reformen zu bewältigen: Im Januar steht im Athener Parlament die Abstimmung über die Rentenreform an. Die Regierung von Alexis Tsipras verfügt unter den 300 Abgeordneten nur über eine Mehrheit von 153 Parlamentariern. Trotz der knappen Mehrheitsverhältnisse muss Tsipras die Rentenreform aber unter Dach und Fach bringen. Schließlich gilt die Runderneuerung des kostspieligen Rentensystems, das in Hellas neben der Altersversorgung bislang auch zur sozialen Grundsicherung genutzt wird, in den Augen der Gläubiger als wichtiger Prüfstein. Im letzten Sommer hatten sich die Geldgeber mit Griechenland auf ein drittes Hilfspaket mit einem Volumen von 86 Milliarden Euro geeinigt, die im Gegenzug zu Reformen fließen sollen. Seit August sind davon bislang 21,4 Milliarden Euro aus dem Krisenfonds ESM an Athen ausbezahlt worden.

Neben der Rentenreform muss Tsipras zu Beginn des Jahres weitere Steuererhöhungen durchs Parlament bringen. Sie gehören ebenfalls zu den Auflagen der Geldgeber. Angepeilt sind zusätzliche Einnahmen für den Fiskus in Höhe von insgesamt 150 Millionen Euro. Die Landwirte müssen sich dabei nach jetzigem Stand auf Steuererhöhungen mit einem Volumen von 30 Millionen Euro einstellen – und haben dagegen bereits lautstark protestiert.

Aber nicht nur unter den griechischen Landwirten grummelt es. Laut einer Mitte Dezember veröffentlichten Umfrage sind 84,5 Prozent der Griechen unzufrieden mit Tsipras’ Regierung. Da sich die wirtschaftliche Lage nicht bessert, blicken die meisten Hellenen pessimistisch in die Zukunft. Am Ende des achten Rezessionsjahres in Folge gehen 85,5 Prozent der Griechen der Umfrage zufolge davon aus, dass ihnen die härtesten Einschnitte noch bevorstehen. 41 Prozent sind fest davon überzeugt, dass ihr Haushaltseinkommen weiter sinken wird. Um den Rückhalt in der Bevölkerung wieder zu festigen, könnte Tsipras erneut auf einen Konfrontationskurs gegenüber den Gläubigern gehen. Eine Neuauflage der Griechenland-Krise ist daher 2016 möglich.

Spaltet Russland die EU?

Die Strafmaßnahmen der EU gegen Russland sind zunächst bis Ende Juli 2016 verlängert worden. Die Sanktionen waren eine Reaktion auf die russische Annexion der Schwarzmeerhalbinsel Krim im März 2014. Ob die Sanktionen über den kommenden Juli hinaus noch ein weiteres Mal verlängert werden, ist offen. Denn zunehmend werden in der EU Stimmen für einen Russland-freundlichen Kurs laut. So hatte der italienische Regierungschef Matteo Renzi beim letzten Gipfel im Dezember eine Diskussion über die Russland-Politik der Europäer angezettelt. Zwar trug auch Renzi am Ende die Verlängerung der Russland-Sanktionen mit – aber Italien gehört zu jenen EU-Ländern, die sich im zurückliegenden Jahr für eine Abkehr von der harten Linie gegenüber Moskau stark gemacht haben. Dagegen wird in osteuropäischen EU-Ländern wie Polen eine mögliche Aufhebung der Sanktionen kritisch gesehen.

Ob Mitte 2016 die Russland-Sanktionen tatsächlich fallen, hängt letztlich davon ab, ob Moskau das Minsker Friedensabkommen erfüllt. Die Vereinbarung vom Februar 2015 sieht unter anderem einen Waffenstillstand für die Ukraine vor. Nach einer Waffenruhe sieht es aber derzeit nicht aus. Am Ende des alten Jahres warf der ukrainische Staatschef Petro Poroschenko den prorussischen Rebellen vor, immer öfter gegen die Waffenruhe zu verstoßen.

Erschwerend kommt hinzu, dass sich seit der Jahreswende die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Russland und der Ukraine wieder verschlechtert haben. Moskau hat zum 1. Januar den Freihandel mit dem Nachbarland ausgesetzt. Mit dem Schritt protestiert Russland gegen das Inkrafttreten des Freihandelsabkommens zwischen der EU und Kiew – eben jene Vereinbarung, die der damalige ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch vor gut zwei Jahren nicht unterzeichnen wollte. Die folgenden Proteste hatten seinerzeit zum Sturz der prorussischen Regierung in Kiew geführt.

Zerbricht die EU wegen des Erstarkens rechtsextremer Parteien?

Trotz ihrer unterschiedlichen Ausprägungen haben die populistischen Parteien in der EU – ob es sich nun um die polnische PiS oder die britische Ukip handelt – einen gemeinsamen Nenner: die Ablehnung der Europäischen Union. Im Lager der Europa-Gegner wird im Jahr 2016 voraussichtlich die Ukip ihren Einfluss am deutlichsten geltend machen. Die Ukip, die den Austritt Großbritanniens aus der EU befürwortet, ist zwar keine Regierungspartei. Aber die Volksabstimmung im Vereinigten Königreich dürfte dem Ukip-Chef Nigel Farage die Gelegenheit geben, den britischen Premier Cameron vor sich her zu treiben – mit der möglichen Folge, dass die Verhandlungen zwischen London und den übrigen europäischen Partnern über eine Neuordnung der EU-Beziehungen in eine Sackgasse geraten.

Spannend wird 2016 auch in den Niederlanden und in Frankreich. In den beiden Ländern dürften im neuen Jahr die bevorstehenden Wahlen ihre Schatten vorauswerfen. In Frankreich stehen 2017 Präsidentschaftswahlen an, und in den Niederlanden ist im selben Jahr die nächste Parlamentswahl vorgesehen. In beiden Fällen wird mit einem starken Abschneiden der Rechtspopulisten gerechnet. Deren Europa-Programme ähneln einander: Die Chefin des französischen Front National (FN), Marine Le Pen, fordert Frankreichs Euro-Austritt, während der Vorsitzende der niederländischen Freiheitspartei, Geert Wilders, gleich der gesamten EU den Rücken kehren möchte. Der Unterschied zwischen den beiden: Der FN-Chefin Marine Le Pen werden in der entscheidenden Stichwahl beim Rennen um die Präsidentschaft in Frankreich nach jetzigem Stand keine Chancen eingeräumt. Wilders verbucht hingegen derzeit in den Umfragen in den Niederlanden die meisten Stimmen.

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