Ölembargo gegen Russland: Die EU bietet ein verheerendes Erscheinungsbild
EU-Ratschef Michel strebt beim Gipfel einen Formelkompromiss zum Ölembargo an. Dennoch wird sichtbar: Die einheitliche Linie der EU bröckelt. Ein Kommentar.
Die EU bietet in diesen Tagen ein Trauerspiel. Fast vier Wochen ist es inzwischen her, seit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vollmundig ihren Plan für den Stopp russischer Öllieferungen verkündete. Ein Ölembargo gilt als das wirksamste Mittel, um dem Kremlchef Wladimir Putin den Geldhahn zuzudrehen.
[Alle aktuellen Nachrichten zum russischen Angriff auf die Ukraine bekommen Sie mit der Tagesspiegel-App live auf ihr Handy. Hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen.]
Mehrere hundert Millionen Euro überweisen die EU-Staaten jeden Tag an Russland, um die Importe zu bezahlen. Doch die Schwierigkeiten, einen endgültigen Beschluss über ein Ölembargo hinzubekommen, belegen den mangelnden Willen der EU, Putin weiter gemeinsam die Stirn zu bieten.
In erster Linie ist Ungarns Regierungschef Viktor Orbán für das verheerende Erscheinungsbild der Gemeinschaft verantwortlich. Zwar gibt es in Ungarn ganz objektiv Probleme, die noch aus der Sowjetzeit stammende Energieinfrastruktur schnell zu erneuern und alternative Lieferwege bei den Erdöllieferungen jenseits der „Druschba“-Pipeline zu schaffen. Doch dies allein erklärt noch nicht das politische Pokerspiel, das Orbán in den letzten Wochen veranstaltet hat: Mit den zeitlichen Übergangsfristen, die Ungarn den Bezug russischen Öls bis Ende 2024 ermöglichen würden, war Orbán nicht zufrieden. Statt dessen sattelte er noch finanzielle Forderungen obendrauf.
Das ursprüngliche Ziel von der Leyens wird verwässert
Damit Orbáns peinliche Blockade nicht allzu sehr ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerät, hatte EU-Ratschef Charles Michel das geplante Ölembargo zunächst noch nicht einmal auf die Tagesordnung des Sondergipfels gesetzt, der zu Beginn der Woche in Brüssel tagt. Das ändert aber nichts daran, dass es derzeit kein wichtigeres Thema für die Staats- und Regierungschefs der EU gibt. Deshalb strebte Michel zumindest doch einen Formelkompromiss an: Im Grundsatz sollen alle Staaten ein Ölembargo unterschreiben – nur soll Pipeline-Öl, wie es Ungarn bezieht, vorübergehend vom Lieferstopp ausgenommen sein. Damit wäre aber das ursprüngliche Ziel der Kommissionspräsidentin von der Leyen verwässert, einen vollständigen Bann auf russische Öllieferungen zu verhängen. Und selbst dieser Kompromiss ging Orbán zu weit: Bevor man über weitere Sanktionen gegen Russland rede, müssten Lösungen für die künftige ungarische Energieversorgung gefunden werden, forderte er zum Auftakt des Gipfels.
Neben Ungarn verlangen auch andere Staaten Ausnahmen
Eines steht in jedem Fall schon fest: Die einheitliche Linie, welche die 27 EU-Staaten seit dem Beginn der russischen Aggression vor drei Monaten bei ihren verschiedenen Sanktionsrunden bis jetzt durchgehalten haben, bröckelt gewaltig. Dabei ist Ungarn nicht der einzige Staat in der EU, der eine Sonderregelung erwartet, wenn es darum geht, ab welchem Zeitpunkt russisches Öl nicht mehr fließen soll. Auch die Slowakei, Tschechien und Bulgarien fordern längere Übergangsfristen.
Auf der anderen Seite peilt die Bundesregierung auch ungeachtet eines EU-Beschlusses ohnehin bis Jahresende einen Ausstieg aus russischen Öllieferungen an. Damit könnte ein hoher politischer Preis für die Bundesregierung verbunden sein. Die Risiken des Ausstiegs aus russischem Öl sind hoch: eine unsichere Perspektive für die Raffinerien in Schwedt und Leuna und die Gefahr eines weiteren Inflationsschubs. Dennoch ist es richtig, dass die Bundesregierung zumindest bei der Diskussion um das Ölembargo ihre Bremserrolle in der EU aufgegeben hat, wenn sie schon bei der Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine zögert.
Die EU wird sich derweil darauf einstellen müssen, dass dies nicht der letzte Test für die Einigkeit sein wird, den Putins Krieg heraufbeschwört. Ein wochenlanges Gezerre um das Ölembargo, wie es zuletzt zu besichtigen war, sollten sich die 27 Staaten der Gemeinschaft kein zweites Mal leisten.