Christchurch und das Internet: „Das Netz nützt den Rechtsextremen“
Der Attentäter von Christchurch radikalisierte sich wohl im Netz. Theresa Locker von "Motherboard" im Interview über antidemokratische Aspekte des Internets.
Frau Locker, der islamfeindliche Anschlag in Christchurch – welche Rolle spielt das Internet bei der Radikalisierung von Terroristen?
Radikale Menschen können sich leicht vernetzen. Ihre Gedanken transportieren sie zum Teil durch Übertreibung und Ironisierung, Gewaltfantasien werden durch Witze normalisiert. Ob dann etwas ernst oder nicht ernst gemeint ist, kann kaum noch unterschieden werden.
Rechtsextreme machen sich also spezifische Eigenschaften des Netzes zunutze?
Das Netz nützt den Rechtsextremen. Würden sie in der analogen Öffentlichkeit ihre Hetze verbreiten, könnte man ihnen Hausverbot erteilen. Das geht im Netz nicht so einfach. Dort kann man sich schnell ein neues Profil zulegen. Außerdem lassen sich bestimmte Diskussionen durch „Trolling“ im Netz sabotieren.
Grundsätzlich erreichen sämtliche Ideologien, Meinungen oder Lehren etc. jeden im Internet. Das ist der Standard der Zeit. Dass nicht nur genehme Informationen Verbreitung finden, versteht sich von selbst.
schreibt NutzerIn Lanarkon
Instrumentalisieren Rechtsextreme den Charme des Anarchischen im Netz für ihre Zwecke?
Absolut. Die Attraktivität des Anarchischen war immer ein Kernelement des Netzes. Das ist durch dessen Aufteilung in fünf oder sechs Großkonzerne etwas verloren gegangen, bleibt aber wichtig. Diese Aussicht auf eine regellose, in gewisser Weise auch egalitäre Gesellschaft bedeutet, dass man sich anders geben kann als im echten Leben – im Zweifel auch extremer. Eine alte Karikatur im „New Yorker“ gilt bis heute: Im Internet weiß niemand, dass du ein Hund bist.
Regellos und egalitär – das war mal links.
In dieser Entwicklung gibt es auch ein destruktives und antidemokratisches Element. In manchen unmoderierten Sammelbecken finden Menschen zusammen, die Frauen hassen, Ausländer hassen und all ihren Hass uneingeschränkt ausleben.
Das Video, mit dem der Attentäter von Christchurch seine Verbrechen gefilmt hat, ist immer noch im Umlauf. Lässt sich das nicht verhindern?
Nicht ganz. Es gibt zu viele anonyme Möglichkeiten, es hochzuladen. Illegale Inhalte kann man auf Internetservern im Ausland speichern. Verbote haben bei Drogen nicht geklappt, bei Waffen nicht und nicht bei der Kinderpornografie.
Allerdings zeichnet sich eine technische Lösung ab: Man kann von einem Bild oder Video die Prüfsumme errechnen, und wenn diese Prüfsumme irgendwann im System wieder auftaucht, kann das Bild schon beim Hochladen blockiert werden. Dadurch lässt sich die Verbreitung bestimmter Inhalte sehr stark einschränken.
Theresa Locker ist Redakteurin beim Webmagazin „Motherboard“. Das Interview führte Malte Lehming.