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Außenminister Heiko Maas bei der Lateinamerika- und Karibik-Konferenz.
© Ralf Hirschberger/dpa

Annen fordert Umdenken: „Die deutsche Politik hat Lateinamerika zu wenig beachtet“

In Südamerika gibt es gerade viele Krisen. Doch die Bundesregierung setzt auf die Region, sagt Niels Annen, Staatsminister im Auswärtigem Amt, im Interview.

Angesichts anderer Regionen mit noch größeren Krisen setzen gerade auch deutsche Unternehmen und die Bundesregierung große Hoffnungen in eine Vitalisierung der Beziehungen zu Lateinamerika – auch um das Feld nicht China zu überlassen, dass durch Kredite versucht, die Länder in Abhängigkeit zu bringen. Und weil die demokratisch regierten Länder auf der internationalen Bühne gebraucht werden, um Autoritarismus und Nationalismus entgegen zu wirken. Im Interview mit dem Tagesspiegel erläutert der Lateinamerika seit langem verbundene Staatsminister im Auswärtigen Amt, Niels Annen (SPD) seine Einschätzungen der Lage.

Herr Annen, das Auswärtige Amt hat in diesem Jahr eine große Lateinamerika-Initiative gestartet, nun gibt es gerade in Südamerika so viele parallele Krisen wie lange nicht mehr. Was läuft schief?
Kein Kontinent ist so stark durch eine ungerechte Verteilung des Reichtums geprägt wie Lateinamerika. Die staatlichen Institutionen sind vielerorts schwach. Bildung, Transport und Lebenshaltung sind für viele Menschen zunehmend unerschwinglich. Dass sich dagegen Protest regt, ist aber auch ein Ausdruck lebendiger demokratischer Kultur in der Region. Die Gleichzeitigkeit der Proteste ist sicherlich besorgniserregend. Gewaltsame Proteste lehnen wir ab, ebenso wie das teilweise überharte Vorgehen von Polizei und Militär. Gerade in diesen spannungsreichen Zeiten ist unsere Lateinamerika- und Karibik-Initiative wichtig. Denn wir teilen viele Grundwerte und zahlreiche internationale Interessen mit den Ländern Südamerikas.
Kein Land der Welt hat so viele Freihandelsabkommen der Welt wie Chile, zeigt sich in der Ungleichheit dort auch dass Scheitern eines neoliberalen Modells?
Die Proteste in Chile sind in der Tat eine Reaktion auf die neoliberale Wirtschaftspolitik seit Pinochet. Pinochet hat vor seinem Abtritt versucht, seine Politik institutionell abzusichern und den Spielraum für seine gewählten Nachfolger einzuschränken. Darunter leidet Chile bis heute. Insbesondere die soziale Ungleichheit beim Einkommen sowie die nahezu komplett privatisierten Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge wie Rente, Gesundheit, ÖPNV und Bildung haben die Menschen in Chile auf die Straße getrieben. Die Wucht der Proteste hat offenbar nicht nur die Regierung überrascht. Vielleicht bietet sich jetzt die einmalige Chance, die seit Jahrzehnten bestehenden Probleme durch einen breiten gesellschaftlichen Konsens zu lösen.

Niels Annen, Staatsminister im Auswärtigen Amt.
Niels Annen, Staatsminister im Auswärtigen Amt.
© imago images/Christian Spicker

Ein großes Sorgenkind ist Brasilien,  was kann Deutschland tun, um Präsident Bolsonaro von der rasanten Abholzung und Entwaldung in der Amazonasregion abzubringen?
Präsident Bolsonaro relativiert nicht nur die Auswirkungen der Brände. Er stoppt auch noch die Markierung von Schutzgebieten und entzieht damit den indigenen Einwohnern den notwendigen Schutz. Das ist alarmierend. Der Amazonas ist von globaler Bedeutung für den Klimaschutz und die Artenvielfalt. Deshalb können wir nicht tatenlos zuschauen, wie die grüne Lunge der Welt zerstört wird. Deutschland hat daher den betroffenen Ländern finanzielle und technische Soforthilfe zur Brandbekämpfung angeboten. Nicht alle Länder haben diese angenommen. Ich bin mir sicher, dass der Amazonienfonds das passende Instrument ist, um Mittel für Prävention, Wiederaufforstung und den Kampf gegen die Entwaldung im Amazonasgebiet zur Verfügung zu stellen. So bestehen bereits langjährige Kooperationen mit Feuerwehren vor Ort. Nur wenn die Amazonasanrainer und die internationale Gemeinschaft an einem Strang ziehen, haben wir eine Chance das Amazonasgebiet vor wirtschaftlicher Ausbeutung zu bewahren.

Die USA setzen auf Strafzölle, viele anderen Regionen sind von noch größeren Krisen erfasst – welches Potenzial hat Südamerika gerade in ökonomischer Hinsicht?
Die deutsche Politik hat Lateinamerika zu wenig beachtet. Heiko Maas hat mit seiner Initiative eine Neuorientierung eingeleitet. Ökonomisch hat die Region ein riesiges Potential, das bisher nicht ausreichend und vor allem nicht zum Nutzen der Menschen in Lateinamerika abgerufen wurde. Trotz aller Kritik, die wir sehr ernst nehmen: Das MERCUSUR-(Freihandels)-Abkommen kann sich positiv auf die Region auswirken. Und es kann ein Instrument sein, um positiven Einfluss auf Umwelt-, Klima- und Nachhaltigkeitsfragen zu nehmen.

Wer die Chancen früh erkannt, hat ist China, Huawei dominiert den Mobilfunkmarkt, wie sehr sorgt sie die geopolitische Veränderung in der Region?
Die chinesische Offensive in Lateinamerika und der Karibik ist nicht allein wirtschaftlich und rohstofftechnisch, sondern vielmehr geostrategisch geleitet. Lange haben die USA die Politik in Lateinamerika dominiert. Chinas Präsenz vor Ort ist nicht zuletzt Folge des Rückzugs der USA und der Abwesenheit Europas in der Region. In Ecuador ist China inzwischen der wichtigste Partner und nichtinstitutioneller Geldgeber. Dabei wünschen sich viele lateinamerikanische Staaten eine Alternative zu China. Dafür müssen wir alternative Angebote schaffen. Eine stärkere Präsenz in Lateinamerika ist nicht nur aus ökonomischen Gründen richtig. Es geht auch darum, eine weitgehend demokratische Weltregion langfristig als Partner für eine regelbasierte internationale Ordnung zu gewinnen.

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