Wahlen in Brandenburg und Sachsen: Die Demokratie ist prekär geworden
Die Regierungsbildung nach den Wahlen in Brandenburg und Sachsen wird schwierig. Was das für die Politik in Deutschland bedeutet. Ein Kommentar.
Eine Wahl wie ein Fanal – und das gilt gleich für zwei, die in Brandenburg und die in Sachsen. Denn die Instabilitäten, die Umfragen ausweisen, dazu die Anzeichen einer weiteren Loslösung von politischen Bindungen, dann eine wabernde Unzufriedenheit – alles das hat einen Zug ins Postdemokratische. Was umgekehrt heißt: Das Demokratische muss wieder Stärke bekommen.
Aber wie? Einer, der rumkommt im Land wie kein Zweiter, ist beunruhigt seit Amtsantritt: der berufsmäßige Seismograf der Gesellschaft, der Bundespräsident.
Beunruhigt, weil ja die Umstände nicht beruhigender werden: Wie sollen die Bundesländer, wie soll das ganze Land regiert werden, wenn es doch zunehmend schwieriger wird, Regierungen zu bilden?
Vier-Parteien-Koalitionen oder Minderheitsregierungen
Eine große Koalition aus Union und SPD ist heute nicht mal mehr eine kleine. Mancherorts wird schon über Vier-Parteien-Koalitionen nachgedacht, um eine sichere Mehrheit zustande zu bringen. Oder über bisher nicht für möglich gehaltene Kombinationen, wie zum Beispiel eine der Linkspartei mit den Christdemokraten. Ist es auch so, dass das in beiden Parteien keiner will – was bleibt, wenn nach der Wahl nichts anderes bleibt? Unregierbarkeit. Und das kann nun wirklich keiner wollen.
Denn daher kommt die Beunruhigung bei denen, die sich im ganzen Land umtun: Geschichte wiederholt sich zwar nicht, doch aus Ähnlichkeiten lassen sich Schlüsse ziehen. Will sagen, die zweite demokratische deutsche Republik ist – noch – nicht bei Weimarer Verhältnissen angekommen, mit einer Zersplitterung der politischen Parteien und der daraus erwachsenden Schwierigkeit, Bündnisse zwischen ihnen zu stiften. Aber es wirkt, als bewege sich das ganze Land allmählich darauf zu, wie Ende der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts.
Jahrhundert des Autoritarismus
Die „Entwicklungen zur Globalisierung“ und ihre sozial-gesellschaftlichen Folgen würden „eher autoritären als demokratischen Verfassungen Vorschub leisten“, schrieb vor nunmehr 20 Jahren der große Soziologe Ralf Dahrendorf. „Autoritäre Verfassungen aber können dauern; sie sind weder so katastrophenträchtig noch so prekär wie totalitäre Diktaturen.
Ein Jahrhundert des Autoritarismus ist keineswegs die unwahrscheinlichste Prognose für das 21. Jahrhundert.“ So weit ging Dahrendorf!
So weit darf es aber nicht kommen. Immerhin sind ja auch die Möglichkeiten der Abhilfe bekannt. Wenn Menschen keinen Adressaten für ihre Interessen mehr zu finden glauben, wenden sie sich ab von denen, die sie bisher vertraten; im, sagen wir, besseren Fall verabschieden sie sich „nur“ in die Wahlenthaltung. Soziologen und Gesellschaftsbeobachter wie Oskar Negt oder Wilhelm Heitmeyer warnen mit Blick auf Unsicherheiten und Ängste vor „autoritätsgebundenem Mitläufertum“ (Negt) und vor der „Entfremdung der Bürger von ihrem politischen Führungspersonal“ (Heitmeyer).
Was also tun? Aus zwei Herausforderungen der jüngeren Geschichte Schlüsse ziehen, der Finanzkrise 2008 und dem Flüchtlingsthema von 2015, sagen die Experten.
Mehr Teilhabe, mehr sozialer Ausgleich
Menschen, die sich betroffen fühlten, haben seither erkennbar weniger Zutrauen in solidarisches Verhalten der Regierenden, in fairen Ausgleich während krisenhafter Zuspitzung und in Bemühungen um Gerechtigkeit.
Für Heitmeyer folgt daraus die Notwendigkeit sozialpolitischen Ausgleichs, entsprechende gravierende wirtschaftliche Reformen und neue politische Teilhabeangebote. Damit der „autoritäre Nationalradikalismus“ nicht zum Höhenflug ansetzt.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier jedenfalls hat den Soziologen Wilhelm Heitmeyer zum Gespräch eingeladen. Schon vor der Wahl.