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Mit falschen Aufrufen wurde im US-Präsidentschaftswahlkampf zur - ungültigen - Wahl per Telefon aufgerufen.
© Chip Somodevilla/Getty Images/AFP

Datenwirtschaft und Meinungskampf: Die Demokratie braucht Netzneutralität

Facebook, Twitter und Google bekennen, dass Wahlkämpfe beeinflusst werden könnten. Dagegen helfen Transparenz und Netzneutralität. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Carsten Werner

Vor russischen Hackern, Cyberangriffen und Datenraub hatten Geheimdienstler wie der deutsche Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen immer wieder wort- und bildreich dräuend gewarnt, Politiker fürchteten Wahlbeeinflussung. Nun zeigt sich: Mit gewöhnlichen digitalen Werkzeugen haben Manipulatoren unsere digitalen Fenster Facebook, Twitter und Google erreicht. Die Konzerne bekennen das – ein Jahr nach der US-Wahl und erst auf Druck der Politik – vor dem US-Kongress jetzt mit Zahlen, die noch nicht mal valide sind. Haben sie die Kontrolle über ihre Plattformen verloren?

Oder vermeiden sie bewusst Eingriffe in ihr boomendes Geschäft? Die von ihnen entwickelten Techniken und Geschäftsmodelle für digitalen Vertrieb, Meinungshandel und Datenwirtschaft boomen mit zielgenauer Werbung - das ist der Sinn der Sache: Wie Turnschuhanzeigen verlässlich Joggerinnen und Hobbyfußballer erreichen, finden aufgeregte Meldungen und schrille Meinungen empfängliche Bürger und sendungsbewusste Paniker. Das ist auch eine Möglichkeit zur Manipulation.

Facebook hat seit 2015 etwa 126 Millionen Nutzern aus Russland verbreitete Postings gezeigt. Twitter hat 36.746 mit einem russischen Konto verbundene automatische Accounts mit 1,4 Millionen Tweets identifiziert, auf die 288 Millionen mal mit Likes, Antworten oder Retweets reagiert wurde.

Werbung ist lukrativ - und Online-Wahlkampf könnte effektiv sein

Die Parteienlandschaft ist gerade in Wahlkämpfen ein lukrativer Kunde. Union und SPD waren für die Bundestagswahl online mit zweistelligen Millionensummen dabei, ein paar Millionen Euro investierten auch die kleineren Parteien. Die Nachrichtenseite "Bloomberg“ berichtet, dass Facebook die AfD und die von der Partei angeheuerte amerikanische Digitalagentur Harris Media für die effiziente Nutzung seiner Dienste beraten haben soll. Hillary Clinton und Donald Trump sollen laut Facebook zusammen 82 Millionen Dollar für Wahlwerbung an den Konzern gezahlt haben. Russische Trollfabriken zahlten angeblich nur fünfstellige Beträge - haben aber offenbar besonders effektiv mit den digitalen Geschäftsmodellen und ihren Werkzeugen gearbeitet.

Sie haben Anzeigenplätze und verstärkte Präsenz gekauft und von ihren Mitarbeiter und Automaten provokant bespielen lassen. In sozialen Medien wirkt dabei ein altes Boulevard-Rezept: So funktionieren Shakespeares Dramen, Meme-Sprüche auf Postkarten und T-Shirts - und der Flurfunk zwischen Teeküche und Kopierstation. Nur war letzterer bisher kein global florierendes Geschäftsmodell. Auch in klassischen Medien waren die boulevardesken Thesen von Thilo Sarrazin und ist die AfD ein Quotenknüller - gemessen an ihrer Größe, der Zahl ihrer Wähler und der Relevanz mancher Äußerungen ist die Aufmerksamkeit übergroß. US-Präsident Donald Trump hält mit nächtlichen Twitter-Sprüchen die Welt in Atem in einem Maße, das manche Kriege nicht erreichen.

Falsche Fährte. US-Senator Richard Blumenthal mit dem Ausdruck eines Social-Media-Aufrufs, von zuhause per Telefon zu wählen - was ungültig ist.
Falsche Fährte. US-Senator Richard Blumenthal mit dem Ausdruck eines Social-Media-Aufrufs, von zuhause per Telefon zu wählen - was ungültig ist.
© Drew Angerer/Getty Images/AFP

Alles was polarisiert, dramatisiert oder emotionalisiert, schafft immer mehr neue Daten und Datenverbindungen: die AfD und Donald Trump, Flüchtlingspolitik und Schicksale von Geflüchteten, Tierliebe und Tierleid - und jede Reaktion darauf, ob begeisterte Zustimmung oder vehemente Ablehnung. Aufregung zählt.

Polarisierung ist bei aller familiär-pastellig gefärbten, leutselig an Kinderbücher und Familienfilme erinnernde Werbung für Datengeschäfte wichtig - aber eben auch Vertrauen.

Zuckerberg verspricht mehr Sicherheit - für was eigentlich?

Facebook-Chef Mark Zuckerberg will jetzt massiv in „Sicherheit“ investieren. Welche Sicherheit mag er mit dem angekündigten „Schutz unserer Community“ meinen - die des eigenen Geschäftsmodells? Die für den demokratischen Diskurs? Oder die vor unliebsamen Inhalten? Und wenn Letzteres: Wer entscheidet über falsch und richtig? Zuckerbergs Geschäft zu drehen von Datenhandel zum Datenschutz und zur Datenhoheit seiner Nutzer, dürfte nicht ganz einfach sein.

Apple-Chef Tim Cook versucht vordergründig, sich von diesem Dilemma abzusetzen: Er handele lieber mit Geräten als mit den Daten ihrer Benutzer. Das ist nur halb wahr – denn die Nutzung generiert Daten, so oder so. Deren Wert müssen auch die Nutzer der Geräte und Plattformen einschätzen und einsetzen lernen: Wir alle sind die Rohstofflieferanten der Datenindustrie.

Entscheidend ist Netzneutralität: Herrscht im Netz dieselbe Chancengleichheit wie in den herkömmlichen Medien - preislich, technisch und juristisch, auch inhaltlich: Bekommen langweilige SPD-Forderungen gleiche Chancen wie empörende AfD-Sprüche - oder gibt es bessere und schlechtere Kunden für die Datendealer? Können wir uns langfristig auf ein vielfältiges Informations- und Meinungsangebot verlassen - oder nur lukrative Aufreger? Die Firmen müssen klären und klar machen, mit wem sie zu tun haben und Geschäfte machen. Bisher nehmen sie wohl jeden. Wie von wo für wen Wahl- und andere Meinungskämpfe finanziert werden - das wenigstens transparent zu machen, ist eine politische und journalistische Aufgabe.

Populisten und Paranoiker, Provokateure und Paniker, Angstmacher und Sicherheitsfanatiker, Verschwörungstheoretiker und besorgte Bürger haben und sind ertragreiche Geschäftsmodelle. Sie zu „regulieren“, ist demokratisch so wichtig wie gefährlich – eine Operation am Lebensnerv der digitalen Gesellschaft aus Menschen und Maschinen.

Inhaltlich motivierte Löscheinsätze werden am Reiz und immensen Wert des provokativen und populistischen wenig ändern. Die technische Revolution der Digitalisierung ist längst eine kommunikative Evolution.

Fake. Sad. US-Senatoren Dianne Feinstein (links) und Pat Leahy vor Werbung für eine - nicht existierende - Veranstaltung "Minenarbeiter für Trump"
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© Jonathan Ernst/rtr

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