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Sind soziale Netzwerke wie Facebook das Ende des Datenschutzes?
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Facebook und Co.: Der Datenschutz ist nicht am Ende

Die Zeit der Datensparsamkeit sei vorbei, verkündete jüngst die Kanzlerin. Dabei ist es niemals egal, ob einer zuschaut – auch nicht im Netz. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Ob die „Cambridge-Analytica“-Geschichte nun bis in ihre Verästelungen wahr ist oder nicht – ein unüberhörbarer Alarmruf ist sie auf alle Fälle. Die Firma behauptete unlängst, aus Facebook-Daten Psychogramme von allen erwachsenen US-Bürgern erstellt zu haben – und auch zu wissen, wie man diese Millionen Menschen einigermaßen zielsicher einschätzen und dem Wunsch eines zahlenden Kunden gemäß manipulieren kann.

Da braucht es niemanden mehr, der hinzufügt: Wenn die das können, dann können das schon heute oder bald andere auch. Damit ist ein Alptraum dabei, wahr zu werden. Und es ist wirklich höchste Zeit, dass sich die vielen Facebook-Nutzer selbst fragen, was sie höchstpersönlich durch ihr Verhalten dazu beitragen.

Die Daten, die zur Psychogrammerstellung genutzt wurden, waren legal verfügbar. Die Nunmehr-Gläsernen selbst haben sie öffentlich gemacht. Mit jedem Like, den sie im Daten-All hinterließen, wurden sie ein bisschen kalkulierbarer. Dass dies vor allem der große wahre Zweck der ganzen Internetfeatures sein würde, wird seit Jahren immer wieder gesagt und angemahnt, völlig konsequenzlos. Stattdessen wurden und werden Jahr für Jahr immer noch mehr Daten produziert. Oder gibt es irgendwo noch eine Familie, in der niemand mit Blick auf Weihnachten an das lustige Fitnesstrackerarmband denkt, das dem faulen Sohn, der dicken Tante oder dem eigenen Ich endlich Beine machen soll? Wo die ganzen Daten letztlich bleiben, die da erstellt werden? „Ach, für uns interessiert sich doch keiner!“, ist eine beliebte Antwort, die wohl kaum die Realität widerspiegelt.

Big Data ist das Big Business der Zukunft, und es interessieren sich sehr viele für alle Daten, die sie bekommen können. In Sachen Fitness sind es potenziell alle Arbeitgeber, Kranken- und Pflegekassen. Und das besonders Verdrießliche daran ist, dass die Datenverweigerer absehbar am Ende diejenigen sein werden, die als „verdächtig“ gelten (warum machen die nicht mit?) und für jeweils ungünstige Bewertungen zahlen müssen. Es ist die Umkehrung normaler Versicherungsstrategien, die den Fahrlässigen schlechter stellen als den Vorsichtigen.

Was soll das sein: Datensouveränität statt Datenschutz?

Der Vorsicht im Umgang mit den Daten hat zuletzt die Bundeskanzlerin höchstselbst einen Tritt in die Knie versetzt, als sie im November beim Nationalen IT-Gipfel tatsächlich verkündete, die Zeit der Datensparsamkeit sei vorbei, und mit dem Datenschutz dürfe jetzt auch nicht übertrieben werden. In dieselbe Richtung äußerte sich ebendort Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel. Nicht die Technik entscheide, sondern das politische Wollen und Handeln. Es gehe darum, sagte Gabriel, „statt Datenschutz Datensouveränität zum Gegenstand von Politik im Umgang mit Daten zu machen“. Einer Politik, ganz nebenbei bemerkt, die sich das Parlament hacken ließ und davon lange nichts merkte.

Die Frage ist doch, ob sich die Technik überhaupt noch vom politischen Wollen und Handeln beeinflussen lässt. Oder ob es – siehe „Cambridge Analytica“ – nicht längst umgekehrt ist.

Und was soll das überhaupt sein: Datensouveränität statt Datenschutz? Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gerät an allen Ecken in Bedrängnis. Die immer wieder aufploppende Geschäftsidee der schönen neuen Digi-Welt lautet: Gib deine Daten her oder du zahlst drauf. Und es sind nicht nur technikfeindliche Untergangsapologeten, die darin den Ausverkauf der Bürger, ihre regelrechte Preisgabe an die Datenindustrie sehen. Aber was dem Entgegensetzen?

Die Zeit des Datenschutzes geht nicht zu Ende. Er wird ganz im Gegenteil mit jedem Tag, der vergeht, wichtiger. Denn er ist das einzige Schwert, das die kleinen Internetnutzer in der Hand haben, um sich gegen die immer unverschämteren Übergriffe der Datensammler zu wehren. Dazu zählt übrigens auch die Gesundheitskarte, mit der die Regierung das Volk beglücken will, ohne bisher eine Garantie für deren Datensicherheit liefern zu können.

Es ist vielleicht an der Zeit, für Datenschutz ein elektrisierenderes Wort zu finden. Es geht um den Schutz allgemeiner Persönlichkeitsrechte. Es geht um den Freiraum, den die Einzelnen sich gegen die Datenkraken verschaffen können, um die schrumpfende Zone, in der sie sich unbeobachtet bewegen und entfalten können. Es ist niemals egal, ob einer zuschaut, wenn ein anderer etwas tut, ob einer mitzählt, registriert und am Ende eine Bilanz über eine Person aufstellen kann. Denn das wäre das Ende freien, souveränen Handelns.

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