Erstes TV-Duell im US-Wahlkampf: „Die Debatten werden die folgenreichsten in der Geschichte der TV-Duelle sein“
Am Dienstag treffen Joe Biden und Donald Trump bei der ersten TV-Debatte aufeinander. Beobachtet wird wohl vor allem der Herausforderer - und attackiert.
Zwei Tage vor dem großen Medienereignis demonstriert US-Präsident Donald Trump Gelassenheit. Am Sonntag spielte er wie an fast jedem Wochenende ein paar Stunden Golf auf seinem Golfplatz in Virginia - noch sind die Temperaturen in der Hauptstadt-Region sommerlich. Dabei würde ihm so mancher Experte raten, sich doch intensiv auf das anstehende erste von drei TV-Duellen mit seinem Herausforderer Joe Biden vorzubereiten.
Immerhin liegt der Amtsinhaber in den Umfragen zurück und hat anders als der demokratische Präsidentschaftskandidat keinen kontroversen Vorwahlkampf mit unzähligen Debatten führen müssen. Aber Trump hört selten auf Experten, schon gar nicht auf solche, die meinen, etwas besser als er selbst zu wissen.
Dem Sender Fox News sagte er: "Ich bereite mich im Grunde jeden Tag vor, in dem ich das mache, was ich mache."
Wenn die beiden Männer am Dienstag in Cleveland im Bundesstaat Ohio erstmals in diesem Wahlkampf aufeinandertreffen, werden ihnen Dutzende Millionen Amerikaner zuschauen. Schon in einem normalen US-Wahlkampf ziehen die TV-Debatten in den letzten, den entscheidenden Wochen vor der Wahl viele Zuschauer an.
Aber in diesem Corona-Jahr, in dem es abends deutlich weniger Ablenkung als üblich gibt, ist nichts normal.
Ein Wahlkampf wie seit 100 Jahren nicht mehr
"Die TV-Duelle sind in jedem Wahlkampf extrem wichtig", sagt Philip Harold, Professor für Politikwissenschaften an der Robert Morris University in Pittsburgh (Pennsylvania). "Das sind die Momente, in denen sich ein Rennen wirklich drehen kann." Die ganze Aufmerksamkeit werde auf einmal auf den Wahlkampf gezogen. Und in diesem Jahr sei das noch einmal mehr als sonst der Fall: "Die diesjährigen Debatten werden wahrscheinlich die folgenreichsten in der Geschichte der TV-Duelle sein."
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Das liege natürlich an der Art, wie der Wahlkampf in Zeiten der Pandemie geführt werde - "so wie seit 100 Jahren nicht mehr", sagt Harold. Der Kandidat einer großen Partei versuche, eine "Front Porch Campaign" zu führen, also einen Wahlkampf von der heimischen Veranda aus - in Bidens Fall sein Haus in Wilmington/Delaware. "Biden macht nur wenige, sehr kontrollierte Events und gibt kaum Interviews - ganz anders, als das normalerweise der Fall ist, wenn Kandidaten versuchen, so viel lokale Berichterstattung wie möglich zu bekommen." Derweil habe Trump bei seinen Rallyes schon fast wieder die Frequenz von 2016 erreicht.
Biden debattierte im Vorwahlkampf
Dafür nahm Biden im Vorwahlkampf an mehreren parteiinternen TV-Debatten teil, bei denen er sich mal besser, mal schlechter schlug. Am Ende hatte er auch ein Duell mit seinem letzten verbliebenen Konkurrenten, dem politisch deutlich weiter links stehenden Senator aus Vermont, Bernie Sanders, aus dem er nach Ansicht der meisten Beobachter als Sieger hervorging. Das war schon während der Pandemie und daher bereits ohne Zuhörer. Kurz darauf schied Sanders aus dem Rennen aus.
Auch am Dienstag (ab 21 Uhr Ortszeit) wird es deutlich ruhiger zugehen, als die Amerikaner das aus den vergangenen Wahlkämpfen gewohnt sind. Nur wenige Zuschauer dürfen bei der 90-minütigen Debatte in der Case Western Reserve University in Cleveland live dabei sein. Geleitet wird die Runde von "Fox News Sunday"-Moderator Chris Wallace, der als der kritischste Journalist bei dem Trump ansonsten gewogenen Sender gilt.
Je 15 Minuten lang soll es um insgesamt sechs Themen-Komplexe gehen: um den Supreme Court, also konkret um die Nachfolge der vor gut einer Woche verstorbenen liberalen Richterin Ruth Bader Ginsburg, um Covid-19, die Wirtschaft, Rassismus und Gewalt in den Städten, Trumps und Bidens bisherige politische Bilanz sowie die Integrität der Wahl an sich. US-Geheimdienste befürchten wie 2016 eine Einflussnahme anderer Länder. Trump behauptet, eine Wahl per Post sei unsicher und manipulierbar.
Moderator Wallace stellt die Fragen, die Kandidaten haben dann jeweils zwei Minuten, um zu antworten. Anschließend dürfen sie noch einmal aufeinander reagieren. Ein Faktencheck des Moderators während der Sendung ist nicht vorgesehen.
Der Präsident hofft auf Bidens Patzer
Da die Amerikaner ihren Präsidenten derzeit fast täglich erleben, wird das Hauptaugenmerk und wohl auch der meiste Druck auf seinem Herausforderer liegen. Trump, selbst 74, nennt seinen drei Jahre älteren Rivalen immer "Sleepy Joe" und unterstellt ihm gerne mal geistige Umnachtung. "Er wartet nur darauf, dass dem ehemaligen Vizepräsidenten ein Fauxpas unterläuft, den seine Kampagne dann ausschlachten kann", sagt Politologe Harold. Biden, der als Kind stotterte und häufig Sätze nicht beendet, ist bekannt dafür, dass ihm manchmal Unbedachtes rauschrutscht.
Trump, nie um eine Provokation verlegen, forderte am Sonntag erneut Biden solle sich einem Dopingtest unterziehen - entweder vor oder nach dem Duell. Denn Bidens Auftritte in Debatten seien "rekordverdächtig unausgeglichen", twitterte er. "Nur Medikamente können diese Diskrepanz verursacht haben."
Biden hat bereits erklärt, er sei für solche Attacken gewappnet. Der Präsident wisse nicht, wie man über Fakten diskutiert, sagte er am Samstag in einem Interview mit dem Sender MSNBC. "Er weiß nicht viel über Außenpolitik, er weiß nicht viel über Innenpolitik. Er weiß nicht viel über die Details." Daher "werden es hauptsächlich persönliche Angriffe und Lügen sein", ein "einziger Frontalangriff". Der US-Präsident sei "in etwa so wie Goebbels", sagte Biden weiter. "Man erzählt eine Lüge lange genug, wiederholt sie immer wieder, wiederholt sie, wiederholt sie, und sie gilt als Allgemeinwissen." Die Leute wüssten aber, dass der Präsident ein Lügner sei.
"Trump hat alles zu verlieren"
Experten gehen von einem heftigen Schlagabtausch zwischen den beiden Rivalen aus. Philippe Reines, der Trump bei Hillary Clintons Duell-Vorbereitung vor vier Jahren spielte, schreibt in der "Washington Post": Trump sei zugleich ein sehr schlechter und ein sehr schwieriger Diskutant. 2016 habe er nichts zu verlieren gehabt, jetzt habe er alles zu verlieren. Werde der Präsident angegriffen, verteidige er sich in der Regel nicht. Sondern er lobe sich selbst, gehe zum Gegenangriff über und wechsle dann das Thema. Für Trump bedeute die Debatte in der Corona-Zeit die erste wirkliche Chance, das Rennen noch zu drehen, schreibt Reines weiter. Er sei in seinem Oval Office isoliert und frustriert - und darum sehr angriffslustig.
Der Politikwissenschaftler Robert Speel von der Pennsylvania State University in Erie sagt: "Ich gehe davon aus, dass Trump sehr aggressiv sein wird, denn das ist sein Stil." Auch Biden werde ab und an aggressiv auftreten, erwartet Speel, etwa wenn er über Trumps Lügen oder seine Fehler im Umgang mit der Pandemie spreche. Das müsse er auch, um dem Eindruck entgegenzutreten, dass er zu alt für das Weiße Haus sei. Man werde Biden aber auch oft einfach nur den Kopf schütteln sehen. Ein guter Auftritt, bei dem Biden zeige, dass er sofort bereit stünde, Präsident zu werden, könne ihm enorm helfen. Im Gegenzug könnten schwere Patzer seiner Kampagne empfindlich schaden, sagt Speel.
Wer begeistert mehr?
Wie groß der Effekt der Debatten sein wird, ist offen. "Es geht weniger darum, dass sich die Wähler klar werden, ob sie Trump oder Biden wählen", sagt Experte Harold. Unentschieden seien nur ganz wenige Wähler. Es gehe darum, welcher Kandidat seine Wähler besser mobilisieren könne, am 3. November tatsächlich wählen zu gehen. "Die Wahl wird über den Grad des Enthusiasmus entschieden." Das mache es etwas schwerer für Biden, der verschiedene Strömungen in der Partei zufrieden stellen müsse, sagt Harold. "Trump weiß bereits, was seine Partei will und hat sie hinter sich vereint."
Alle großen amerikanischen Nachrichtensender werden die Debatten live übertragen. In Deutschland hat sich Phoenix die Übertragungsrechte für das gesamte Duell in der Nacht zu Mittwoch gesichert und überträgt live ab 2.45 Uhr. Das zweite Aufeinandertreffen ist für den 15. Oktober in Miami/Florida geplant. Die dritte Debatte wird am 22. Oktober ist in Nashville/Tennessee stattfinden.
Außerdem steht noch eine Debatte zwischen den Kandidaten für die Vizepräsidentschaft auf dem Programm. Vizepräsident Mike Pence und die kalifornische Senatorin Kamala Harris treffen am 7. Oktober in Salt Lake City/Utah aufeinander. Harris trainiert dafür nach Medienangaben mit ihrem einstigen Konkurrenten aus dem Vorwahlkampf Pete Buttigieg, der Pence spielt.