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Malu Dreyer (SPD) ist Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz und Parteivize der SPD.
© Bernd von Jutrczenka/dpa

SPD-Vize Malu Dreyer: Die CSU soll mal durchatmen: "Es ist genug Heimat für alle da"

Die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz sagt im Interview, warum die CSU populistisch ist, wie sie die ersten Tage der Groko beurteilt und warum Hartz IV bald ein Ende haben könnte.

Frau Dreyer, wie fühlt sich die große Koalition an, von der Sie sagten, es gebe keine emotionale Bindung?

Die erste Woche hat ja schon gezeigt, wie verschieden die Positionen in vielen Themenbereichen sind zwischen Union und uns. Diese Koalition ist ein reines Zweckbündnis, geboren aus Verantwortung für das Land. So sieht das die SPD.

Was genau ist der Zweck?

Uns geht es darum, unser Land gut zu regieren. Auch wenn viele unserer Mitglieder Bauchschmerzen hatten, erneut in eine große Koalition einzutreten.

Heiligt jeder Zweck die Mittel in dieser Regierung?

Nein. Die Grundlage ist der aus unserer Sicht gute Koalitionsvertrag. Jetzt geht es darum, dass jeder Minister, ob aus der CSU, der CDU oder SPD, möglichst seinen Job erledigt.

Haben Sie Zweifel daran nach den Aussagen von Horst Seehofer zum Islam oder Jens Spahn zu Hartz IV?

Der Streit findet ja innerhalb der Union statt. Die SPD ist bei beiden Themen ganz klar positioniert: Wir teilen die Auffassung von Seehofer und Spahn nicht. Ich rate beiden Ministern, möglichst zu tun, was ihre Aufgabe ist, nämlich den Koalitionsvertrag umzusetzen.

Wie ist denn die Haltung der SPD zu Seehofers Satz, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, die Muslime schon?

Unser Grundgesetz sichert die Religionsfreiheit, und es ist die Aufgabe des Staates, diese zu garantieren. Unsere Aufgabe ist es, Begegnungen zwischen Menschen verschiedener Religionen zu fördern, um den Zusammenhalt zu stärken. Was die CSU indirekt macht, ist die Vermischung des Islam als Religion mit der Gefahr des islamistischen Terrorismus. Das ist populistisch.

Was genau ist populistisch an dem Satz Seehofers, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, die Muslime schon?

Es ist nicht dieser Satz allein, sondern die Art und Weise, wie die CSU das Thema bespielt. Wenn man auf Twitter eine vollverschleierte Frau mit dem Zitat Seehofers zeigt, suggeriert sie pauschal, der Islam sei ein Synonym für eine extreme Religion. Die CSU soll mal durchatmen: Es ist genug Heimat für alle da. In einen Dialog kommt man nicht, wenn Politiker bei Menschen, die ohnehin Vorbehalte gegen den Islam haben, leichtfertig Vorurteile schüren. Das ist keine Lösung.

Michael Müller, Regierender Bürgermeister von Berlin, plädiert für die Abschaffung von Hartz IV
Michael Müller, Regierender Bürgermeister von Berlin, plädiert für die Abschaffung von Hartz IV
© Mike Wolff

Was genau ist falsch daran, wenn Jens Spahn sagt, dass Hartz IV als staatliches Instrument Armut lindere und man von den Sätzen auch leben könne?

Der Satz entspricht nicht der Lebenswirklichkeit der Menschen und ist deshalb ohne Mitgefühl für sie. Niemand wird der Politik vertrauen, wenn wir so von oben herab reden. Jede Politikerin, jeder Politiker muss sich in die Situation der Menschen hineinversetzen können, die länger als nur ein paar Monate von Hartz IV leben müssen. Und wer wirklich länger Hartz IV bezieht, lebt natürlich in Armut. Das will die SPD in dieser Regierung auch ändern, gerade vor dem Hintergrund der Kinderarmut, die wir als SPD schon so lange beklagen.

Sollte man Hartz IV abschaffen zugunsten eines solidarischen Grundeinkommens, wie es gerade Ihr Parteikollege Michael Müller, Berlins Regierender Bürgermeister, fordert?

Ich finde, dass diese Debatte lohnt – wir sollten diesen Gedanken des Regierenden aufnehmen, ernst nehmen und ihn weiterdenken. Am Ende eines solchen Prozesses könnte das Ende von Hartz IV stehen.

Am Ende?

Ja. Wir haben ja jetzt im Koalitionsvertrag schon einiges dazu erreicht: etwa den Aktiv-Passiv-Transfer, das bedeutet, dass das Geld direkt für die Arbeitslosen eingesetzt wird und nicht für die Verwaltung von Arbeitslosigkeit. Wir haben errungen, dass das Teilhabepaket für armutsgefährdete Kinder modernisiert wird, ein Beispiel dafür ist, dass diese Kinder kein Geld mehr für Mittagessen bezahlen müssen. Und wir haben einen sozialen Arbeitsmarkt erreicht.

Heißt sozialer Arbeitsmarkt aus Ihrer Sicht denn dann auch mehr Leistungsgerechtigkeit?

Ja. Sowohl bei dem Konzept von Michael Müller als auch im Koalitionsvertrag ist verankert, dass wir die Grundsicherung mit dem Thema Arbeit verbinden. Statt Hartz IV und Wohnung wird ein regulärer, sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplatz finanziert. Langzeitarbeitslose kommen so aus dem Hilfebezug heraus und nehmen am normalen Arbeits- und Gesellschaftsleben teil.

Regieren und sich als Partei erneuern – die SPD will ja beides schaffen.

Ich bin da sehr zuversichtlich. Unsere Debattenkultur kann sich sehen lassen, wir streiten, aber zerstreiten uns nicht, das hat auch die Diskussion beim Mitgliederentscheid zur Frage, ob wir in die große Koalition gehen, gezeigt. Wir spüren, dass diese Partei viel Kraft hat, die wollen wir nutzen.

Die Besorgnis der Basis lag darin, dass das Versprechen von klarer Kante im Regierungsalltag nicht funktionieren wird. Gerade hat Andrea Nahles den Antrag auf Streichung des Werbeverbots für Abtreibungen aus Rücksicht auf ihren Unions-Kollegen Kauder zurückgezogen.

Ich sehe das anders. Wir müssen hier im Sinne der Sache zu einer gemeinsamen Lösung kommen. Unsere Bundesjustizministerin wird einen Entwurf erarbeiten, der allen Interessen gerecht werden soll.

Das Verhältnis zwischen sozialdemokratischer Parteispitze und Basis ist im Moment – wie?

Die Parteispitze hat ein großes Interesse, dass die SPD ihre Kraft, als Team entfaltet. Dazu gehört, dass wir uns dabei gegenseitig vertrauen. Mir ist bewusst, dass es an der Basis noch viele gibt, die zweifeln, aber diese Erneuerung ist ja auch ein Prozess. Wir brauchen Mut und Geduld.

In der Kritik: Bundesinnenminister Horst Seehofer von der CSU
In der Kritik: Bundesinnenminister Horst Seehofer von der CSU
© imago/Metodi Popow

Die Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange tingelt gerade durch Deutschland, um sich bekannt zu machen als Kandidatin für den Parteivorsitz. Sie will „der Basis eine Stimme geben“. Die Veranstaltungen sind voll.

Sie kandidiert, das ist Demokratie. Und unsere Satzung sieht das auch vor. Am 22. April werden die Delegierten entscheiden, ob sie Simone Lange oder Andrea Nahles für die bessere Parteivorsitzende halten.

Hört sich fast so an, als sollte es lieber keinen Wettbewerb um den Parteivorsitz geben dürfen.

Doch, ausdrücklich. Das ist ein normaler demokratischer Prozess.

Was ist falsch an dem Einwand, eine Fraktionschefin, die die Regierungslinie vertreten müsse, könne nicht gleichzeitig als Vorsitzende die Partei erneuern.

Ich finde es wichtiger, dass die zukünftige Parteichefin nicht in der Regierung sitzt, dadurch ist sie sehr viel freier. Ich finde es auch wichtig, dass eine Erneuerung der Partei auch und gerade in der Bundestagsfraktion eine wichtige Rolle spielt. Das wird Andrea Nahles angehen.

Warum keine Doppelspitze?

Doppelspitzen machen eine Partei nicht sichtbarer. Für uns ist es gut, dass das eine Frau macht, die fest in der Partei verwurzelt, aber nicht Teil der Regierung ist. Die Menschen und unsere Mitglieder wollen eine starke Persönlichkeit an der Spitze – ich bin davon überzeugt, dass Andrea Nahles dafür die richtige Frau ist.

Wird Juso-Chef und GroKo-Gegner Kevin Kühnert im Prozess der Erneuerung eine Rolle spielen?
Ich finde unbedingt, dass er dabei eine gewichtige Rolle spielen sollte und mit ihm viele andere in unserer Partei auch.

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