Europawahl: Die CDU und ihre Probleme mit der AfD
Bisher dachte die Union, sie müsse die AfD nur ignorieren. Diese Strategie ging bei der Europawahl nicht auf. Unterdessen zeichnet sich in der AfD ein Streit über die Frage ab, mit welchen Parteien man im Europaparlament kooperiert.
Wie ein Familienpatriarch stand der fünffache Vater Bernd Lucke am Montag vor der Berliner Hauptstadtpresse. Links und rechts von ihm posierten die frisch gewählten AfD-Europaabgeordneten. Jeden einzelnen von ihnen ließ der Parteichef nach vorne treten. Die künftigen Volksvertreter sollten „ein paar Sätze sagen zu Person und politischen Zielen“. Als es darum ging, in welchen Ausschuss Marcus Pretzell strebt, Listenkandidat auf Platz sieben und mitunter als Parteirebell gehandelt, sagte Lucke: „Ich glaube eigentlich, dass für Sie der Ausschuss für Verfassungsangelegenheiten der richtige wäre.“
Umsichtig, väterlich, vorausschauend – so präsentierte sich der AfD-Chef am Tag nach der Wahl. Lucke, selbst mehr als 30 Jahre lang CDU-Mitglied, gab sich nicht besonders schadenfroh, was die Verluste von Union und FDP betraf. Er sagte aber, dass die AfD für ihn nun eine „kleine Volkspartei“ sei – weil sie Zuspruch aus „allen Schichten der Bevölkerung“ bekommen habe. „Arbeiter kämen nie auf die Idee, FDP oder Grüne zu wählen.“ Luckes Co-Spitzenkandidat Hans- Olaf Henkel hingegen stellte heraus, dass die AfD-Führungskräfte ein Bildungsniveau hätten, das „weit über dem Niveau der anderen Parteien“ liege.
Die AfD blickt besonders auf Sachsen
Der AfD-Chef jedenfalls scheint davon überzeugt zu sein, dass seine Partei nun den Durchbruch geschafft hat. Er verwies auf die Landtagswahlen im Herbst in Ostdeutschland – und vor allem auf Sachsen, wo die AfD mit 10,1 Prozent sogar zweistellig wurde an diesem Sonntag. Relativ schwach schnitt sie wie schon bei der Bundestagswahl in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen ab. In den vergangenen Monaten hatte sich bereits eine Verbreiterung des Themenspektrums angedeutet. Jetzt sagte Lucke, gerade in Ostdeutschland seien die Themen „innere Sicherheit und soziale Sicherung“ besonders wichtig. Er sprach von „Perspektivlosigkeit“, die viele Menschen dort empfinden würden, die Hartz IV bekommen.
Auf Sachsen vor allem waren auch Luckes Ausführungen bezogen, die sich um das künftige Verhältnis von CDU und AfD drehten. „Ich denke, dass Frau Merkel nach wie vor ein Interesse daran hat, uns zu diskreditieren.“ Andererseits könne es für die CDU auch attraktiv sein, auf Länderebene neue Optionen auszuprobieren. Die AfD werde der Union aber nicht hinterherlaufen – schon allein deshalb nicht, weil nicht sicher sei, dass man mit ihr die größten Überschneidungen habe. Auch mit der SPD sei eine Zusammenarbeit grundsätzlich möglich.
An etwaigen Koalitionen mit den Euro-Kritikern von der AfD hat CDU-Chefin Angela Merkel allerdings überhaupt kein Interesse. „Wir ziehen eine Zusammenarbeit mit der AfD nicht in Betracht“, sagte Merkel nach den Gremiensitzungen ihrer Partei am Montag. Auch intern machte Merkel nach Angaben von Teilnehmern deutlich, dass es keine Kooperation mit der AfD geben wird. Für ihre Ankündigung erhielt sie im CDU-Vorstand viel Applaus.
Kritik aus der CDU an der CSU
Deutliche Kritik übten mehrere aus der CDU-Führungsriege allerdings an der bayerischen Schwesterpartei. Während die CDU am Sonntag leichte Verluste hinnehmen musste, erzielte die CSU mit 40,5 Prozent in Bayern ihr schlechtestes Europawahlergebnis überhaupt. Zugleich konnte die AfD in Bayern mehr als im Bundesschnitt holen, nämlich fast acht Prozent. Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht machte dafür auch die populistischen Töne verantwortlich, die in den letzten Monaten aus Bayern zu hören waren. „Die CSU hat offenkundig dramatisch verloren. Es ist schon so, dass die Wähler wohl lieber wissen wollen, wofür wir Wahlkampf machen und nicht wogegen wir alles sind“, sagte Lieberknecht vor der Sitzung des CDU-Präsidiums. Ähnlich argumentierte der stellvertretende CDU-Chef Armin Laschet. Mit der AfD und deren Argumenten müsse man sich offensiv auseinandersetzen. „Man sollte nicht deren Sprüchen auf den Leim gehen“, sagte der CDU-Mann aus Nordrhein-Westfalen. Und der Europa-Abgeordnete Herbert Reul kritisierte: „Man kann nicht den Versuch machen, eine andere Partei, die das Original ist, zu kopieren.“
Dass die CSU-Strategie nicht aufgegangen ist, räumt auch Parteichef Horst Seehofer am Tag nach der Wahlniederlage ein. „Ich übernehme die Verantwortung“, sagte er nach einer Vorstandssitzung. Die Wahl sei „ein tiefer Einschnitt“. Doch woran lag es? „Ich weiß es nicht“, meint der Vorsitzende. Auf einer Klausurtagung Ende Juni werde die Analyse erfolgen.
Personelle Konsequenzen soll es keine geben – vorerst. Seehofer will in seinen Ämtern als Vorsitzender und Ministerpräsident bleiben. Auch an Generalsekretär Andreas Scheuer wird nicht gerüttelt, wenngleich Seehofer seinen Namen nicht lobend in den Mund nimmt. 2017 will der Parteichef, so sein derzeitiger Plan, bei der Bundestagswahl ein gutes Ergebnis einfahren und dann eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger installieren, der oder die bei der bayerischen Landtagswahl ein Jahr später antritt.
Seehofer spricht nun selbst von einem inhaltlichen „Spagat“ im Europa-Wahlkampf, der der CSU missglückt sei. Einerseits hatte sie sich grundsätzlich hinter den pro-europäischen Kurs der Kanzlerin gestellt, andererseits war Europa kritisiert und geschmäht worden. Hauptverantwortlich für den Europa-skeptischen Teil des CSU-Wahlkampfes ist das Polit-Urgestein Peter Gauweiler, den Seehofer eigens wegen der Wahl als Parteivize installiert hatte. Doch auch über Gauweiler sagt Seehofer kein negatives Wort.
Immerhin gibt es vereinzelte kritische Stimmen. Der christsoziale EU-Abgeordnete Bernd Posselt etwa sagte, er hätte sich gewünscht, dass die Partei sich stärker zu Europa bekenne. Posselt ist einer der drei Parlamentarier, die ihr Mandat verloren haben, künftig stellen die Christsozialen nur mehr fünf Vertreter im EU-Parlament. Auf Kreisebene berichten Mandatsträger, dass der Wähler am Ende „nicht mehr gewusst hat, was gilt“.
AfD-Mann Lucke jedenfalls wird an diesem Dienstag erste Gespräche in Brüssel führen. Sein Ziel ist die Aufnahme der sieben AfD-Abgeordneten in die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformisten (ECR). Unklar ist, ob die Tories des britischen Premiers David Cameron da mitmachen werden – oder ob sie Rücksicht auf die CDU nehmen, die an einer Aufwertung der AfD kein Interesse haben kann. Auffallend deutlich betonte Lucke, dass die Tories Sitze verloren haben und nun nicht mehr automatisch die ECR-Fraktion anführen werden.
Den Ton angeben könnte dort in Zukunft vor allem die polnische Partei PiS von Ex-Premier Jaroslaw Kaczynski. Für die AfD wirft das jedoch zusätzliche Probleme auf. Der künftige EU-Abgeordnete Pretzell hatte die PiS vor einigen Monaten als „germanophob“ bezeichnet. Er zeigt sich offen für eine Kooperation mit der britischen Ukip-Partei. Lucke hingegen betont, dass es „große Meinungsverschiedenheiten“ mit Ukip gebe. Der AfD-Kreisverband im bayerischen Straubing hat am Wochenende bereits mit dem Sammeln von Unterschriften für eine bundesweite Urabstimmung in dieser Frage begonnen. Ganz ruhig ist es in der AfD also doch noch nicht geworden.
Mitarbeit: Patrick Guyton, München