Debatte über Grundsatzprogramm: Die CDU sucht ihren Markenkern
Die CDU-Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer zieht eine erste Bilanz der Diskussion um das Grundsatzprogramm. Das Thema Wehrpflicht steht dabei im Mittelpunkt.
Herr Schröder aus Dresden-Pieschen fand die Sache mit dem Dienst fürs Vaterland im Moment nicht gut geregelt. Am liebsten wäre ihm die Rückkehr zur Wehrpflicht, erläuterte das CDU-Mitglied seiner Generalsekretärin neulich in Radebeul. Aber jedenfalls sollten junge Leute sich für ein Jahr in die Pflicht für ihren Staat nehmen lassen – und zwar „beide Geschlechter, muss ich mal ehrlich sagen“. Schröder steht nicht allein mit dieser Meinung. Annegret Kramp- Karrenbauer ist ihr bei ihrer „Zuhörtour“ zur Vorbereitung eines neuen CDU-Grundsatzprogramms so oft begegnet, dass sie das Thema in einer ersten Video-Bilanz als einzigen Einzelpunkt herausstellte: „Eins kann ich versprechen: Über das Thema Wehrpflicht/Dienstpflicht werden wir noch mal ganz intensiv diskutieren müssen.“
Einfach wird das nicht, aber es ergibt aus Sicht der Generalin Sinn. Das Grundsatzprogramm soll schließlich, so hat sie das auf den gut 40 Veranstaltungen seit März in ganz Deutschland erläutert, eine „CDU pur“-Position markieren – was die Christdemokraten machen würden, könnten sie es frei von Koalitionszwängen alleine bestimmen. Es wird zudem ein Programm für die Zeit nach Angela Merkel. Kramp-Karrenbauer will deren Mitte-orientierten Kurs bewahren. Aber der Saarländerin ist klar, dass sie dafür nur eine geschlossene Zustimmung bekommt, wenn sie auch den murrenden Konservativen ein paar Brücken schlägt.
Die Abschaffung – oder, um genau zu bleiben: die Aussetzung der Wehrpflicht nehmen diese Truppen Merkel besonders übel. Sie ignorieren dabei gern, dass ihr damals umjubelter Hoffnungsträger Karl-Theodor zu Guttenberg sie betrieben und ein Parteitag sie praktisch einstimmig beschlossen hat. Aber es spricht viel dafür, dass es den Murrenden weniger um die Sache geht als um ein Unbehagen an der ganzen Linie. Das machen sie an den immer gleichen Punkten fest: Flüchtlinge, Atomwende, Wehrpflicht.
Die Verteidigungsministerin denkt über Fremdenlegionäre aus EU-Staaten nach
Die Flüchtlingsfrage ist ein Minenfeld, zurück zur Atomkraft führt kein Weg – bleibt die Wehrpflicht. Kramp-Karrenbauer fand Herrn Schröders Ideen denn auch gleich „hochspannend“. Das Interesse der Generalsekretärin galt vor allem dem nicht-militärischen Teil. Zwar leidet die Bundeswehr derart unter Nachwuchsmangel, dass die Verteidigungsministerin über Fremdenlegionäre aus EU-Staaten nachdenken lässt. Einzelne Experten regen an, den Dienst an der Waffe für Menschen aus Drittstaaten zu öffnen, für die er als eine Art Bewährungsprobe sogar einen Weg zum deutschen Pass eröffnen könnte.
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Trotzdem diskutiert niemand ernsthaft über die Reaktivierung der Wehrpflicht. Es fehlt allein schon Zeit, Geld und Personal, um die Maschinerie der Wehrersatzämter und Ausbildungskompanien wieder in Gang zu bringen. Der Erfolg wäre zweifelhaft. Die geburtenschwachen Jahrgänge haben auf dem Arbeitsmarkt praktisch freie Auswahl.
Doch auch eine allgemeine, nicht aufs Militär bezogene Dienstpflicht hat ihre Tücken. Kramp-Karrenbauer erinnerte sich im sächsischen Radebeul an ihre Mutter, die das „Pflichtjahr“ ihrer Jugend als billige Ausbeuterei empfand. Ohne Grundgesetzänderung wäre da sowieso nichts zu machen. Und „CDU pur“ als Traumtänzerei widerstrebt der praktisch veranlagten Saarländerin.
Sie denkt deshalb eher daran, eine freiwillige Selbstverpflichtung mit Anreizen zu belohnen. Der Gedanke ist nicht ganz neu, dass Bewerber um Studien- oder Ausbildungsplätze bevorzugt werden könnten, wenn sie vorher einen gemeinnützigen Dienst absolviert haben. Tatsächlich spielen in Einstellungsgesprächen solche Engagements öfter mal eine Rolle. In einigen Berufs- und Bildungsgängen wird ein freiwilliges soziales Jahr als Wartesemester oder Praktikum anerkannt. Aber das sind höchstens Ansätze einer allgemeinen Anreiz-Struktur.
Dabei besteht auf beiden Seiten Bedarf. Soziale Berufe und öffentliche Dienste können Helfer oft auch ohne großartige Vorbildung gut brauchen. Auf der anderen Seite macht der an sich erfreuliche Umstand, dass ihnen die Berufswelt weit offen steht, vielen Jungen die Wahl schwerer als ihren Eltern aus den geburtenstarken Jahrgängen, die um Ausbildungs- und Arbeitsplätze konkurrieren mussten. Die Ratlosigkeit mit „Work and Travel“ zu überbrücken ist für Schulabsolventen so normal geworden wie das „Erst mal eine Lehre machen“ für unentschlossene Abiturienten.
Ein staatliches Angebot, das Vorteile für jeden anschließenden Berufsweg garantiert, könnte also durchaus Resonanz finden. Allerdings stieße auch hier die Umsetzung auf beträchtliche Hürden. Die Frage, wer das bezahlen soll, ist vermutlich noch die kleinste. Viel schwieriger dürfte es sein, im besonders dichten Dickicht des Bildungsföderalismus eine bundesweit einheitliche Linie hinzukriegen.
Aber das soll in einem Grundsatzprogramm ja niemanden stören, in dem der Ruf nach dem Dienst ohnehin eher allgemein formuliert würde. „Der wichtigste Punkt ist: Wir brauchen etwas, was uns zusammenbindet“, hat Kramp-Karrenbauer in Sachsen gesagt. Das war gesellschaftlich gemeint. Doch man kann es getrost auch auf das Binnenleben der CDU beziehen.