Unvereinbarkeit der Union mit der Linken: Die CDU-Absage an Ramelow ist falsch
Die Union muss zwischen Personen und Parteien differenzieren. Mit Thüringens Regierungschef sollte sie koalieren. Er ist kein Linker. Ein Kommentar.
Prinzipien sind richtig und notwendig in der Politik. Ohne Grundsätze wird sie beliebig, unglaubwürdig oder sogar opportunistisch. Prinzipien dürfen aber nicht zu einem abstrakten Maßstab werden, den man ohne Rücksicht auf die konkrete Wirklichkeit anwendet. Denn dann macht sich Politik handlungsunfähig. Und ebenfalls unglaubwürdig.
Diesen Fehler begeht die CDU gerade in Thüringen. Sie erweist sich als unfähig, zwischen Parteien und Personen zu differenzieren, hier zwischen der Linken im Allgemeinen und Bodo Ramelow im Besonderen. Die Bundespartei besteht auf dem Unvereinbarkeitsbeschluss, den der Parteitag im Dezember 2018 in Hamburg gefasst hatte. Darin heißt es: "Die CDU Deutschlands lehnt Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit sowohl mit der Linkspartei als auch mit der Alternative für Deutschland ab."
Eigentum, Nato, DDR: Die Motive treffen auf Ramelow nicht zu
Der Landesverband Thüringen unter Mike Mohring hat sich am Mittwoch dem Druck gebeugt. Er will weder mit dem Wahlsieger Bodo Ramelow und seiner Linken koalieren, noch eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung tolerieren und damit den Fortbestand der bisherigen Koalition ermöglichen.
Aber folgt die CDU damit wirklich dem Sinn des Unvereinbarkeitsbeschlusses? Im Hamburger Beschluss stehen keine Kriterien, warum die CDU mit der Linken nicht könne. In der öffentlichen Debatte indes dominieren drei Motive. Die Linke bekenne sich, erstens, nicht zur Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung; sie stelle zum Beispiel das Privateigentum in Frage. Sie bekenne sich, zweitens, nicht zur Nato und zur Allianz mit den USA und untergrabe damit die Sicherheit der Bundesrepublik. Und sie habe, drittens, ihr Verhältnis zu den Verbrechen der DDR nicht geklärt.
Berlins SPD müsste für die Union problematischer sein
Nach diesen Maßstäben müsste die CDU mit Bodo Ramelow koalieren können; hingegen müsste sie eine Zusammenarbeit mit einigen SPD-Landesverbänden, zum Beispiel auch dem in Berlin, ausschließen. Und ebenso natürlich mit Sahra Wagenknechts Kommunistischer Plattform. Bodo Ramelow ist ein gläubiger Christ und gelernter Gewerkschafter, der ohne große Verrenkungen im Arbeitnehmerflügel der Union, der CDA, einen Platz finden könnte. Thüringen hat er in den letzten vier Jahren im Großen und Ganzen wie ein über den Parteien stehender Landesvater regiert. Er unterstützt Privatunternehmen und stellt Privateigentum nicht in Frage. Über außen- und sicherheitspolitische Orientierungen der Bundesrepublik entscheidet eine Landesregierung ohnehin nicht.
Sein Umgang mit der DDR ist einerseits schillernd. Im Koalitionsvertrag seiner rot-rot-grünen Regierung von 2015 wird die DDR als „Unrechtsstaat“ bewertet; davon ist er im Wahlkampf 2019 abgerückt: "Der Begriff 'Unrechtsstaat' ist für mich persönlich unmittelbar und ausschließlich mit der Zeit der Naziherrschaft verbunden", sagte er. Andererseits ist Ramelow klar in seiner Verurteilung der DDR: „Die DDR war eindeutig kein Rechtsstaat.“ In der thüringischen Linksfraktion sitzen zwar einige Leute, die in der DDR keine Diktatur sehen wollen oder sich gar nie von der Stasi losgesagt haben. Aber das ist eine Minderheit, die kein Hindernis sein sollte, weil Ramelow das Sagen hat.
Unterscheiden zwischen Pragmatikern und Ideologen
Warum bringt es die CDU nicht fertig, zwischen Personen und ihren Parteien zu unterscheiden? Und die Öffnung eines wichtigen Teils der Linken als Erfolg – auch als ihren Erfolg – darzustellen? Sie könnte sagen: Bodo Ramelow ist kein Linker. Er ist vielleicht in der falschen Partei. Aber das ist nicht unser Problem. Es ist das Problem der Linken, wenn einer wie Ramelow sich nicht am Parteiprogramm orientiert. Mit so einem können wir koalieren. Das gilt freilich nicht für ideologische Betonköpfe in manchen westlichen Landesverbänden der Linken, etwa in Nordrhein-Westfalen. Oder für die Kommunistische Plattform. Gegenüber ihnen gilt die Unvereinbarkeit weiter.
Die CDU muss eine Antwort finden, wie sie mit der neuen Realität umgeht. Zu der gehören Ministerpräsidenten, die als Person bei den jüngsten Wahlen weit mehr Zustimmung finden als ihre jeweiligen Parteien – von Baden-Württemberg über Brandenburg und Sachsen bis Thüringen. Ganz besonders stechen dabei der „Grüne“ Winfried Kretschmann in Stuttgart heraus, der sich auf ähnliche Weise längst vom Programm der Grünen gelöst hat und sich in einen autofreundlichen Landesvater verwandelt hat, und der „Linke“ Bodo Ramelow in Erfurt, der ebenfalls ein Landesvater ohne engere Bindung an das Programm seiner Partei ist.
Die CDU muss ihren Unvereinbarkeitsbeschluss mit Blick auf Koalitionen mit der AfD und der Linken nicht aufheben. Aber sie muss einen Weg finden, ihn flexibel anzuwenden, wenn der konkrete Einzelfall mit der grundsätzlichen Absicht wenig zu tun hat. Und wenn der personifizierte Koalitionspartner für eine gedeihliche Zusammenarbeit durchaus in Frage kommt. Wie in Thüringen.