Bundestag verlängert Auslandseinsatz: Die Bundeswehr bleibt in Afghanistan
Die Situation in Afghanistan macht den Abzug der Bundeswehr unrealistisch.
Als Winfried Nachtwei im vorigen März aus Afghanistan zurückkam, hatte er ein mulmiges Gefühl. Dem früheren Grünen-Wehrexperten schien arg viel Zweckoptimismus hinter dem Plan der Amerikaner und der Deutschen zu stecken, die Sicherheit am Hindukusch der afghanischen Armee zu überlassen. „Ihr habt die Uhr“, zitierte Nachtwei in seinem Reisebericht ein geflügeltes Wort von Einheimischen an die Westler, „aber wir haben die Zeit.“ Ein halbes Jahr später eroberten die Taliban die Stadt Kundus. Jetzt hat der Bundestag daraus die Konsequenz gezogen: Die Bundeswehr zieht nicht aus Afghanistan ab, sie stockt im Gegenteil sogar auf und bleibt – mit offenem Ende.
Formal gilt das Mandat für die „Resolute Support“-Mission, das das Parlament am Donnerstag billigte, wie bei deutschen Militäreinsätzen üblich für ein Jahr, also bis Ende 2016. Es umfasst bis zu 980 Soldatinnen und Soldaten, 130 mehr als momentan. Inhaltlich geht es vor allem um die weitere Ausbildung der afghanischen Regierungstruppen, speziell was die Kooperation mit der Polizei und überhaupt die Führungsfähigkeit angeht.
Das ist nicht zuletzt eine Schlussfolgerung aus dem Fall Kundus: Als die Taliban Ende September die Stadt überrannten und für mehrere Tage in ihrer Gewalt halten konnten, hatten sie die afghanischen Sicherheitskräfte unvorbereitet erwischt. Aber auch die Rückeroberung nach einigen Tagen klappte nur dank US-Unterstützung aus der Luft, vor allem zur Aufklärung der Lage – eine Fähigkeit, die die Afghanen auf absehbare Zeit selbst nicht haben werden.
Ein Ende des Einsatzes ist nicht in Sicht
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) gab denn auch in der Debatte im Bundestag unumwunden zu, dass der alte Plan zum kompletten Abzug bis 2017 zu ehrgeizig gewesen sei. Die Afghanen hätten nach dem Ende des Nato-Kampfeinsatzes ein „sehr hartes Jahr“ hinter sich.
Trotzdem müsse auch die Regierung in Kabul ihre eigenen Anstrengungen verstärken, die Lage im Land zu verbessern: „Unsere Botschaft ,Wir bleiben länger‘ ist kein Blankoscheck.“
Darauf, dass hinter der Revision auch ein sehr aktuelles innenpolitisches Motiv steckt, ging die Ministerin nicht weiter ein. Das blieb dem SPD-Außenpolitiker Nils Annen überlassen: zu glauben, man könne Flüchtlinge nach Afghanistan zurückschicken, sei angesichts der Sicherheitslage „unrealistisch“. Das sieht der Unionsteil der Bundesregierung bekanntlich anders; dort ist von „Sicherheitszonen“ etwa rund um das Nato-Lager Mazar-i-Sharif die Rede, in dem auch die Bundeswehr ihren Sitz hat, und davon, dass ganze Landesteile durchaus sicher vor Taliban-Terror seien.
Afghanen sind zeitweise nach den Syrern die zweitgrößte Flüchtlingsgruppe in dem großen Treck nach Deutschland, darunter oft junge Männer, die die vom Westen installierten Bildungsinstitute erfolgreich durchlaufen haben und jetzt im eigenen Land keine Zukunft mehr sehen.
Die Opposition lehnt das neue Mandat überwiegend ab
Der Großteil der Opposition lehnte das Mandat ab. Die Linken-Verteidigungssprecherin Christine Buchholz sprach von einem „Kriegseinsatz“ unter dem Deckmantel einer Ausbildungsmission und forderte ein Ende für den „Endloskrieg“ am Hindukusch. Das ist nur konsequent: Die Linke hat den Einsatz immer schon abgelehnt. Auch ihre Grünen-Kollegin Agnieszka Brugger stieß sich aber daran, dass ein Ende jetzt nicht mehr absehbar sei. Da drohe ein „gefährlicher Rutschbahneffekt“ zurück in einen deutschen Kampf- und Kriegseinsatz.
Tatsächlich hält es die Bundesregierung, was den Zeithorizont angeht, eindeutig mit Bruggers Vorgänger. Leyen machte deutlich, dass es für den endgültigen Rückzug keinen festen Zeitplan mehr geben soll. Der richte sich vielmehr danach, welche Fortschritte gemacht worden seien. Nachtwei kann im nächsten Reisebericht das Motto also abwandeln: „Wir haben die Uhr, aber wir nehmen uns die Zeit.“