Russischer Auftragsmord in Berlin: „Die Bundesregierung will den Fall herunterspielen“
Wegen des Auftragsmords an einem Georgier wird Russlands Botschafter ins Auswärtige Amt gebeten. Vertretern der Opposition geht das nicht weit genug.
Ein begründeter Verdacht stand schon kurz nach der Tat im Raum: Im Fall des in Berlin ermordeten Georgiers führte die Spur nach Russland, und zwar zu russischen Geheimdiensten. Mit der offiziellen Anklageerhebung ist aus dem Fall endgültig ein Politikum geworden. Denn die Bundesanwaltschaft wirft dem russischen Staat vor, einen politisch motivierten Mord auf deutschem Boden befohlen zu haben: „Staatliche Stellen der Zentralregierung der Russischen Föderation“ hätten den Auftrag erteilt, den georgischen Staatsbürger tschetschenischer Abstammung zu „liquidieren“. Ein derart klares Statement bringt nun die deutsche Außenpolitik in Zugzwang.
Seit den tödlichen Schüssen im Kleinen Tiergarten wurde in Regierungskreisen darauf verwiesen, dass vor einer offiziellen Reaktion erst die Ergebnisse der Ermittlungen abgewartet werden müssten. Zwar wies die Bundesregierung im Dezember vergangenen Jahres zwei Mitarbeiter der russischen Botschaft in Berlin aus, die dem Militärgeheimdienst GRU angehörten. Doch dieser Schritt wurde nicht mit der Rolle des russischen Staates in diesem Fall begründet, sondern allein damit, dass Moskaus Behörden nicht ausreichend zur Aufklärung des Verbrechens beitrügen.
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Nun liegen die Ergebnisse der Ermittlungen vor. Und wie reagierte die deutsche Außenpolitik auf den „außerordentlich schwerwiegenden Vorgang“, wie Minister Heiko Maas (SPD) sagte? Der russische Botschafter Sergej Netschajew wurde am Donnerstag zum Gespräch ins Auswärtige Amt gebeten. Weitere Maßnahmen behalte sich die Bundesregierung ausdrücklich vor, betonte Maas. Moskaus Botschafter wies die Vorwürfe zurück – und drohte den Deutschen im Fall von weiteren Schritten mit Gegenmaßnahmen.
Botschafter wurde nicht einbestellt
Die Reaktion der Bundesregierung stößt in der Opposition auf Unverständnis. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Manuel Sarrazin kritisierte, dass der russische Botschafter nicht einmal offiziell einbestellt worden sei. In den Eskalationsstufen, die der Diplomatie zur Verfügung stehen, liegt die Bitte zum Gespräch noch unter der Einbestellung. „Die Bundesregierung will den Fall herunterspielen“, sagte Sarrazin dem Tagesspiegel. „Das ist ein Skandal.“
Im Umgang mit Russland sei „Ängstlichkeit“ vollkommen unangebracht, sagte Sarrazin, der bei den Grünen für Osteuropapolitik zuständig ist. „Es ist absolut notwendig, ein klares Zeichen gegen das Morden des Kremls in ganz Europa zu setzen.“ Die Bundesregierung müsse aus dem Fall klare Konsequenzen ziehen, und zwar in Absprache mit den europäischen Partnern. Nach dem Anschlag auf den russischen Ex-Spion Sergej Skripal und seine Tochter im britischen Salisbury 2018 hatte eine große Mehrheit der EU-Staaten russische Geheimdienstler ausgewiesen, die als Diplomaten an den jeweiligen Botschaften akkreditiert waren.
„Personenbezogene Sanktionen in Erwägung ziehen“
Auch die FDP forderte die Bundesregierung zu einer deutlicheren Reaktion auf. Weitere Konsequenzen müssten nun folgen, sagte der FDP-Abgeordnete Bijan Djir-Sarai. „So sollten mindestens personenbezogene Sanktionen in Erwägung gezogen werden“, betonte der außenpolitische Sprecher der Liberalen. „Wenn die Bundesregierung und auch die europäischen Partner weiterhin passiv jede Provokation hinnehmen, wird wohl kaum eine Verhaltensänderung auf russischer Seite zu erwarten sein.“
Das deutsch-russische Verhältnis wird derzeit auch durch den Hackerangriff auf den Bundestag im Jahr 2015 schwer belastet. In diesem Fall sind es ebenfalls die Ermittlungen des Generalbundesanwalts, die nun die Bundesregierung in Zugzwang bringen. Die Bundesanwaltschaft erwirkte einen Haftbefehl gegen den Russen Dmitri Badin, der als Mitarbeiter des GRU an dem Angriff beteiligt gewesen sein soll. Im Mai bat das Auswärtige Amt deshalb Botschafter Netschajew zum Gespräch – und kündigte zugleich Sanktionen auf EU-Ebene an. Erstmals soll innerhalb der Europäischen Union eine neue Regelung Anwendung finden, die Sanktionen gegen Personen und Einrichtungen ermöglicht, die für Cyberangriffe verantwortlich sind. Es wird erwartet, dass gegen Badin und weitere Russen Einreiseverbote verhängt werden.