Holocaust-Gedenktag: Die Bundesregierung muss die Juden in Deutschland schützen
Die moralische Pflicht, die der Holocaust jeder deutschen Regierung auferlegt, besteht nicht allein im Erinnern. Es muss jeder Gefahr der Wiederholung entgegengewirkt werden. Ein Kommentar.
So viel lastet schon auf ihr. Und nun auch das. Sie muss es wissen. Wo Angela Merkel doch weiß, dass ihre Politik der Humanität, die Hunderttausenden Zuflucht in Deutschland gewährt, nicht nur Widerspruch hervorruft, sondern auch Gefahren mit sich bringt. Ja, Gefahren.
Zukunft wird in immerwährender Verantwortung für das Geschehene gestaltet, weiß die Bundeskanzlerin. Das sagt sie auch. Und das gilt. Vor allem und erst recht, wenn der Holocaust-Gedenktag ernst genommen wird, wenn also Gedenken einen aktuellen Auftrag beinhaltet.
Merkel hat es selbst bereits anklingen lassen. Unter den vielen, die nach Europa und ganz besonders nach Deutschland kommen, sind Islamisten, sind Muslime, die alles andere und vor allem alles Jüdische ablehnen. Die streben nicht nach den Idealen der Aufklärung; und von denen sind manche nicht nur in ihren Sprüchen radikal.
Die Gefahren haben sich gezeigt. Sie können Terror in der Form von Anschlägen sein, wie in Paris. Es kann aber auch verbaler Terror sein, wie in Berlin. Den haben jüdische Deutsche hier erlebt. So ist es nicht verwunderlich, dass die Zahl der Juden wächst, die Europa verlassen wollen, weil sie sich nicht mehr sicher fühlen. Hier in Europa – und vielleicht auch bald in Deutschland?
Dabei ist dieses Land historisch gesehen einen Wimpernschlag nach dem Kulturbruch, dem Zivilisationsbruch, nach dem Holocaust doch froh und zuweilen auch stolz darauf, dass wieder jüdische Gemeinden gewachsen sind. Und dass junge Israelis über die Jahre hinweg Berlin cool finden. Auch in Zukunft? 9880 Juden verließen im vergangenen Jahr Europa, die meisten Franzosen. Die Zahl wird wachsen. Das israelische Kabinett beschäftigt sich mit dem Thema, und es wird eines sein, wenn sich das Kabinett Merkel mit dem von Benjamin Netanjahu Mitte Februar zu den sechsten Regierungskonsultationen trifft, in Berlin.
"Schützt und bewahrt die Rechte eines jeden Menschen"
Ja, das alles weiß sie, die Kanzlerin. Sie hat gerade die Ausstellung im Deutschen Historischen Museum eröffnet, wo bis April 100 Kunstwerke aus der Zeit des Holocaust gezeigt werden; Kunstwerke aus den Lagern, die erstmals aus der Gedenkstätte Yad Vaschem in Jerusalem hierherkommen. Da hat Merkel es aufs Neue gesagt: dass nichts selbstverständlich ist; dass diese vielfältige Verbundenheit zwischen Deutschland und dem Staat der Juden vielmehr wie ein Wunder ist. Das gehört, selbst wenn sie es diesmal nicht gesagt hat, zur Staatsräson.
Der angemessen muss ihre Regierung handeln, im Verhältnis zu den Feinden Israels wie in der Behandlung derer, die jüdische Deutsche bedrohen. Sie muss deren Sicherheit garantieren, und zwar nicht als Letztes, eben weil Erinnerung nicht enden darf und auch „künftige Generationen zur Wachsamkeit mahnen“ soll. Es soll doch jeder Gefahr der Wiederholung entgegengewirkt werden. Das sind Worte des Bundespräsidenten Roman Herzog zur Einführung des Holocaust-Gedenktags im Januar 1996, heute vor 20 Jahren.
Die moralische Pflicht, die auf der deutschen Regierung liegt, besteht nicht allein im Erinnern. Vielmehr ergibt sich daraus ein Auftrag, einer, der schon besteht, aber jetzt noch einmal buchstäblich gegenwärtig wird. Er lautet so, wie der heutige Präsident Joachim Gauck im Vorjahr für kommende Zeiten gesagt hat: „Schützt und bewahrt die Mitmenschlichkeit. Schützt und bewahrt die Rechte eines jeden Menschen.“
Diese Zeiten: Deutschland hat sich neu auf das Miteinander unterschiedlicher Kulturen und Religionen zu verständigen. Zeiten, in denen Gemeinschaft nur gedeihen kann, wenn die Würde des Einzelnen geachtet und Solidarität gelebt wird. Darauf sind alle zu verpflichten, alle, die hier leben, wie auch alle, die hierherkommen.
Die Bundeskanzlerin muss wissen: Kommen in diesen Zeiten Juden in Deutschland zu Schaden, lastet das schwer auf ihrer Regierung. Zu schwer.