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Karlspreis-Träger unter sich: Martin Schulz (2015) und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in Aachen.
© Thilo Schmuelgen/REUTERS

Die SPD und Macrons Reformpläne: Die Bremser sind immer die anderen

CDU und CSU blockierten die EU-Reform, schimpft die SPD-Führung. Nun fordern Sozialdemokraten, die eigene Partei müsse bei dem Thema offensiv werden.

In der SPD steigt der Druck auf Parteiführung und Regierungsmitglieder, in der Europapolitik mehr Einsatz zu zeigen. In der Bundestagsfraktion gibt es Befürchtungen, nach den EU-Reformvorschlägen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron könne die SPD eine Chance vertun, wenn sie sich nicht stärker vom zurückhaltenden Kurs der Regierungspartner CDU und CSU absetzt. "Historische Zeitfenster bleiben nicht ewig geöffnet“, warnt Fraktionsvize Achim Post: „Deshalb ist jetzt die Stunde des Handelns, nicht das Jahr des Abwartens."

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller warb dafür, den gescheiterten Kanzlerkandidaten Martin Schulz als Spitzenkandidaten für die Europawahl 2019 aufzustellen. "Martin Schulz ist der deutsche Europapolitiker schlechthin", sagte Müller dem "Spiegel": "Er steht und brennt für dieses Thema. Das nicht zu nutzen wäre fahrlässig." Der Ex-Parteichef müsse aber selbst über eine mögliche Kandidatur entscheiden, betonte er. "Ich hoffe auf jeden Fall, dass er in der SPD und darüber hinaus weiter die laute und engagierte Stimme Europas bleibt." Der frühere Präsident des Europaparlaments und spätere SPD-Vorsitzende habe das Thema Europa in die Partei getragen. Vor Müller hatte schon der Europaexperte Axel Schäfer aus der Bundestagsfraktion für den Ex-Parteichef als EU-Spitzenkandidaten geworben.

Schulz hatte als SPD-Vorsitzender maßgeblich dazu beigetragen, dass der Koalitionsvertrag schon im ersten Kapitel einen Aufbruch für Europa und dazu mehr deutsches Geld für die EU verspricht. Anfang Februar legte Schulz sein Amt als Vorsitzender nieder, nachdem sein Plan, Außenminister der neuen großen Koalition zu werden, in der SPD auf empörte Reaktionen gestoßen war. Seither ist er einfacher Bundestagsabgeordneter.

Macron hat unter anderem vorgeschlagen, ein eigenes Budget und einen Finanzminister für die Eurozone zu schaffen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) stemmt sich bisher gegen deutlich höhere Ausgaben und zeigt lediglich Bereitschaft, für Mehrkosten durch das Ausscheiden Großbritanniens aus der EU (Brexit) aufzukommen. Auch SPD-Finanzminister Olaf Scholz, der sich immer wieder zum Ziel "schwarzen Null" bekennt, weicht von dieser Linie bislang nicht ab.

Bei Macrons Kritik am deutschen "Fetischismus" wurden viele Sozialdemokraten hellhörig

Macron sprach deshalb vielen Sozialdemokraten aus dem Herzen, als er bei der Dankesrede für den Internationalen Karlspreis vergangene Woche Deutschland einen zu strikten Sparkurs und mangelnden Mut bei der Reform Europas vorwarf. Macron forderte die Bundesregierung zu höheren EU-Ausgaben auf und kritisierte einen "Fetischismus" für Budget- und Handelsüberschüsse. In der SPD horchten viele auf. Vor allem der linke Parteiflügel hält das strikte Nein von Scholz zu neuen Schulden für falsch.

Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles macht allein die Union für mangelnde Fortschritte bei der Reform der EU verantwortlich. Von CDU und CSU seien "sehr viele rote Linien" genannt worden, "die ich nicht akzeptieren kann", warnte sie kürzlich. Doch etliche SPD-Politiker wünschen sich konkrete Antworten auf Macron von sozialdemokratischen Regierungsmitgliedern, auch um so ihre gebeutelte Partei zu stärken.

Erstmals biete der Koalitionsvertrag "Chancen zu einem neuen Miteinander der Völker in Europa", sagte Fraktionsvize Rolf Mützenich dem Tagesspiegel. Nicht mehr administratives Regierungshandeln stehe im Mittelpunkt deutscher Europapolitik, sondern der Abbau struktureller Unterschiede zwischen einzelnen Regionen und die Konzentration auf Diplomatie, Kooperation und Sicherheit. Angesichts der dramatischen Verschiebungen in der internationalen Politik müsse nun jedem klar sein, dass Deutschland eine "bedeutende und tatkräftige Rolle" in Europa übernehmen müsse. "Klare, auch finanzielle Signale sind Chancen für die thematische Profilierung der SPD und sind eine gemeinschaftliche Aufgabe", forderte Mützenich.

Auch Schäfer warnte: "Wo Macron die Hände ausstreckt, da verstecken bei uns zu viele die Hände hinter dem Rücken." Und sein Fraktionskollege Christian Petry kündigte an: "Wir werden die Bundesregierung in die Pflicht nehmen." Der Koalitionsvertrag gelte und die SPD-Bundestagsfraktion werde „sicherstellen, dass er zügig umgesetzt wird".

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