Dieselgate: Die bedrängte Branche der Stink-Reichen
Die Autoindustrie steht vor grundsätzlichen Umwälzungen. Dass ihre Topmanager das nicht früher erkannt haben, kann kein Argument dafür sein, jetzt von Staats wegen zu helfen. Ein Kommentar
Dass das Auto dem Menschen Mobilität verschafft, und Mobilität für Unabhängigkeit und Freiheit steht, das ist der Humus, auf dem die Autoindustrie prächtig gedieh. Aber das Konzept kommt an sein Ende.
Wenn der deutschlandweite Verkehrsfunk morgens aus Zeitmangel nur noch die Staus meldet, die länger als acht Kilometer sind (was abzulaufen knapp 80 Minuten strammen Fußmarsch erfordern würde), dann sind in dem Moment hunderttausende Autos zu Stillstandsfallen geworden, aus denen es kein Entrinnen gibt.
Wenn jetzt im Zuge der Dieselkrise dafür plädiert wird, den Kauf von (diesmal wirklich?) schadstoffärmeren Dieselautos mit staatlichen Mitteln zu fördern, dann ist das genau falsch. Jedwede Absatzhilfen bringen, wenn sie angenommen werden, im Zweifel immer noch mehr Autos auf bereits übervolle Straßen. Das kann unter Mobilitätsgesichtspunkten niemand ernsthaft wollen.
Es wäre auch deshalb Hilfe für die Falschen, weil die Autoindustrie Geld genug hat, sich aus der selbst verursachten Diesel-Misere zu retten. Erinnert sei an die Rentenbezüge von Ex-VW-Chef Martin Winterkorn, der mit 3100 Euro pro Tag den Ruhestand in Saus und Braus verleben kann. Auch andere deutsche Topmanager von Autofirmen beziehen absolute Spitzengehälter, ein Umstand, der im Licht der Ermittlungen zu Dieselgate, Kartellrechtsverstößen oder unverhohlen rechtsbrecherischen Absprachen unverdienter denn je wirkt.
Was sind das für Manager, die grundstürzende Entwicklungen wie Fahrverbote, Verbrennungsmotorverbote und wachsende E-Auto-Nachfrage nicht vorhersahen? Die bis heute nicht zu merken scheinen, wie ihr gesamtes Geschäftsmodell und sie selbst in- frage stehen? Die noch immer reflexhaft auf die vielen Arbeitsplätze verweisen, die ihre Branche sichere? Aber ist es nicht seltsam, wenn ausgerechnet sie das anführen, wo es doch so aussieht, als würden sie durch ihr zukunftsblindes Management eben diese vielen Arbeitsplätze gefährden – sie selbst und niemand sonst? Soll man das „Top“ finden?
Wenn die halbe Welt E-Autos will, muss die Branche sich ohnehin verändern
Was die hiesigen Autohersteller den Kunden in all den Jahren als innovativ anpriesen, waren Variationen vom Üblichen, die Autos wurden sogar gegen jede Vernunft und auch gegen jedes globale Verantwortungsgefühl immer noch raum- und spritfressender, passten kaum noch durch enge Innenstadtstraßen, geschweige denn in alte Parkhäuser. Blindes Verfolgen alter Pfade war das, von echtem Erneuerungsgeist keine Spur – wieso auch, der Laden lief doch.
Nicht von ungefähr kommen die bunten, überraschenden Ideen für modernes Fahren aus der vergleichsweise jungen IT-Branche und nicht von den automobilen XXL-Besitzstandswahrern. Und genau dahin gehören Fördermittel und staatliche Unterstützung, in diese kleinen smarten Nachdenk- und Entwicklungsfabriken: Sei es das solarenergiebetriebene E-Auto der Studentenfirma Sonomotors aus München oder das Projekt e.Go, das auf dem Campus der RWTH Aachen kostengünstige Kleinserien von E-Fahrzeugen herstellt, oder auch der „Mittelständler aus Baden-Württemberg“, von dem die SPD-Verkehrspolitikerin Kirsten Lühmann im Radio berichtet. Der habe „ein Gerät entwickelt, und zwar mit handelsüblichen Bauteilen“, das die Abgase von einem VW-Passat oder einem Euro-2- Bus von bis zu 90 Prozent der Stickoxide befreie. Der Mann gehört ebenso ins Rampenlicht wie die sogenannten „Autobosse“.
Dass auch in den Startups und IT-Firmen immer mehr Arbeitsplätze entstehen, ist bekannt, aber die haben bisher keine vergleichbare Anzahl, und vor allem fehlt ihnen der Nimbus von der Ingenieurskunst. Die Ingenieurskunst hat Deutschland viel gebracht – und die braucht es für E-Auto-Antriebe nicht mehr so wie bisher. Das ist für viele eine quälende Erkenntnis. Aber wohl eine unausweichliche. Denn wenn die halbe Welt, darunter der Megamarkt China, in 20 Jahren auf E-Mobilität umgeschwenkt ist, schnell und schmerzfrei, weil das Auto für die dortigen Volkspsychen nie das wurde, was es in Deutschland ist (liebstes Kind!), dann zerbröselt das Jobwunder Auto für Deutschland doch ohnehin.
Die Autoindustrie steht, wie es aussieht, vor gewaltigen Umbrüchen, ob das den Managern und Politikern hierzulande passt oder nicht. Die Entwicklung aufzuhalten liegt nicht mehr in ihrer Hand. Wenn sie Glück haben, ist der gute Ruf ihrer Markennamen so nachhaltig, dass man auch in der Post-Verbrennungsmotor-Ära am liebsten ihre Produkte kauft. Wenn sie Pech haben, schaufelt der globale Trend gerade ihr Grab.