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Willkommen: Die bayerische Wirtschaft will auf Arbeitskräfte aus Osteuropa nicht verzichten.
© dpa

Debatte um Armutszuwanderung: Die Bayern fliegen auf Bulgaren

CSU-Chef Horst Seehofer prangert die sogenannte Armutszuwanderung an. Doch viele seiner bayrischen Landsleute benötigen Ausländer als Arbeitskräfte – und loben deren Talente und Qualifikationen.

Ohne seine vier bulgarischen Auszubildenden hätte der „Krahwirt“ in Deggendorf ein massives Problem. „Niederbayern braucht junge Menschen für das Handwerk“, sagt der Betreiber des bayerischen Gasthofes. Mit deutschen Azubis hat er bisher fast nur Misserfolge erlebt: „Kaum jemand will sich noch in der Gastronomie ausbilden lassen.“ Mit den Bulgaren aber – drei Männer als Köche, eine Frau als Bedienung – ist Siegfried Zippert „hochzufrieden“. Zumindest einen möchte er auf jeden Fall weiterbeschäftigen, wenn die Lehre in eineinhalb Jahren zu Ende geht.

Während sich die CSU auf der Klausurtagung in Wildbad Kreuth unter ihrem Chef Horst Seehofer auf den harten Kurs bezüglich Zuwanderern aus Bulgarien und Rumänien eingeschworen hat, gibt es in weiten Teilen Bayerns ganz andere Probleme. In Niederbayern zum Beispiel, wo fast Vollbeschäftigung herrscht, fehlt es an Fachkräften. Handwerker und viele andere Kräfte werden gesucht. „Wir brauchen qualifizierte Zuwanderung“, sagt eine Sprecherin der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (VBW). „Durch diese Fachkräfte sind wir stark.“ VBW-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt befürwortet Zuwanderung von Arbeitskräften „ohne Wenn und Aber und unabhängig davon, aus welchem Land die Fachkräfte kommen“.

Gute Wirtschaftslage, gut Ausgebildete

Zahlen gibt es keine. Allerdings gilt es als sicher, dass die 19 Prozent Migranten dem Freistaat wesentlich mehr nutzen als schaden. Ihr Anteil ist höher als etwa in Berlin oder in Nordrhein-Westfalen. Die meisten von ihnen stammen aus Europa. Die gute Wirtschaftslage zieht vor allem gut ausgebildete Menschen an – die Münchner High-Tech-Schmieden schauen auf die Universitätsabgänger, auf dem Land sind Fachkräfte gesucht.

Integrationsbeauftragter Martin Neumeyer, CSU-Landtagsabgeordneter aus dem niederbayerischen Kelheim, wandte sich explizit gegen die Aussage „Wer betrügt, der fliegt“, die von seinen Parteifreunden verkündet worden war. Das sei „viel zu verkürzt“ und nicht sein Ton. In seinem Haus ist man sich einig, dass die Zuwanderung „ein Gewinn“ sei. In Bayern sei die Integration „gut gelungen“ und es gebe „vergleichsweise wenig Probleme“. Beim VBW-Wirtschaftsverband erinnert man an die große Debatte über Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU im Jahr 2004. Als dann die Grenzen für Arbeitnehmer aus Polen geöffnet wurden, gab es jedoch kaum Probleme.

Indiskutabler CSU-Slogan

Ein Beispiel für eine gelungene Integration ist der Maler Ludwik Z. aus Polen. In seiner Heimat nahe der Grenze zur Ukraine machte er eine Handwerkerausbildung. Dann zog es ihn nach München. Zuerst arbeitete er als angestellter Maler, dann machte er sich selbstständig. Vor drei Jahren begann er als Einmannbetrieb. Mittlerweile hat er selbst drei Beschäftigte und ist hauptsächlich mit dem Organisieren der vielen Aufträge beschäftigt. „Hier habe ich meine Chance bekommen“, sagt Z. Warum er ausgerechnet nach München gekommen ist? „Hier leben viele wohlhabende Menschen“, meint er, „es gibt am meisten Arbeit. Was soll ich in Bremen oder im Ruhrgebiet?“

In Deggendorf konnten die bulgarischen Azubis mit einem speziellen Programm des Landkreises angeworben worden, maßgeblich war dies von Landrat Christian Bernreiter (CSU) forciert worden. Auch Neumeyer bemüht sich, offene Lehrstellen an Ausländer zu vergeben. „Sprungbrett Bayern“ heißt zum Beispiel ein Praktikumsangebot. Mit der Bundesagentur für Arbeit organisiert Neumeyer eine Last-Minute-Börse für Ausbildungsplätze.

Im Blick hat er junge Asylbewerber, die häufig mit ihren Eltern nach Deutschland gekommen sind. „Ich habe festgestellt, dass gerade junge Asylbewerber oft hoch talentiert und hervorragend qualifiziert sind“, sagt er. Für die Menschen und den Freistaat sei das eine „Win-Win-Situation“.

Eine ähnliche Einschätzung haben sich auch die CSU-Bundestagsabgeordneten in Wildbad Kreuth angehört. Caritas-Präsident Peter Neher sagte dort, dass die große Mehrheit von Zuwanderern aus Bulgarien und Rumänien nach Deutschland komme, um dort zu arbeiten. Der Slogan „Wer betrügt, der fliegt“ sei indiskutabel.

Patrick Guyton

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