Konsequenzen aus dem Germanwings-Absturz: Die Aufarbeitung von 4U9525 darf nicht aus falscher Pietät ausbleiben
Nach dem Germanwings-Absturz herrscht eher Verdrängung als Wille zur Aufklärung. Es scheint fast so, als wolle weder die Lufthansa noch die deutsche Gesellschaft wahrhaben, was am Himmel über den Alpen passiert ist. Ein Kommentar.
Vor einigen Tagen beschäftigte sich die „Washington Post“ mit der Aufarbeitung des Germanwings-Absturzes. Mit Blick auf Deutschland schrieb sie: „Fast scheint es so, als wolle diese Nation sich selbst nicht die Frage stellen, was schiefgelaufen ist.“ Wäre der Absturz in den USA passiert, dann hätte die Öffentlichkeit empört nach der Verantwortung von Fluglinien, Ärzten und Ämtern gefragt, vermutete die Zeitung.
Auch in Deutschland war die Empörung groß. Doch sie richtete sich gegen die Berichterstattung im Umfeld des Unglücks – nicht gegen Personen oder Institutionen, die die Tat möglicherweise hätten verhindern können. Vielleicht war sie nicht zu verhindern, selbst durch die besten Tests und Therapeuten nicht. Auch Staatsanwälte werden das wohl nicht aufklären können. Umgekehrt bedeutet dies aber nicht, dass man den Fall wie eine Art Naturkatastrophe behandeln sollte. Sonst besteht die Gefahr, dass eine grundsätzliche Aufarbeitung ausbleibt, aus falsch verstandener Pietät.
In der Rückschau muten manche Sätze des Lufthansa-Chefs merkwürdig an
Lufthansa-Chef Carsten Spohr ist in den Tagen nach dem Absturz hochgelobt worden für seine Auftritte, die er mit Fingerspitzengefühl absolvierte. Auch für ihn wird es eine emotional schwierige Situation gewesen sein, in der er nicht jedes Wort abwägen konnte. Er sagte aber Sätze wie diesen: „Kein Sicherheitssystem der Welt kann einen solchen Einzelfall verhindern.“ In der Rückschau mutet das merkwürdig an. Es ist ein Satz, der am Ende einer Untersuchung stehen kann. Aber nicht am Anfang. Fast scheint es so, als wolle weder die Lufthansa noch die deutsche Gesellschaft wirklich wahrhaben, was am Himmel über den französischen Alpen passiert ist.
Menschlich ist das durchaus verständlich, denn der Beruf des Piloten lebt von der Perfektionsvermutung – und von dem Vertrauen, das in ihn gesetzt wird. Wie der des Arztes. Nur: Vertrauen allein reicht nicht aus. Auch wenn die Lufthansa sich juristisch nichts hat zuschulden kommen lassen, wonach es im Moment aussieht: dass Piloten sich ihre Fliegerärzte selbst aussuchen können und diese dann wiederum autonom über Meldungen an die Aufsichtsbehörde entscheiden, wirkt wie das Relikt eines überkommenen Standesbewusstseins und nicht wie der Ausweis einer modernen Sicherheitskultur.
Mit einer Stigmatisierung von Betroffenen hat dies nichts zu tun. Eher hat die Debatte gezeigt, dass der Umgang mit psychischen Krankheiten in Deutschland so unbefangen nicht ist. Der Hinweis darauf, dass nicht jede Depression zur Suizidgefährdung führt, wäre ansonsten überflüssig gewesen. Nach wie vor gilt zum Beispiel eine frühere Psychotherapie als Hindernis beim Abschluss einer Versicherung gegen Berufsunfähigkeit. Bestraft statt gewürdigt wird der, der sich helfen lassen will.
Der Stolz der Lufthansa darf nicht dazu führen, Sicherheit als selbstverständlich anzunehmen
„100 Prozent fit to fly“ sei der Kopilot von Flug 4U9525 gewesen, sagte Spohr. Auch das war im Rückblick keine besonders glückliche Antwort. Formal zwar korrekt, aber die Lufthansa wusste da schon von dessen früherer Suizidgefährdung.
Der Stolz der „Lufthanseaten“ beruht darauf, bei einer besonders sicheren Airline zu arbeiten. Dieser Stolz aber darf nicht dazu führen, Sicherheit als selbstverständlich anzunehmen. Im Sommer 2014 war die Airline noch über die umkämpfte Ostukraine geflogen, als Konkurrenten dies längst für zu gefährlich hielten. Man habe sich auf die ukrainischen Behörden verlassen, teilte Lufthansa damals mit. Für einen Konzern mit diesen Ansprüchen ist das zu wenig.