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Joachim Herrmann (CSU), Innenminister von Bayern, hat sich gegen den "Spurenwechsel" ausgesprochen, der abgelehnten Asylbewerbern mit Arbeitsplatz einen Verbleib in Deutschland ermöglichte.
© Peter Kneffel/dpa

Debatte zum Einwanderungsgesetz: Die Angst vor der Angst der Anderen

Die Vorbehalte gegen den „Spurwechsel“ für integrierte Asylbewerber sind mehrfach falsch. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Robert Birnbaum

Joachim Herrmann mag keinen Spurwechsel. Da es ihm nicht um den Straßenverkehr geht, sondern um die Asylpolitik, darf das auf den ersten Blick keinen verwundern. Klassische Innenpolitiker haben sich immer dagegen gewehrt, dass Menschen vom Asyl- in ein Zuwanderungsverfahren wechseln können, um hier zu leben und zu arbeiten. Genau so klassisch ist das Argument, das der bayerische Minister vorbringt: Der Spurwechsel drohe, das Fluchtziel Deutschland attraktiver zu machen. Das klingt plausibel. Trotzdem ist Herrmann auf der falschen Spur.

Es fängt schon damit an, dass sein eigener Ministerpräsident gerade in jedem Bierzelt das schiere Gegenteil verkündet: Dass Asylbewerber, die sich bestens integriert und Arbeit gefunden haben, nach Jahren plötzlich abgeschoben werden sollten, verstehe kein Mensch. Markus Söder weiß, warum er so spricht. Denn vor allem Betriebe, die froh waren, auf dem leer gefegten Markt überhaupt Lehrlinge gefunden zu haben, verstehen das nicht. Nicht jeder Flüchtling ist geeignet, schon richtig. Die, die sich engagieren, tun es dafür oft mit Eifer.

Den Spurwechsel auf Zeit gibt es schon

Übrigens gibt es ja schon einen Spurwechsel – auf Zeit. Seit 2016 werden Asylbewerber nicht abgeschoben, solange sie in einer Ausbildung sind, und dürfen danach unbehelligt zwei weitere Jahre arbeiten. Dahinter steckte die richtige Idee, dass es für alle besser ist, wenn ein junger Mensch etwas lernt und tut, als wenn er aus erzwungener Langeweile dummes Zeug anstellt. Dazu kam die Hoffnung, dass er später zu Hause als Qualifizierter sein Leben bestreiten kann und nicht gleich wieder an Europas Grenzen auftaucht.

Nur eben – die hiesige Wirtschaft braucht Arbeitskräfte. Gerade in Herrmanns boomendem Bayern fehlen sie. Dass bloß wegen eines Prinzips gut Ausgebildete gehen müssen und statt ihrer irgendwann andere als Zuwanderer kommen sollen, bei denen die Integration von vorne losgeht, ist sinnlose Verschwendung von Lebenszeit.

Spätestens auf den zweiten Blick zieht nämlich auch Herrmanns Sorge vor einer Sogwirkung nicht mehr. Oder traut der Landesinnenminister etwa dem Kollegen Bundesinnenminister nicht zu, dass der das Konzept der „Anker“- Zentren erfolgreich umsetzt?

Deren erklärtes Ziel ist schließlich, Tempo zu machen. Wenn aber bis zum Asylbescheid nicht mehr Jahre vergehen, bloß weil die deutsche Bürokratie nicht nachkommt, sollte sich das Problem der späten Abschiebung erledigen. Umgekehrt müsste auch rasch klar sein, dass ein Flüchtling als Anerkannter, Geduldeter oder – aus welchen Gründen auch immer – nur schwer Abzuschiebender bis auf Weiteres bleiben wird.

Warum soll man schwer Abzuschiebenden, die arbeiten kein normales Aufenthaltsrecht erteilen?

Was spricht dagegen, solchen Menschen als Belohnung für Sprachfleiß, Bildungs- und Arbeitswillen ein normales Aufenthaltsrecht in Aussicht zu stellen? Erst recht, wenn das Ergebnis so sehr im deutschen Eigeninteresse liegt?

Dagegen spricht die Angst. Die Angst vor der Angst vor Fremden, die Angst vor dem Neid und vor denen, die beides zu schüren wissen. Doch so wie die demographischen Dinge liegen, mit niedrigen Geburtenraten, ist die Einwanderungsgesellschaft sowieso die einzige Alternative zur sachte verdämmernden Altenrepublik. Joachim Herrmann will ausgerechnet Pflegekräfte vom Spurwechselbann ausnehmen. Ahnt er, was für ein schiefes Signal er da sendet?

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