Aktivisten weltweit bedroht: Die Angst geht um bei den Gegnern des saudischen Kronprinzen
Nach dem Mord an Jamal Khashoggi macht die saudische Führung im Westen nach wie vor Jagd auf Regierungsgegner. Auch auf saudische Aktivisten in Deutschland.
Als der in Oslo lebende arabische Aktivist Iyad al Baghdadi Ende April seine Haustür öffnete, standen zwei Beamte des norwegischen Inlandsgeheimdienstes PST vor ihm. Sie brachten Baghdadi in einem Wagen zu einem abhörsicheren Ort, weitere Beamte in einem Begleitfahrzeug sollten sicherstellen, dass sie nicht verfolgt wurden. Die Regierung von Saudi-Arabien habe es auf ihn abgesehen, eröffneten die PST-Agenten anschließend dem Dissidenten.
Baghdadi ist einer von mindestens drei Aktivisten in westlichen Staaten, die als Kritiker des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman, genannt MBS, bekannt sind und in jüngster Zeit vor Anschlägen gewarnt wurden.
Auch MBS-Gegner Omar Abdulaziz in Kanada und ein weiterer Aktivist, der in den USA lebt und namentlich nicht genannt werden will, erhielten Besuch von den Sicherheitsbehörden, wie das Magazin „Time“ berichtete. Die Hinweise seien vom US-Geheimdienst CIA gekommen, meldeten „Time“ und die britische Zeitung „Guardian“ übereinstimmend.
Einige Regimegegner verzichten auf Reisen - zu gefährlich
Abdulaziz ist nach eigener Darstellung bereits seit Längerem im Visier der Saudis. So sei sein Telefon abgehört worden. Im vergangenen Jahr teilte der Aktivist auf Twitter mit, zwei seiner Brüder und einige seiner Freunde in Saudi-Arabien seien festgenommen worden.
Die weltweite Entrüstung nach dem Mord an dem Dissidenten Khashoggi hält Saudi-Arabien also nicht davon ab, gegen weitere Regimekritiker im Westen vorzugehen. Auch in Deutschland lebende Oppositionelle halten es für möglich, dass sie zu Zielen von Anschlägen werden.
Der in Berlin lebende saudische Menschenrechtler Ali Adubisi sagte, er fühle sich in der Bundesrepublik zwar sicher; doch er verzichte auf Reisen in den arabischen Raum, in die Türkei und in andere Länder. Er wisse, dass ein saudischer Haftbefehl gegen ihn vorliege.
Der Prinz duldet keine Kritik
Baghdadi, der aus den Palästinensergebieten stammt und seit 2015 politisches Asyl in Norwegen hat, ist dem Regime in Riad schon seit Langem ein Dorn im Auge. Über Twitter und bei einer Pressekonferenz in Oslo teilte Baghdadi mit, dass es in dem zwei- bis dreistündigen Gespräch mit dem PST im April um saudische Drohungen gegen ihn ging.
Solange er in Oslo bleibe, sei er „einigermaßen sicher“. Er soll bald Polizeischutz erhalten. „Experten haben mir gesagt, meine Familie sei ein leichtes Ziel.“ Er hoffe, dass sich die norwegischen Behörden auch um seine Angehörigen kümmerten.
Warum er bei der saudischen Führung als Gegner gilt, ist klar: Nach dem Mord an Khashoggi im September haben Aktivisten wie Baghdadi oder Abdulaziz die Arbeit des Ermordeten fortgesetzt. Der saudische Kronprinz will aber keine Kritik an seiner Politik hinnehmen. Wenn MBS ihm nicht nach dem Leben trachte, mache er wohl etwas falsch, sagte Baghdadi einmal.
Die Regierung in Riad weist alle Anschuldigungen zurück. Er habe noch nie von Baghdadi gehört, sagte Außenamts-Staatsminister Adel al Dschubeir, nachdem der Aktivist die saudischen Drohungen öffentlich gemacht hatte. Vielleicht wolle Baghdadi mit den Vorwürfen nur erreichen, dass er auf Dauer in Norwegen bleiben könne, sagte Dschubeir.
Allerdings sind die saudische Führung im Allgemeinen und Dschubeir im Besonderen in solchen Dingen nicht unbedingt glaubwürdig. Riad hatte im vergangenen Jahr den Mord an Khashoggi zuerst abgestritten und später als nicht genehmigte Einzelaktion von Beratern von Kronprinz bin Salman bezeichnet. Der Thronfolger selbst habe nichts davon gewusst. Dschubeir – damals noch Außenminister – warf den westlichen Medien „Hysterie“ vor.
Die CIA verfügt nach eigenen Angaben über starke Hinweise darauf, dass MBS den Mord an Khashoggi anordnete. Vergangenes Jahr war dem Geheimdienst vorgeworfen worden, Khashoggi nicht vor möglichen Mordplänen gewarnt zu haben. Mit den Mitteilungen an die PST in Norwegen und andere Geheimdienste will die CIA nun sichergehen, dass Mordpläne rechtzeitig durchkreuzt werden.
Empörung, aber nicht mehr
Der Mord an Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul hatte zwar internationale Empörung ausgelöst, doch konkrete Sanktionen gegen Riad wie der deutsche Rüstungsexport-Stopp blieben die Ausnahme. US-Präsident Donald Trump steht zum saudischen Kronprinzen.
Prinz Chalid bin Farhan al Saud, ein Mitglied des saudischen Herrscherhauses, gehört ebenfalls zu den Regimekritikern, die nach Deutschland geflohen sind und unter Polizeischutz stehen. Nach dem Mord an Khashoggi, der unter einem Vorwand nach Istanbul gelockt worden war, sagte der Prinz im vergangenen Jahr, in seinem Fall habe Riad versucht, ihn nach Ägypten zu lotsen.
Der Deutschen Presse-Agentur zufolge hatte Saudi-Arabien vor zwei Jahren bei den deutschen Behörden angefragt, ob sie mit einer Auslieferung des Prinzen rechnen könnten. Die Bundesregierung ignorierte die Frage.