Parteitag der Konservativen: Die Angst der Tories vor Neuwahlen
Die befürchtete Revolte gegen Premierministerin May beim Parteitag der britischen Konservativen bleibt aus. Außenminister Boris Johnson sorgt mit einem Kommentar über Syrien für Empörung.
Fast verloren wirkt Theresa May, als sie in dieser Woche beim Parteitag der Konservativen durch die Gänge des Konferenzzentrums im alten Zentralbahnhof in Manchester geht. Begleitet wird sie nur von ihrem Mann Philip und ihren Leibwächtern. Ein Jahr zuvor noch hatten Ordner alle Mühe, die Fotografen und Fans von ihr fernzuhalten. Doch die bejubelte Parteichefin von damals ist kaum wiederzuerkennen. Sie geht hastig, leicht nach vorne gebückt.
Statt Großbritannien auf dem Weg zum Brexit zu neuen Höhen zu führen, hat sie alle Hände voll zu tun mit Querelen in ihrem Kabinett. Vor allem Außenminister Boris Johnson macht ihr das Leben schwer. Mehrmals hatte er vor dem Parteitag ohne vorherige Absprache seine eigenen Vorstellungen zum EU-Austritt in der Öffentlichkeit dargelegt. Nicht wenige glauben, dass er im Sturz Mays die einzige Chance sieht, selbst noch ins Amt des Regierungschefs zu kommen.
Die Wahlschlappe im Juni hat deutlich ihren Tribut gefordert. May hatte die Parlamentswahl ohne Not einberufen, weil sie sich einen Erdrutschsieg erhofft hatte - inzwischen regiert sie mit einer Minderheitsregierung. Die Brexit-Gespräche verlaufen schleppend.
Hört man sich unter den Delegierten um, gibt es trotzdem kaum jemanden, der öffentlich ihren Rücktritt fordert. Viel zu groß wäre die Gefahr, dass es zu Neuwahlen kommt und Labour-Chef Jeremy Corbyn im Regierungssitz Downing Street 10 einzieht. Erst vergangene Woche ließ sich Corbyn beim Labour-Parteitag in Brighton an der englischen Südküste von seinen Unterstützern wie ein Messias feiern. „Theresa May wird für die nächsten zwei bis drei Jahre Premierministerin bleiben“, sagt Duncan Ross, ein Zahnarzt und Tory-Mitglied aus Manchester. Dass May bei der nächsten Wahl noch einmal antritt, hält er aber für ausgeschlossen.
May versucht, die Sticheleien Johnsons herunterzuspielen und weist Forderungen nach einem Rausschmiss des Außenministers zurück. In Fernsehinterviews sagt sie, sie wolle kein Kabinett aus Ja-Sagern. Ihre Politik werde keineswegs durch Johnson untergraben. Doch kann sie sich sicher sein, dass der Außenminister die Sticheleien von nun an sein lässt? Bei ihrer Parteitagsrede am Mittwoch will sie Medienberichten zufolge sicherheitshalber noch einmal zur Einheit in Sachen Brexit aufrufen.
Britischer Außenminister: Libyen muss nur die Leichen wegräumen
Außenminister Boris Johnson gibt sich in Manchester alle Mühe, die Gerüchte um seine Ambitionen zu zerstreuen. Obwohl er seine Parteitagsrede mit dem Titel „Lass den Löwen brüllen“ ankündigt, gerät sie überraschend zahm. Das Kabinett sei hinter „jeder Silbe“ der Brexit-Rede der Premierministerin in Florenz vereint, sagte Johnson. Der Löwe schnurrt, zumindest vorübergehend. Viel mehr Aufsehen und Empörung erntete Johnson für eine taktlose Bemerkung über die Bürgerkriegsopfer in Libyen. Die ehemaligen IS-Hochburg Sirte könne zum einem neuen Dubai werden, sagte Johnson am Dienstag beim Parteitag der Konservativen in Manchester. „Sie müssen nur die Leichen wegräumen“, fügte der Außenminister mit einem Lachen hinzu.
Ansonsten habe die Stadt mit ihrem weißen Sandstrand und „wunderschönem Meer“ schon alle Voraussetzungen für ein Touristenparadies. Es gebe britische Geschäftsleute, die dort investieren wollten, sagte Johnson weiter. Nach monatelangen Kämpfen hatten libysche Milizen, die mit der UN-unterstützten Einheitsregierung in der Hauptstadt Tripolis verbündet sind, Sirte im vergangenen Dezember von der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) erobert. Erst im August waren dort die Leichen von 25 Menschen in verschiedenen Teilen der Stadt gefunden worden.
Die Labour-Außenexpertin Emily Thornberry kritisierte Johnsons Kommentar als „unglaublich krass, kaltblütig und grausam“. Für ihn seien die Kriegsopfer nichts weiter als eine Unannehmlichkeit für britische Geschäftsleute. Seine Worte seien völlig unangemessen für einen Außenminister. Die Tory-Abgeordnete Heidi Allen empörte sich bei Twitter: „100% inakzeptabel, egal von wem, nicht zuletzt vom Außenminister. Dafür muss Boris entlassen werden. Meine Partei vertritt er nicht.“
„Everything I do, I do it for me“
Draußen vor dem Konferenzgelände steht ein Mann, der wenig Zweifel daran hat, dass Johnson den nächsten Streich schon vorbereitet. Drew Galdron ist professioneller Boris-Johnson-Imitator. Er gehört zu den 30 000 Menschen, die allein am ersten Tag des Parteitags gegen Brexit und Sparpolitik der Regierung auf die Straße gingen. Die Ähnlichkeit zum Außenminister ist nicht zu leugnen. Nur bei den blonden Haaren habe er ein bisschen nachgeholfen, gibt er zu. „Everything I do, I do it for me“ (Alles was ich tue, tue ich für mich) - singt er einen leicht abgeänderten Bryan-Adams-Song mit sonorer Boris-Stimme in ein Mikrofon.
Möglicherweise fürchtet Johnson auch, von rechts überholt zu werden. Kaum ein Konservativer ist bei dem Parteitag so gefragt wie Jacob Rees-Mogg. Der Millionär und strenggläubige Katholik ist der neue Liebling der Brexit-Befürworter - jede Veranstaltung mit ihm ist überlaufen. Mit seinem gescheitelten Haar, der Nickelbrille und seinen Anzügen wirkt er wie eine Figur aus dem frühen 20. Jahrhundert. Er ist radikaler Abtreibungsgegner und stolz darauf, noch nie eine Windel bei einem seiner sechs Kinder gewechselt zu haben. Bei einer Umfrage unter Tory-Anhängern auf der konservativen Webseite Conservativehome rangiert er inzwischen auf dem zweiten Platz für den Posten des nächsten Parteichefs - direkt hinter Johnson. (dpa)