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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).
© Oliver Dietze/dpa

Krieg und Corona: Die Ampel schlingert – was Kanzler und Koalition verbessern müssen

Nach 100 Tagen im Amt wirkt die Ampel überfordert. Der sonst so sattelfeste Kanzler wirkt seltsam unbeteiligt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Georg Ismar

Olaf Scholz hat mehrfach Max Webers Aufsatz „Politik als Beruf“ gelesen. Der Soziologe war fasziniert von Führern mit Charisma. Scholz charakterisiert sich als Politiker, der seine Glaubwürdigkeit aus dem Charisma des Realismus zieht. Er sei kein Volkstribun, das wolle er auch nicht sein, sagte der heutige Kanzler mal dem „Spiegel“. Er glaubt, gerade in Krisen werde der nüchterne Typus geschätzt, obwohl der kein Charisma versprüht – wegen seiner sachlichen, ruhigen Art.

Das mag erklären, warum Scholz der beliebteste Politiker derzeit ist – seit die Haltung zu Angela Merkel nicht mehr abgefragt wird.

Doch in diesen Tagen wirkt der bis in das kleinste Detail sattelfeste Kanzler mitunter indisponiert, verlassen vom Gespür für den Moment, wo es auch mal gilt, spontan etwas Empathie zu zeigen. Zum Sinnbild wurde die Szene, wo er mit schwarzer Maske nach der Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vor sich hinschweigt, statt das Wort zu ergreifen.

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Diese Kriegswochen werden seine ganze Amtszeit prägen. Zu Beginn traf er historische Entscheidungen, wirkte führungsstark. Waffenlieferungen an eine Kriegspartei, 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr, unbegrenzte Aufnahme von Menschen aus der Ukraine. „What a day“, meinte sein Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt zum Tag der Entscheidungen am 26. Februar. Doch bisher ist offensichtlich nur ein Bruchteil der Waffenlieferungen in der Ukraine angekommen.

Auch das Kanzleramt wurde durch Corona dezimiert

Und parallel waren da noch andere Krisen. Es ist gerade ein Regieren am Limit, das muss betont werden. Schmidt und weitere führende Mitarbeiter des Kanzleramts erkrankten zudem an Corona, Scholz hing fast nur noch in Schalten oder ging auf Reisen, wegen Putins Krieg.

Da war die Welt noch eine andere: Olaf Scholz, Annalena Baerbock, Robert Habeck und Christian Lindner am Tag, als der Koalitionsvertrag stand.
Da war die Welt noch eine andere: Olaf Scholz, Annalena Baerbock, Robert Habeck und Christian Lindner am Tag, als der Koalitionsvertrag stand.
© Michael Kappeler/dpa

So entstand im Schatten des Krieges auf Druck der FDP, allen voran ihres Justizministers Marco Buschmann, ein Corona-Lockerungspaket, in das die Länder kaum eingebunden waren.

16 Protokollerklärungen aller Regierungschefs, inklusive jener der SPD, mit Kritik am Wegfall fast aller Maßnahmen bis hin zur Maskenpflicht im Supermarkt, waren mehr als eine Klatsche und sollten den Kanzler dazu bringen, seinen Stil zu ändern. Weniger arrogant Länderbedenken ignorieren, sondern alle auf Augenhöhe einbinden. Dieses Land braucht jetzt eine starke Bund-Länder-Achse.

Den jüngsten Bruch hat Scholz mitzuverantworten, er hätte das Kommen sehen müssen. Am Tag mit den höchsten Corona-Neuinfektionen, knapp 300.000, hat die Ampel nun dennoch ihren Plan im Bundestag abgenickt.

Scholz zieht gerne Pläne durch - trägt das in dieser Zeit?

Das System Scholz besteht darin, stoisch etwas durchzuziehen, wenn eine Entscheidung einmal steht. So ignorierte er auch die Aufforderung von CDU-Fraktionschef Friedrich Merz, nach der bewegenden Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sich im Bundestag selbst zu äußern. Scholz hielt sich lieber an die Tagesordnung. In beiden Fällen wäre es besser gewesen, auch mal etwas zu riskieren.

Im ersten Fall einen Konflikt mit der FDP, um zumindest umfassendere Maskenpflichten, zum Beispiel auch im Supermarkt, als Regel fortzuführen,. Im zweiten Fall, darzulegen, dass Deutschland bei aller berechtigten Kritik auch einiges macht und noch machen will, um der Ukraine zu helfen. Warum kommuniziert der Kanzler nicht wie Joe Biden, dass Deutschland auch zu mehr Waffenlieferungen bereit ist?

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Die Ampel wirkt überfordert - vor allem zwei Ministerinnen

Die Ampel hatte vom ersten Tag an keine Schonzeit. Sie wirkt in diesen Tagen aber spürbar überfordert, was ihr angesichts der Überlappung mehrerer Krisen nicht vorzuwerfen ist. Aber besonders zwei von Scholz ausgesuchte SPD-Ministerinnen, Nancy Faeser (Innen) und Christine Lambrecht (Verteidigung) ecken an und wirken den gewaltigen Herausforderungen nur bedingt gewachsen.

Lambrecht bindet zudem die Opposition unzureichend ein, wird dort moniert. Ohne CDU/CSU wird es aber nicht die nötige 2/3-Mehrheit für die Grundgesetzänderung geben, um ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr zu verankern.

Die FDP sollte ihre Rolle überdenken

Klar, der Druck ist gerade groß, die Zeit knapp. viele sind zudem neu, in Rekordgeschwindigkeit muss nun noch die Energieabhängigkeit von Russland reduziert werden. Aber hausgemacht ist folgendes Problem: Von Beginn an drückt die kleinste Partei, die FDP, der Koalition ihren Stempel auf, sie agiert bei Corona ideologischer als die Grünen beim Klimaschutz. Das lähmt die Koalition und schürt Misstrauen.

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Dass Christian Lindner auch noch seine halbgaren Ideen für einen Tankrabatt an die „Bild“ durchstechen ließ, war das erste grobe Foulspiel der Koalition. Bisher war Konsens, Vorhaben erst intern zu besprechen. Scholz sollte nicht unterschätzen, wie groß der Ärger bei manchen Grünen ist. Und Lindner wie die ganze FDP sollten etwas „mannschaftsdienlicher“ agieren. Ein Schielen auf Landtagswahlen ist ziemlich kleines Karo, wenn man nach Kiew blickt.

Die Regierung muss zudem unbedingt auch die größte Oppositionspartei, die Union, besser einbinden. Scholz wird sie noch brauchen. Nach allem was zu hören ist, wächst die Sorge, dass Wladimir Putin zu noch größeren Eskalationen bereit sein könnte.

Scholz könnte Ukraine-Flüchtlinge besuchen

Für den Realisten und Berufspolitiker Scholz ist mit Putin alles unplanbar geworden. Der Kanzler wird kein anderer Politiker mehr, das kann niemand verlangen und die Bürger schätzen seinen kühlen Kopf, aber Scholz sollte es in Zeiten großer Sorgen vielleicht mal mit etwas mehr symbolischen Gesten versuchen, gerade gegenüber der Ukraine. Es sind zum Beispiel nur ein paar hundert Meter vom Kanzleramt zu den am Hauptbahnhof ankommenden, geflüchteten Menschen aus einem zerbombten Land.

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