Gericht verschiebt Entscheidung über Verdachtsfall: Die AfD kann sich nicht zum Märtyrer stilisieren
Das Verwaltungsgericht Köln entscheidet erst 2022 im Streit von AfD und Verfassungsschutz. Das ist aber keine Absolution für die Partei. Ein Kommentar.
Das große Wehklagen bleibt aus. Die AfD kann sich vor der Bundestagswahl nicht als verfolgte Unschuld aufspielen und behaupten, die Bundesregierung behindere über den Verfassungsschutz eine Oppositionspartei. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln, erst 2022 zu entscheiden, ob das Bundesamt für Verfassungsschutz die Partei als rechtsextremistischen Verdachtsfall einstufen darf, nimmt der AfD die Märtyrerei. Und das ist nicht der einzige Grund, die Zurückhaltung der Richter zu begrüßen.
Angesichts der Nähe zur Bundestagswahl würde das Gericht inzwischen selbst in Verdacht geraten, mit einer Entscheidung in den anhängigen Eilverfahren pro oder contra AfD insgeheim Politik zu machen. Auch wenn das dann verschwörungstheoretisches Gerede wäre, müsste befürchtet werden, dass ein Teil der Wählerschaft an der Unparteilichkeit von Justiz und Rechtsstaat zweifelt oder schon vorhandene Ressentiments gegen das „System“ noch zunehmen.
Gerade in Zeiten der Pandemie kann die Demokratie froh sein über jeden Aufreger, der ihr erspart bleibt. Deshalb ist es gut, dass das Gericht betont, aus Respekt vor der Entscheidung der Wählerinnen und Wähler jetzt kein Urteil im Rechtsstreit zwischen AfD und Verfassungsschutz zu sprechen.
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Etwas seltsam wirkt allerdings, dass die Kammer dem Bundesamt einen Teil der Verantwortung dafür zuschiebt, dass vor der Wahl im September in den Eilverfahren nicht mehr entschieden werden kann. Angeblich kamen Aktenordner mit „Verwaltungsvorgängen“ zu spät. Doch die Richter hatten bereits im Februar das 1000-seitige Gutachten des Verfassungsschutzes zum Verdachtsfall AfD erhalten. Das Material ist so detailliert, die Indizien für rechtsextreme Tendenzen in der Partei sind so zahlreich, dass es zumindest theoretisch dem Gericht für eine Entscheidung in den Eilverfahren frühzeitig vor der Wahl hätte reichen können.
Jedenfalls ist nur schwer vorstellbar, dass Aktenordner mit Verwaltungsvorgängen ein anderes Bild von der AfD ergeben als das aus dem Gutachten. Die Partei hat jetzt offenbar nur eine Atempause bekommen, keine Absolution. Die hätte sie auch angesichts der Radikalisierung nicht verdient.