Wer wird was in der EU: Die Abgeordneten brauchen Mehrheiten - sonst werden sie entmachtet
Dem Europaparlament bleiben nur wenige Tage, um seine Einflussmöglichkeiten bei der Besetzung der Top-Jobs der EU zu nutzen. Ein Kommentar.
Und das soll nun das Ergebnis des EU-Gipfels sein: Manfred Weber (CSU) wird nicht Kommissionspräsident, und Angela Merkel steht blamiert da? Diese Interpretation käme Emmanuel Macron gelegen. Doch soweit ist Europa nicht. Fürs Erste hat sich der Europäische Rat vertagt. Die nationalen Staats- und Regierungschefs konnten sich auf keinen Personalvorschlag einigen. Es gibt keine Mehrheit für Weber, aber ebenso wenig eine für den Sozialdemokraten Frans Timmermans oder die Liberale Margarethe Vestager.
Damit eröffnet sich eine letzte Chance für das Europaparlament, seine Einflussmöglichkeiten bei der Besetzung der Top-Jobs der EU zu nutzen. Das Zeitfenster schließt sich in acht Tagen beim nächsten Gipfel des Rats. Die Abgeordneten können dem Rat einen Kommissionspräsidenten aufdrängen, das haben sie 2014 gezeigt. Dafür müssen sie eine fraktionsübergreifende Mehrheit bilden. Sonst geben sie die Macht, die sich vor fünf Jahren mit der Einführung der Spitzenkandidaten erkämpft haben, wieder ab.
Europa ist kompliziert. Es geht nicht allein um den Kommissionspräsidenten. Es geht um ein Personalpaket für fünf Spitzenposten: Kommissionspräsident, Parlamentspräsident, Hoher Beauftragter für Außenpolitik, Vorsitz im Europäischen Rat und Führung der Europäischen Zentralbank (EZB). Das Paket muss ein Ausgleich zwischen Nationen, Parteienfamilien sowie Männern und Frauen sein.
Wer hat das entscheidende Wort?
Die Frage ist, wer schneller ein solches Paket samt einer Mehrheit dafür präsentiert: der Rat oder das Parlament. Es ist zugleich eine Frage, wer das entscheidende Wort in der EU hat, die Nationalstaaten oder die gemeinsamen Institutionen. Der Rat schlägt vor, wer Kommissionspräsident werden soll. Aber diese Person wird es nur, wenn das Parlament zustimmt. Es kann ablehnen. Oder damit drohen. Wäre aber eine klare Mehrheit der Abgeordneten einig, wer was werden soll, käme der Rat kaum daran vorbei.
Die Blockade bei der Nominierung des Kommissionspräsidenten zeigt, was sich durch die Europawahl 2019 gegenüber 2014 geändert hat. Es liegt nicht am Zuwachs EU-kritischer Parteien, vor dem so oft gewarnt wurde. Die Pro-Europäer haben eine klare Mehrheit. Entscheidend ist: 2014 reichten die zwei größten Parteienfamilien – Christdemokraten und Sozialdemokraten –, um eine Mehrheit zu bilden.
Heute müssen sich drei bis vier zusammentun, neben den beiden Großen also die Liberalen und die Grünen. Das haben deren Anführer in den vier Wochen seit der Wahl nicht geschafft. Der jeweilige Ehrgeiz, eigene Interessen auf Kosten der anderen durchzusetzen, war größer als das gemeinsame Interesse, den Einfluss des Parlaments zu verteidigen. Die Staats- und Regierungschefs haben nun offen gelegt, wohin das führt: zur Selbstentmachtung des Parlaments.
Ein Opfer der Ärgers
2014 war es dem Parlament leicht gefallen, das Vorschlagsrecht des Rats auszuhebeln. Christ- und Sozialdemokraten machten vor der Wahl ab, dass der Spitzenkandidat der stärksten Partei Kommissionspräsident wird. Der andere wurde Parlamentspräsident. Was andere Parteien wollten, zählte nicht. Das ärgerte Liberale und Grüne. Ein Opfer des Ärgers ist nun, da Christ- und Sozialdemokraten keine Mehrheit mehr haben, Weber. Es ist gut möglich, dass er nicht Kommissionspräsident wird. Doch dann werden Timmermans oder Vestager es auch nicht. Warum sollte die größte Fraktion dafür stimmen, nachdem die anderen ihren Weber verhindert haben?
Auch Merkel ist noch lange nicht blamiert. Entweder findet Weber doch noch eine Mehrheit. Und, wenn nicht, kann sie einen Kompromiss anstreben, bei dem etwas anderes für Deutschland herausspringt. Ein Deutscher an der Spitze der EZB ist vielleicht noch gewichtiger als ein deutscher Kommissionspräsident. Wer sagt denn, dass Merkel weniger durchsetzungsfähig ist als Macron? Nur weil er das Endergebnis bereits nach dem vertagten Gipfel vorwegnehmen möchte, heißt das nicht, dass es so kommt, wie er will.
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