Nach dem Sieg von Donald Trump: Deutschlands Parteien entdecken die Provinz
Den deutschen Parteien sitzt der Trump-Schock im Nacken. Sein Wahlsieg ist ein Triumph des Landes über die Stadt. CDU und SPD umwerben plötzlich die Provinz.
Die Wahlkampfzentralen aller Parteien haben ein neues Ziel ausgerufen: Bürger in den Kleinstädten und im ländlichen Raum. „Wir werden einen Plan vorlegen, wie das Leben außerhalb der großen Städte attraktiv gehalten werden kann“, verspricht Volker Kauder, Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz betont, dass er aus der Provinz stamme. Die Menschen dort hätten das gleiche Recht, von der Politik ernst genommen zu werden, wie die Bewohner der Metropolen.
Allen sitzt der Wahlschock in den USA im Nacken. Die Stadt-Land-Diskrepanz war entscheidend für Donald Trumps Sieg. Menschen in ländlichen Regionen und Kleinstädten wählten ganz überwiegend ihn. Die Bewohner der Großstädte stimmten mehrheitlich für Hillary Clinton. Trump-Wähler fern der Metropolen fühlen sich ökonomisch abgehängt. Sie glauben zudem, dass die traditionellen politischen Eliten sie nicht mehr wahrnehmen und ihre Politik vor allem an den Bewohnern der Metropolen ausrichten.
Kann das auch in Deutschland und Europa so kommen? Hier wie dort lebt ungefähr die Hälfte der Bevölkerung in Großstädten über 100.000 Einwohner, die andere Hälfte in Kleinstädten und auf dem Land.
Die erste Antwort deutscher Politiker lautet: Das könne man nicht vergleichen. Der Staat kümmere sich hier viel mehr um den ländlichen Raum, investiere in die Infrastruktur, von den Straßen bis zur Internetanbindung, biete Hilfen beim Strukturwandel und der Weiterbildung. Und er lasse Menschen, die ihre Jobs verlieren, nicht ins Bodenlose fallen.
Viele Dörfer und Kleinstädte in Deutschland gleiten ab
Das ist richtig. Andererseits gibt es auch in Deutschland Regionen, in denen Kleinstädte und Dörfer ökonomisch abgleiten. Durch die Globalisierung gehen Jobs verloren, die jungen Leute ziehen auf der Suche nach Ausbildung und Arbeit weg, die Versorgung mit Einzelhandelsgeschäften wird immer dünner. Die Immobilienpreise verfallen und damit die erhofften Verkaufserlöse, die auch als Alterssicherung gedacht waren. Solche Dynamiken kann man von Weilburg über Wilhelmshaven und die Schwäbische Alb bis Brandenburg beobachten.
Gewiss gibt es Gegenbeispiele. Von ökonomischer Krise kann, zum Beispiel, in den meisten Kleinstädten Baden-Württembergs, in Ostwestfalen oder Lippe keine Rede sein. Dort sitzen starke mittelständische Gewerbebetriebe mit hohem Exportanteil. Sie suchen qualifizierte Arbeitskräfte und zahlen gut. Dort bricht die Wirtschaftsbasis kleiner Orte nicht weg.
Das Materielle ist ohnehin nur eine Seite. Politisch wirksam war bei Trump- Wählern der Eindruck, dass sie ein anderes Lebensgefühl und andere Probleme haben als die Menschen in den Metropolen und dass die Politiker in den Großstädten keine Antworten auf ihre Herausforderungen geben. Bei solchen Fragen des Identitätsgefühls sieht der ehemalige Geografie-Professor Gerhard Henkel mögliche deutsche Parallelen zu den Wahlentscheidungen in den USA. Er ist Autor des Buchs „Rettet das Dorf! Was jetzt zu tun ist“. Einen Verlust an Vertrauen, dass Politik und staatliche Verwaltung die Probleme der Landbevölkerung lösen werden, sieht er auch in Deutschland. Als Beispiel nennt er die Gebietsreformen in Brandenburg und Thüringen. Viele Menschen erlebten die Zusammenlegung von Gemeinden und Kreisen als Identitätsverlust. Ähnlich sei es, wenn Kirchen, Sparkassen und Krankenhäuser schließen und die Zurückbleibenden auf die Versorgung im nächsten größeren Ort verwiesen werden. Solche Erlebnisse „erzeugen Wut und Apathie“, hat Henkel auf Bürgerversammlungen erfahren.
Wahlkämpfer wollen bei jedem Auftritt bei möglichst knappem Zeitaufwand möglichst viele potenzielle Wähler erreichen. Das ist in Städten leichter zu realisieren als in dünn besiedelten Landstrichen. Trumps Erfolg samt der Einsicht, wo er ihn erzielte, wirken wie ein Weckruf für die anstehenden Wahlen in den Niederlanden, in Frankreich und in Deutschland. Der Wille, die Landbevölkerung anzusprechen, ist da. Ob sich der Plan so schnell umsetzen lässt und ob er Erfolg hat, werden die Wahlergebnisse zeigen.