Industrie 4.0: Deutschlands digitale Aufholjagd
Digitale Agenda ist das Gebot der Stunde und gleichzeitig ein Schlagwort des Scheiterns - denn andere sind schneller. Nun hat das Internet die Fabriken erreicht. Schafft Deutschland die Umstellung zur Industrie 4.0?
Am Dienstag sind in Hamburg die Bundesregierung und Unternehmen zum achten Nationalen IT-Gipfel zusammengekommen. Das Treffen war erlesen besetzt: Angela Merkel reiste mit ihrem halben Kabinett an. Der Gipfel soll in den kommenden Jahren die „Digitale Agenda“ der Bundesregierung begleiten und „die digitale Transformation in Wirtschaft und Gesellschaft fördern“.
Jetzt erst? Hat Deutschland die Digitale Revolution verschlafen?
Geht es nach Timotheus Höttges, dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Telekom, ja, und zwar nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa. Auf dem Podium zog er Analogien zu einem Fußballspiel: „Die erste Halbzeit der Digitalisierung haben wir in Europa verloren.“ Weder gäbe es in der EU noch nennenswerte Hersteller von Computern oder Handys, noch komme eine der großen Internetplattformen von hier. Selbst wenn man ein wenig Alarmismus abzieht, gibt es tatsächlich Zahlen, die beunruhigen. Laut Branchenverband Bitkom erwirtschaften alle EU-Staaten zusammen zum Beispiel nur ein Fünftel des weltweiten Umsatzes von Informations- und Telekommunikationstechnologie (ITK), die USA allein halten ein Drittel.
Bei der Versorgung von Haushalten und Unternehmen mit besonders schnellen Internetverbindungen über Glasfaserkabel ist Deutschland im internationalen Vergleich abgeschlagen. Weniger als ein Prozent der Haushalte sind hierzulande versorgt, beim europäischen Spitzenreiter Litauen sind es mehr als 20 Prozent. Nach dem „Monitoring Report Digitale Wirtschaft“ von Tns Infratest im Auftrag des Wirtschaftsministeriums liegt Deutschland zwar international auf dem fünften Platz, ist aber schwach im Export von ITK.
Rund 900 000 Menschen sind in Deutschland in dieser Branche beschäftigt, etwa so viele wie in der Autobranche und im Maschinenbau. Vor allem der Mittelstand und das fertigende Gewerbe machen der Politik Sorgen. Sigmar Gabriel bezieht sich in seinen Reden immer wieder auf eine aktuelle Umfrage der DZ-Bank. Demnach ist die Digitalisierung für die Hälfte der mittelständischen Unternehmen in Deutschland „nicht Teil der Unternehmensstrategie“. „Wir müssen die Probleme lösen und damit auf die Weltmärkte“, sagte Angela Merkel. Telekom- Vorstand Höttges jedenfalls hat Hoffnung: „Jetzt kommt die zweite Halbzeit“, sagte er auf dem Gipfel. Und damit meint er die Industrie 4.0.
Die Industrie 4.0 soll die Rettung sein. Was ist das eigentlich?
Auf dem achten IT-Gipfel war es das „Buzz-Wort“, das Zauberwort. Auf keinem Podium durfte es fehlen. Tatsächlich werden darunter sehr unterschiedliche Techniken subsumiert. Konkret geht es darum, dass auch das fertigende Gewerbe stärker von den enormen Datenmassen profitieren soll, die das Internet produziert. So könnten etwa Produktionsstätten flexibler gestaltet werden, sie könnten mehr oder weniger produzieren, je nachdem, welche Nachfrage sich aus den Datenmengen im Internet prognostizieren lässt. Auch die Individualisierung von Produkten gehört dazu, ebenso wie eine weitere Automatisierung der Fertigung. Aber auch Maschinen, die mit Sensoren ausgestattet sind, um Fehler schneller zu erkennen und zu melden, fallen unter das „Zauberwort“.
Was will die Regierung tun, um die Digitalisierung von Industrie und Fertigung zu unterstützen?
Auf dem IT-Gipfel hat Sigmar Gabriel ein Programm zur Forschungs- und Entwicklungsförderung angekündigt. 50 Millionen Euro sollen zur Verfügung gestellt werden. In fünf Demonstrationszentren will die Regierung Beispiele zeigen, um auch den Mittelstand „für die Möglichkeiten und die Potenziale der Produktion der Zukunft“ zu sensibilisieren. Wichtig ist in diesem Zusammenhang aber auch der Breitbandausbau. Denn um die nötigen Informationen zu transportieren, braucht es schnelle Leitungen. Die Rede ist in diesem Zusammenhang stets vom „Echtzeit-Internet“, also von einem verzögerungsfreien Transport von Daten. Denn das leichte Ruckeln, das den Nutzer ein wenig ärgert, könnte in der Industrie 4.0 fatale Folgen haben.
Aber hat Deutschland nicht ein Glasfaserproblem? Wer soll das bezahlen?
Die Regierung will zum einen erneut Frequenzen versteigern, die durch die Digitalisierung frei werden. Nach dem Willen der Regierung sollen aber auch die Unternehmen selbst mitzahlen. Neue Kabel zu legen oder andere Technologien aufzubauen ist ein Milliardenprojekt, das, soweit herrscht Einigkeit in der Bundesregierung, der Staat nicht allein schultern kann und soll. Vor zwei Wochen hat Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt, zuständig für den Breitbandausbau, deshalb mit einer „Netzallianz“ von Unternehmern ein Kursbuch vorgestellt, dass konkrete Ziele für die nächsten Jahre benennt. Die Unternehmen verpflichteten sich, acht Milliarden Euro zu investieren. Politisch wird aber wohl auch das nicht umsonst sein. Denn wie aus dem kürzlich vorgestellten „Kursbuch Breitbandausbau“ hervorgeht, ist Dobrindt bereit, Netzanbietern wie der Telekom im Gegenzug für Investitionen in den Netzausbau beim Thema Netzneutralität entgegen zu kommen.
Netzneutralität? Was war das noch mal?
Die Netzanbieter würden gern neue Geschäftsmodelle erproben, die darauf beruhen, für bestimmte Dienste einen besonders schnellen Datentransport zu reservieren. Das widerspricht dem bisherigen Grundsatz des Internets, alle Datenpakete gleich zu behandeln, der sogenannten Netzneutralität. Netzaktivisten befürchten, dass das Internet in Spezialdienste zersplittern könnte, wenn man so genannte Effizienzklassen einführt. Die Telekom hat bereits einmal ein Tarifmodell vorgestellt, das ihren eigenen Dienst „Entertain“ auf der Datenautobahn bevorzugt hätte, zog das Modell nach öffentlichen Protesten aber wieder zurück.
Zieht die Koalition bei diesem Thema an einem Strang?
Ja, noch. Die SPD plädiert jedoch für eine gesetzliche Verankerung der Netzneutralität und hat ein Bekenntnis dazu im Koalitionsvertrag verankert. Lars Klingsbeil, netzpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, sagte nach dem Gipfel, das Ziel, eine Versorgung mit 50Mbit flächendeckend zu erreichen, müsse schnell umgesetzt werden. Er sagte aber auch: "Voraussetzung ist auch eine wirksame gesetzliche Verankerung der Netzneutralität, um die Offenheit und die Innovationsfähigkeit des Netzes sicherzustellen." Hier gibt es also Potenzial für Streit zwischen dem CSU-geführten Verkehrsministerium und dem Haus von Gabriel. Angela Merkel nahm auf dem Gipfel eine mittlere Position ein. Der Grundsatz der Gleichbehandlung müsse zwar beibehalten werden, aber auch die Anbieter müssten neue Angebote entwickeln dürfen. Ohnehin möchte die Regierung das Thema auf EU-Ebene regeln.
Worum ging es noch auf dem Gipfel?
Um die Frage, wie Deutschland ein besserer Standort für Gründer werden kann. Nach Ansicht der Bundesregierung fehlt dafür vor allem das Risikokapital. Das gebe es in Deutschland nur „in homöopathischen Dosen“, sagte Gabriel. Der Wirtschaftsminister will deshalb das Bilanzierungsrecht ändern, um es attraktiver zu machen, in Start-ups zu investieren. Auch ein eigenes Börsensegment für Start-ups könne man erneut einführen, so Gabriel.
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