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Weltweit vernetzt: eine große Chance für die Wirtschaft.
© dpa

Digitale Wirtschaft: Nennen wir es doch Neuland

Es gibt im Moment kaum ein Thema, das politischer Gestaltung so dringend bedarf, wie das der Digitalisierung. Dabei verändert sie alle Lebensbereiche. Wir sollten endlich beginnen, Unternehmen und Menschen dafür fit zu machen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Corinna Visser

Es war von Enttäuschung zu lesen, von Mini-Ressort, von Abschiebung auf ein Randthema. Günther Oettinger soll in der neuen EU-Kommission den Bereich "Digitale Wirtschaft und Gesellschaft" leiten. Die einen sind enttäuscht, weil das Thema vermeintlich nicht so wichtig ist, die anderen, weil so ein wichtiges Thema von jemandem gestaltet werden soll, der keine Expertise auf diesem Gebiet nachweisen kann. Beide Seiten verkennen die Lage.

Es gibt im Moment kaum ein Thema, das politischer Gestaltung so dringend bedarf wie das der Digitalisierung. Sie verändert alle Lebensbereiche, ob es uns gefällt oder nicht. Sie ist kein Randthema, im Gegenteil, sie steht im Zentrum des gesellschaftlichen Fortschritts.

Es fängt im Privaten an: Die Digitalisierung verändert die Art und Weise, wie wir mit unserer Familie und unseren Freunden kommunizieren, wie wir eine neue Wohnung finden oder unseren Urlaub planen. Es geht im Job weiter: Unsere Arbeit wird neu organisiert und strukturiert, es entstehen neue Arbeitsformen und neue Entlohnungsstrukturen. Die IG Metall hat gerade den "Sittenverfall" in der digitalisierten Arbeitswelt beklagt, schlechte Bezahlung ist dabei nur einer der Kritikpunkte. Und es hört bei der Mobilität – Stichworte sind Carsharing, Taxi, Uber – noch lange nicht auf. Auch Kulturschaffende und Wissenschaftler müssen sich mit neuen Rahmenbedingungen auseinandersetzen.

Existenzbedrohender Wandel

In der Wirtschaft wird der Wandel für viele Unternehmen existenzbedrohend sein. Es geht nicht um die Frage, ob ein Online-Modehändler wie Zalando mit einer Bewertung von sechs Milliarden Euro an der Börse überbewertet ist. Es geht darum, dass kein Händler auf der Welt die Konkurrenz aus dem Netz mehr ignorieren kann. Nicht ohne Grund referiert Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel auf jedem Podium, wie wichtig es ist, dass die Old Economy sich mit der digitalen Wirtschaft befasst. Siemens-Chef Joe Kaeser behauptet zwar, dass er keine Angst vor Google hat. "Aber wir haben Respekt", sagt er und richtet sein Unternehmen neu aus.

Das gilt auch für Daimler, BMW oder Volkswagen, die mit Argusaugen beobachten, wie weit Google mit seinen selbstfahrenden Autos ist. Die Digitalisierung wird vor keinem auch noch so traditionellen Handwerk oder Gewerbe haltmachen. Auch nicht vor dem Schuster, der seine Schuhe per Hand näht. Er kann neue Kunden gewinnen, weil niemand mehr zur Anprobe vorbeikommen muss. Der Kunde schickt einfach einen 3-D-Scan von seinen Füßen.

Überraschung offen

Die Digitalisierung der Wirtschaft birgt riesige Chancen – auch und gerade für die deutsche Wirtschaft, die die Maschinen für die Welt liefert. Aber im Moment sieht es so aus, als würden die US-Amerikaner mit ihren großen IT-Firmen am Ende diese Maschinen steuern. Wenn wir das nicht wollen, dann sollten wir beginnen, die Unternehmen und die Menschen fit zu machen, für die Digitalisierung. Und das geht nur auf europäischer Ebene: Wir brauchen endlich eine EU-Datenschutzverordnung, ein Urheberrecht, das in die Zeit passt, Regeln, die die digitale Welt nach unseren Überzeugungen gestalten.

Deutschland ist in der EU für dieses wichtige Thema zuständig. Gebraucht wird dazu jemand, der es ganz oben auf die Agenda setzt, der sich durchsetzen kann, jemand, der in der Lage ist, die Konsequenzen der Digitalisierung vorauszudenken. Gut möglich, dass uns Günther Oettinger, der einem für diese Rolle nicht als Erster eingefallen wäre, überrascht.

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