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Deutsche Ingenieurskunst: Die Autoindustrie hat längst Ausstiegsdaten aus dem Verbrennungsmotor.
© dpa

Die Politik verschläft die Zukunft: Deutschlands Autoindustrie rechnet längst mit dem Verbrenner-Ende

Die Autobauer planen mit konkreten Ausstiegsdaten für schmutzige Antriebe. Die Politik aber drückt sich um klare Ansagen. Das könnte fatal sein. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Henrik Mortsiefer

Die Zeit klassischer Automobilhersteller ist vorbei. Die letzte Plattform für Verbrennungsmotoren wird im Jahr 2026 entwickelt. Die Erreichung der nochmals verschärften Klimaziele in der EU ist möglich und es ist zu begrüßen, dass Europa in Sachen Klimaschutz Vorreiter ist. Der CO2-Preis und der Diesel-Preis sind aber zu niedrig.

Diese Einschätzungen stammen nicht von einem Umweltaktivisten, sondern vom Vorstandsvorsitzenden des weltgrößten Autokonzerns, von Volkswagen-Chef Herbert Diess. Der Sound aus Wolfsburg ist nicht neu. Längst hat man sich in der Autoindustrie daran gewöhnt, dass sich VW anhört wie Fridays-for-Future.

Ob das glaubwürdig ist oder nicht, sei dahingestellt. Unternehmerisch ist es jedenfalls klug: Volkswagen will und muss seine neuen Elektroautos verkaufen, in deren Entwicklung der Konzern Milliarden investiert. Da hilft es wenig, wenn der Chef von Benzinern und Diesel schwärmt.

Leicht ließen sich auch BMW und Daimler oder (fast) jeder andere Autobauer ins grüne Licht rücken. Auf dem Elektro-Trip sind sie alle und das Kalkül ist immer das gleiche: Weil die klimapolitischen Rahmenbedingungen kein „Weiter so“ erlauben und jedes Festhalten an veralteter Technologie teuer wird, muss das Geschäftsmodell geändert werden. Das kostet zwar auch sehr viel Geld und Zeit. Aber die Transformation ist ökonomisch alternativlos – und sie findet global längst statt.

Die deutsche Politik spielt ständige unverbindliche Ausstiegsszenarien durch

Auf den großen internationalen Automärkten ist die Elektromobilität – wie in China – quasi Staatsräson. Volkswagen zum Beispiel verkauft in der Volksrepublik 40 Prozent seiner Autos und ist dort Marktführer. Andere Regierungen setzen für den Verbrennungsmotor ein Ausstiegsdatum: Zuletzt Kalifornien (2035), davor schon Frankreich und Großbritannien (2040), Schweden, Dänemark, die Niederlande, Indien (2030) oder Norwegen (2025).

Gelassen können Herbert Diess & Co also die Diskussion in Deutschland verfolgen, wo die Politik zum x-ten Mal unverbindliche Ausstiegsszenarien durchspielt. Gedanklich und strategisch sind die Automanager längst weiter als Markus Söder (CSU) oder Winfried Kretschmann (Grüne).

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Was kümmert es Volkswagen, ob Söder für ein Ende des Verbrenners im Jahr 2035 ist, wo er eben noch eine Kaufprämie für „saubere Benziner und Diesel“ gefordert hat? Oder was hilft es, wenn Kretschmann keinen schnellen Erfolg der Elektroautos erwartet, deren Entwicklung sich Daimler und Porsche in Baden-Württemberg Milliarden kosten lassen? Beide verkaufen übrigens die meisten ihrer Autos in China. Weder der eine noch der andere Landespolitiker wird die Forschungs- und Entwicklungs-Budgets der Autokonzerne umlenken.

Auch die Bundesregierung wird sich absehbar nicht auf ein Ausstiegsdatum festlegen. Und selbst die EU-Kommission hat sich nur darauf verständigt, dass sie sich verständigen will – in den nächsten Monaten. Vielleicht.

Diese politische Unverbindlichkeit im Land der Auto-Erfinder und Ingenieure ist allerdings kein Grund, gelassen zu bleiben. Denn Deutschland ist auf dem besten Weg, zur letzten Bastion des Verbrennungsmotors zu werden, während sich die automobilen Zentren der Welt von dieser Technologie verabschieden. Richtig, auch der Verbrennungsmotor könnte noch eine Zukunft haben, wenn synthetische, klimaneutrale Kraftstoffe zum Einsatz kämen. Aber nach einer bezahlbaren und effizienten Lösung für den Pkw-Massenmarkt sieht es derzeit nicht aus.

Die Industrie braucht auch in Deutschland Planungssicherheit

Es kann deshalb nur im Interesse der Industrie sein, wenn die Politik auch hierzulande für Planungssicherheit sorgen würde. Dann bleibt nur das technisch Machbare, kurzfristig Verfügbare und für den Auto-Normalbenutzer Bezahlbare: Elektromobilität. Dies schließt Technologieoffenheit in der Forschung ja nicht aus. Es geht jetzt darum, die Alternativen zu Benzinern und Diesel endlich auf die Straße zu bekommen. Nicht nur in China und Kalifornien, sondern in Berlin und Hintertupfingen. Das Beispiel der CO2-Regulierung zeigt indes: Die Autoindustrie bewegt sich nur so weit, wie sie muss. Das ist betriebswirtschaftlich rational, volkswirtschaftlich problematisch und klimapolitisch fatal. Die Politik sollte sich also fragen, was sie davon abhält, den Unternehmen auch beim Abschied von der alten Verbrennerwelt ein Datum zu setzen, das ohnehin schon in fast allen Businessplänen eingetragen ist.

Es ist paradox: Einerseits wird vor dem Verlust tausender Arbeitsplätze gewarnt, der mit einem zu schnellen Umbau der Autoindustrie verbunden sei. Andererseits blickt man mit Bewunderung auf Tesla und das Tempo, mit dem der US-Elektroautobauer Innovationen auf den Markt bringt, Fabriken baut und Arbeitsplätze schafft – demnächst auch in Brandenburg.

Herbert Diess geht so weit und bezeichnet Tesla als Vorbild. Dem muss die Politik nicht folgen. Es wäre vielmehr etwas gewonnen, wenn Industrie- und Verkehrspolitiker hierzulande weniger ängstlich am Bestehenden festhielten. Ein definiertes Datum, wann neue Benziner und Diesel im Autoland Deutschland nicht mehr zugelassen werden dürfen, wäre ein Zeichen mit Signalkraft. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

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