50 Jahre Diplomatie: Deutschland und Israel: Wunder mit Widersprüchen
Seit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Israel 1965 hat das Verhältnis der beiden Staaten viel durchgemacht. Nur voneinander abwenden können sie sich nicht. Ein Kommentar.
Was für ein Versöhnungswunder! Und was für ein paradoxes bis neurotisches Beziehungsgeflecht! In den 50 Jahren seit Aufnahme der diplomatischen Beziehungen hat sich der jeweilige Blick aufeinander nahezu gedreht. Damals, 1965, hassten die meisten Israelis alles Deutsche. Das Entsetzen über den Holocaust war unmittelbar, der Schmerz der Überlebenden über den Verlust so vieler Verwandter kaum zu ertragen. Heute hat die Mehrheit der Israelis ein positives Bild von Deutschland. Da darf man von einem Wunder sprechen.
Wie aber benennt man die emotionale Umkehr, die sich im selben Zeitraum bei den Deutschen abspielte? Schamverlust, Geschichtsvergessenheit, realpolitische Befreiung von Tabus? Damals konnten sie nur hoffen, irgendwann nicht mehr als Synonym für das größte Menschheitsverbrechen zu gelten, neues Vertrauen aufzubauen und als Partner angenommen zu werden. Heute erlaubt sich die Mehrheit der Nachkommen der Täter ein abfälliges Urteil über Israel. Man fühlt sich an die bitterböse tiefenpsychologische Deutung des israelischen Psychoanalytikers Zvi Rex erinnert: „Die Deutschen werden den Juden Auschwitz nie verzeihen.“
In keiner anderen Außenbeziehung sind die Widersprüche größer, sie scheinen geradezu den Kern des Verhältnisses auszumachen. Trotz einer negativen Grundstimmung gegen Israel in Deutschland lässt die Geschichte die Nachgeborenen nicht los. Sie lesen Anne Frank, Schulklassen besuchen die Konzentrationslager, Filme wie „Schindlers Liste“, „Der Pianist“ und „Alles auf Zucker“ sind große Erfolge, das Holocaust-Mahnmal im Zentrum von Berlin ist ein Anziehungspunkt für in- wie ausländische Touristen. Orthodoxe Juden können dennoch nicht in traditioneller Kleidung durch deutsche Städte laufen, ohne ein hohes Risiko, angepöbelt oder gar verletzt zu werden. Die Bundesregierung tritt wiederum als konsequenter Fürsprecher Israels auf, erklärt dessen Sicherheit zu einem Teil der deutschen Staatsräson und liefert atomwaffenfähige U-Boote, ohne mit allzu großem Protest rechnen zu müssen.
Das mag für Israelis an ein kleines Wunder grenzen. Trotz des Imageverlusts, den ihr Staat in den 50 Jahren befördert und erlitten hat, können sie auf Deutschland bauen. 1965, beim Austausch der ersten Botschafter, galt Israel als ein tapferer David, der sich gegen den zahlenmäßig überlegenen arabischen Goliath behauptet. Nach dem Sechs-Tage-Krieg wurde Israel allmählich zum Goliath, zur Besatzungsmacht, die ein militärisch unterlegenes Volk drangsaliert. Ungeachtet dieser Belastung ist die Beziehung zu Deutschland stabil. Sie übersteht einen Gazakrieg und die mehrfache Wahl eines Bibi Netanjahu zum Regierungschef, den die Deutschen ablehnen und mit dem die Kanzlerin ebenso wenig harmoniert wie ihre Partner in Europa und Amerika.
Der allgegenwärtige Zwiespalt hält diese Beziehung zusammen – und nicht eine offiziell beschworene und von der Bevölkerung gefühlte Interessenidentität. Ein Zwiespalt, der aus der Geschichte in die Gegenwart hineinragt. Der Holocaust verbindet und trennt zugleich. Beide sagen „Nie wieder!“, meinen aber Unterschiedliches. Die Deutschen wollen nie wieder Täter, die Israelis nie wieder wehrlose Opfer sein. Die Monstrosität der gemeinsamen Geschichte erlaubt es beiden nicht, sich abzuwenden. In diesem Verhältnis ziehen sich Gegensätze tatsächlich an.