zum Hauptinhalt
Deutschland und Israel - vor 50 Jahren wurden diplomatische Beziehungen aufgenommen.
© dpa

Historiker Michael Wolffsohn im Interview: Deutschland und Israel - fremde Freunde

Vor 50 Jahren haben Deutschland und Israel diplomatische Beziehungen aufgenommen. Der Historiker Michael Wolffsohn über das Verhältnis beider Länder zueinander und das Wunder des Verzeihens.

Herr Wolffsohn, Sie haben sich mal einen deutschen Patrioten genannt, aber auch in der israelischen Armee gedient. Für welches Land schlägt Ihr Herz denn mehr?

Ich habe mich einen bundesdeutsch-jüdischen Patrioten genannt, als es das vereinigte Deutschland noch nicht gab. Nach Mauerfall und Wiedervereinigung habe ich das gerne geändert, also deutsch-jüdischer Patriot. Beides gehört zu meiner Biografie: das Deutsche, das allgemein Jüdische und eben Israel. Mein Herz schlägt für beide Staaten. Aber ich lebe gerne und freiwillig in Deutschland.

Sind sie stolz, ein Deutscher zu sein?

Auf nicht selbst erbrachte Leistungen kann ich nicht stolz sein. Ich bin aber dankbar, dass ich vom deutschen Kulturkreis geprägt worden bin. Und es ist das Geschenk meines Lebens, dass mich ebenfalls das Jüdisch-Israelische stark beeinflusst hat. Heute bezeichne ich mich lieber als einen kosmopolitischen deutsch-jüdischen Patrioten. Das ist nur scheinbar widersprüchlich. Für mich bedeutet Patriotismus, sich für das eigene Gemeinwesen einsetzen, damit es demokratisch bleibt oder wird.

Der Historiker Michael Wolffsohn.
Der Historiker Michael Wolffsohn.
© Doris Spiekermann-Klaas

Was fällt Ihnen auf, wenn hierzulande über Israel geredet wird?

Eine zunehmende Distanziertheit, Aggressivität und Gehässigkeit, die mich beunruhigt und verletzt.

Woran machen Sie das fest?

Seit Anfang der 80er Jahre gehört Israel in den Augen der deutschen Öffentlichkeit zu den drei unbeliebtesten Staaten der Welt, manchmal vor Iran und Nordkorea, manchmal dahinter. Das halte ich für einen normativen Skandal. Es gibt an der israelischen Politik und Gesellschaft vieles, was man kritisieren kann – wie in jedem Land. Aber die Vehemenz der Ablehnung ist grundfalsch, empörend und ungerecht. Israel ist eine funktionierende Demokratie, ein pluralistischer Staat, der zum Beispiel in Sachen Integration von Minderheiten einiges geleistet hat.

Woher kommen die Vorbehalte?

Da gibt es erstens die traditionellen Antisemiten. Sie machen ungefähr 15 Prozent der Bevölkerung aus. Zweitens steigt der Anteil von Muslimen, die aus unterschiedlichen Gründen immer islamischer, teil islamistisch geworden sind und als Folge des Nahostkonflikts Israel regelrecht hassen. Sie leben in Europa und Deutschland, aber Nahost bedeutet ihnen viel. Auf diese Weise wurde auch Deutschland ein Nebenschauplatz der Nahostkonflikte. Drittens ist die alte und die neue Linke zu nennen.

Inwiefern?

Die „alte“ Linke hat sowohl eine antizionistische als auch eine anti-israelische Tradition. Die DDR war zum Beispiel so etwas wie die Avantgarde der altlinken Israel- Feindschaft. Die „neue“ Linke steht seit dem Sechstagekrieg von 1967 dem jüdischen Staat sehr kritisch, teils feindlich gegenüber. Dann gibt es noch eine weitere anti-israelische Gruppe: Zu ihr gehören jene, die in die Geschichtsfalle tappen.

Was meinen Sie damit?

Die Mehrheit der Deutschen sagt völlig zu Recht: Wir wollen nie wieder Täter sein. Konkret heißt das, die Anwendung militärischer Gewalt als Mittel der Politik wird als illegitim betrachtet. Das ist aus historischer und psychologischer Sicht völlig verständlich. Die Mehrheit der jüdischen Welt hat aus Krieg und Holocaust eine andere Lehre gezogen: Wir wollen nie wieder Opfer sein. Das gilt vor allem für Israel. Umgeben von Feinden hält man dort die Anwendung militärischer Gewalt zur Verteidigung für legitim. Diese Diskrepanz führt dazu, dass Israel gerade in Deutschland besonders unbeliebt ist.

Aber der 50. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen wird in diesen Tagen groß gefeiert. Wie würden Sie das deutsch-israelische Verhältnis in einem Wort beschreiben?

Mit zwei Worten: fremde Freunde.

Und was ist stärker, das Fremde oder die Freundschaft?

Das kann man nicht verallgemeinern. Aber klar ist: Was wir im Sommer 2014 während des Gaza-Kriegs auf deutschen Straßen gesehen, gehört und erlebt haben – etwa die schreckliche Forderung „Juden ins Gas“ –, kann man ja nun wirklich nicht als Freundschaft bezeichnen.

Wie haben die Israelis auf die Ausschreitungen reagiert?

Es hat so gut wie nichts an der Begeisterung für Deutschland geändert. Die Bundesrepublik ist nach den USA immer noch der beliebteste Staat. Das zeigt schon die große Zahl der Israelis, die in Deutschland – vor allem in Berlin – leben. Schätzungen zufolge sind es zwischen 12000 und 20000. Und dazu kommen jedes Jahr noch tausende Touristen, die Deutschland bereisen. Die Nachfahren des Volkes der Opfer haben offenkundig den Nachfahren des Volkes der Täter wirklich verziehen. Das ist ein historisches Wunder.

Das scheint auf deutscher Seite nicht goutiert zu werden. Laut Umfragen hat die Mehrheit der Bundesbürger große Vorbehalte gegenüber Israel. Vor allem junge Leute halten demnach wenig vom jüdischen Staat.

Das ist doch nichts Neues!

Aber was kann man dagegen tun?

Ich habe keine Patentrezepte parat. Ich kann nur dafür plädieren, dass sich beide Völker in das jeweils andere hineinversetzen sollten. Das gilt vor allem für die deutsche Seite. Die jüdische Welt hat sich mit dem neuen Deutschland weitgehend ausgesöhnt.

Und das offizielle Deutschland betont immer wieder, wie gut die Beziehungen zu Israel sind. Stimmt das denn?

Regierungspolitiker und Vertreter der Parteien beziehen sich in der Regel immer auf das, was sie selbst erleben. Und das ist auf dieser Ebene ja zumeist recht positiv, von allseits üblichen politischen Unstimmigkeiten einmal abgesehen.

Was braucht es, um das Verhältnis auch in der Breite zu verbessern?

Wichtig ist mehr Wissen. Literatur, Filme, Theater, Forschung, Wirtschaft – die israelische Gesellschaft ist in ihrer Vielfalt faszinierend. Das beruht auf einer 2100 Jahre alten, in die Breite gehenden Lehr- und Lerntradition. Israel steht in dieser Tradition. Hinzu kommt: Kaum ein Problem wird unter den Teppich gekehrt. Bei innerjüdischen Streitigkeiten kracht es oft richtig. Das ist gelebte Demokratie mit zum Teil heftigen Emotionen. Das bekommen hier ja nur wenige Menschen mit. Der übliche Blick von Deutschland auf Israel ist fast ausschließlich vom Nahostkonflikt geprägt.

Würden die Deutschen mit Israel weniger hart ins Gericht gehen, wenn der Nahostkonflikt beigelegt wäre?

Nicht die Antisemiten, nicht die alte und nicht mehr so neue Linke. Und leider nur ein Teil der einheimischen Muslime. Klar ist aber auch: Die Zwei-Staaten-Lösung ist keine Lösung, sie schafft beiden Seiten riesige neue Probleme. Föderalisierung erscheint mir vielversprechender.

In Ihrem neuen Buch „Zum Weltfrieden“ entwickeln Sie ein Modell, um den Streit zwischen Israelis und Palästinensern zu beenden. Wie stellen Sie sich eine einvernehmliche Lösung vor?

Zunächst einmal: Die Idee des Nationalstaats ist nicht nur im Nahen Osten eine Fiktion, kein Faktum. Das gilt auch für Palästina und Israel. Nationalstaatlichkeit geht davon aus, dass Bevölkerung und Grenzen deckungsgleich wären. Doch das trifft nicht zu. Israel ist demografisch zu etwa 80 Prozent jüdisch und zu 20 Prozent arabisch-muslimisch. Und zu einer Demokratie gehört die Selbstbestimmung. Das ist zwar in Israel bei Wahlen gewährleistet. Aber die arabische Minderheit kann kein jüdisches Wir-Gefühl entwickeln.

Was folgt daraus?

Es bedarf einer stärkeren palästinensischen Autonomie auch in Israel. Denn Selbstbestimmung führt zu politischer Befriedigung. Politische Befriedigung führt zu Befriedung und damit zu Frieden.

Zur Startseite