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Vier Gewalttaten haben Deutschland in kürzester Zeit erschüttert. Das Land trauert - wie hier in München.
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Update

Würzburg, München, Reutlingen, Ansbach: Deutschland sucht nach den Motiven

Vier Bluttaten mit Toten und Verletzten versetzen Deutschland in Angst und Schrecken. Was trieb die jungen Männer an? Ein Überblick.

In der vergangenen Woche haben vier Bluttaten die Bundesrepublik erschüttert. Es begann mit der Axt-Attacke in Würzburg, dann folgten der Amoklauf in München, der tödliche Messerangriff auf eine Frau in Reutlingen und der Selbstmordanschlag in Ansbach. Alle Täter hatten einen Migrationshintergrund und agierten hasserfüllt. Dennoch sind die Tatmotive zumindest teilweise höchst unterschiedlich. Jedenfalls nach den bisherigen Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden über die Täter.

Würzburg: Riaz Khan Ahmadzai

Beim Axt-Attentäter sind die Basisdaten unklar. Er reiste Ende Juni 2015 bei Passau als Flüchtling in die Bundesrepublik ein und gab sich als 16-jähriger Afghane namens Riaz Khan Ahmadzai aus. Die Behörden vermuten, der Täter sei älter gewesen und aus Pakistan gekommen. Der Mann könnte sich aber größere Chancen auf die Gewährung von Asyl erhofft haben, wenn er sich als unbegleiteter jugendlicher Flüchtling ausgibt. Jedenfalls stellte er am 16. Dezember einen Asylantrag, im März bekam er die „Aufenthaltsgestattung“ für die Zeit des Asylverfahrens. Der Täter wohnte in Ochsenfurt (bei Würzburg) in einem Kolpingheim. Am 1. Juli nahm ihn eine Familie in Gaukönigshofen in ihrem Bauernhof auf.

Am Abend des 18. Juli stieg er in Ochsenfurt in einen Zug in Richtung Würzburg. Der Täter war mit einer Axt und einem Messer bewaffnet. Bei Würzburg griff er Passagiere an und verletzte vier Chinesen aus Hongkong. Während der Tat rief er „Allahu akbar“. Fahrgäste zogen die Notbremse, der Täter sprang aus dem Zug und hieb auf seiner Flucht auf eine Passantin ein. Ein Spezialeinsatzkommando der Polizei, das zufällig in der Nähe war, erschoss den Mann.

Die Sicherheitsbehörden werten die Tat als islamistischen Anschlag. Die Bundesanwaltschaft übernahm die Ermittlungen wegen des Verdachts, der Täter habe als Mitglied der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) gehandelt. Die IS-nahe Medienstelle „Amaq“ hatte nach der Bluttat ein Video des Axt-Angreifers veröffentlicht. In dem Film nennt er sich „Soldat des Kalifats“ und kündigt einen Anschlag an. Offen bleibt, ob der IS den Flüchtling gezielt eingesetzt hat oder ob sich dieser der Terrormiliz andiente und weitgehend auf eigene Faust agierte.

Bis wenige Minuten vor der Tat soll er jedoch Kontakt mit einer unbekannten Person oder Organisation gehabt haben, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus Ermittlerkreisen. „Wer das war, können wir aber noch nicht sagen“, hieß es. Man wisse allerdings, dass sich die Kontaktperson im Nahen Osten aufgehalten habe.

München: Ali David S.

Die spektakulärste und blutigste Tat in der Horrorwoche ist in Teilen immer noch rätselhaft. Die Sicherheitsbehörden werten den Amoklauf vom 22. Juli, bei dem neun Menschen starben und 36 durch Schüsse oder auf ihrer panischen Flucht verletzt wurden, bislang als unpolitisches Verbrechen. Es gibt aber Indizien für rassistische Ansichten des 18-jährigen deutsch-iranischen Attentäters. Er habe seine Tat offenbar bewusst am fünften Jahrestag des Massakers begangen, das der norwegische Rechtsextremist Anders Breivik 2011 in Oslo und auf der Insel Utoya verübt hatte, heißt es in Sicherheitskreisen. Außerdem sei S. stolz darauf gewesen, wie Hitler an einem 20. April geboren zu sein und habe sich als „Arier“ gefühlt. Während der Tat rief Ali David S., wie auf dem Video eines Augenzeugen zu sehen ist, „Scheiß Türken“. Er hatte sich zudem vor der Tat in den Facebook-Account einer Türkin eingeschlichen und junge Leute aufgerufen, an dem Freitag gegen 16 Uhr zum „Meggi“ zu kommen. Gemeint war die McDonald’s-Filiale im Olympia-Einkaufszentrum. Im Restaurant begann Ali David S., kurz vor 18 Uhr, zu schießen. Die Pistole hatte er sich über das Darknet beschafft.

„Wir haben derzeit keine belastbaren Anhaltspunkte, dass es eine rechtsextremistisch motivierte Tat war“, sagte am Donnerstag ein Sprecher der Münchener Staatsanwaltschaft. Auszuschließen sei es aber auch nicht. „Wir wissen nicht, ob der Täter seine Opfer ausgewählt oder zufällig anwesende Leute erschossen hat.“

Acht der neun Todesopfer haben einen Migrationshintergrund, unter den Verletzten befinden sich mehrere Deutsche, die keine ausländische Herkunft haben. Sicherheitskreise berichten, Ali David S. habe vor der Tat in einem Chat geäußert, „ich hasse alle Menschen“. Außerdem sei er wegen Depressionen behandelt worden. Stunden nach der Tat erschoss sich der 18-Jährige .

Unterdessen hat die Polizei im Kreis Ludwigsburg (bei Stuttgart) einen 15-Jährigen in Gewahrsam genommen, der in Kontakt zu Ali David S. gestanden und auch einen Amoklauf geplant haben soll.

Reutlingen: Mohamad H.

Die Messerattacke des 21-jährigen Syrers Mohamad H. vergangenen Sonntag in Reutlingen werten Polizei und Staatsanwaltschaft als Beziehungstat. Der Flüchtling erstach auf offener Straße seine polnische Freundin. Auf der Flucht verletzte H. fünf weitere Menschen, bevor er von einem BMW umgefahren wurde. Hinweise auf einen politischen Hintergrund gebe es nicht, sagen Sicherheitskreise.

Ansbach: Mohammed Daleel

Auch wenn der erste Selbstmordattentäter auf deutschem Boden ebenfalls größere psychische Probleme hatte, halten die Behörden in diesem Fall ein politisches Motiv für sehr wahrscheinlich. Die IS-Medienstelle hat nach dem Anschlag vom Sonntag in Ansbach ein Video des Syrers veröffentlicht, in dem er seinen Treueschwur auf den Anführer der Terrormiliz, Abu Bakr al Baghdadi, „erneuert“. Das sei ein Indiz für eine schon länger andauernde Mitgliedschaft des Flüchtlings beim IS, sagen Sicherheitskreise und vermuten: Mohammed Daleel wurde als Schläfer nach Deutschland geschickt.

Unmittelbar vor dem Anschlag habe ein Unbekannter aus dem Nahen Osten dem Täter konkrete Anweisungen gegeben, was er tun solle, wie er sich verhalten solle, teilte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann mit. „Der Gesprächspartner wusste genau, worum es geht“, sagte Herrmann. Nähere Angaben machte er nicht.

Der 27 Jahre alte Syrer hatte im August 2014 in der Bundesrepublik einen Asylantrag gestellt. 2013 war er allerdings in Bulgarien als Flüchtling registriert worden. Dort hatte er von traumatischen Erlebnissen im syrischen Bürgerkrieg berichtet. In Bulgarien könnte aber auch eine Anwerbung durch den IS stattgefunden haben, sagen Sicherheitskreise. Daleel hatte einem deutschen Psychiater von einem Syrer berichtet, der ihm einen Flug nach Österreich bezahlt habe.

Nach Erkenntnissen der Behörden baute Daleel im Flüchtlingsheim eine Nagelbombe. Bei der Explosion während des Festivals „Ansbach Open“ starb der Syrer, 15 Menschen wurden verletzt. Es bleibt unklar, ob der Sprengsatz im Rucksack zu früh zündete und Daleel gar nicht sterben wollte. Die Bundesanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts, der Täter habe als IS-Mitglied gebombt.

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