Mord an Georgier im Kleinen Tiergarten: Deutschland muss seine Russland-Politik grundlegend ändern
Der russische Staat ist wohl in den Mord an dem Georgier Khangoshvili verwickelt. Die Bundesregierung aber bleibt ein klares Signal schuldig. Ein Kommentar.
Mitten in Berlin ist ein Mann von einem Auftragskiller erschossen worden. Der Verdacht, der seit der Tat vor mehr als drei Monaten im Raum stand, lässt sich nun durch Indizien untermauern: Den Auftrag zu dem Mord sollen staatliche Stellen in Russland gegeben haben. Dafür sieht der Generalbundesanwalt „zureichende Anhaltspunkte“. Bis er mit dieser Einschätzung an die Öffentlichkeit ging und die Ermittlungen übernahm, hat sich seine Behörde viel Zeit gelassen. Denn damit wird der Mordfall endgültig zum internationalen Politskandal.
Die Bundesregierung hat bisher versucht, die Auswirkungen des Falls auf das deutsch-russische Verhältnis gering zu halten. Sie hat so lange wie möglich öffentlich zu dem Fall geschwiegen, obwohl Recherchen von Journalisten und Hinweise anderer Staaten eine Beteiligung russischer Geheimdienste nahelegten.
Jetzt kann sie nicht mehr schweigen, die Ergebnisse der ersten Ermittlungen liegen auf dem Tisch. Und wie reagiert die Bundesregierung? Zwei Mitarbeiter der russischen Botschaft, die für einen Nachrichtendienst arbeiten sollen, werden zu unerwünschten Personen erklärt.
Damit bleibt das Auswärtige Amt hinter der Reaktion im Fall des russischen Ex-Spions Sergej Skripal zurück, der 2018 in Großbritannien von Agenten des russischen Militärgeheimdienstes mit einem chemischen Kampfstoff vergiftet wurde. Damals wies die Bundesregierung vier angebliche russische Diplomaten aus, und Außenminister Heiko Maas sagte, die Indizien wiesen nach Moskau.
Notwendig wäre ein klares Signal
Doch nach dem Mord an dem Georgier Zelimkhan Khangoshvili wirft das Auswärtige Amt Moskau lediglich vor, nicht zur Aufklärung beizutragen. Die deutschen Diplomaten erwähnen die mutmaßliche russische Beteiligung nicht einmal andeutungsweise. Derartige Beschwichtigungsversuche helfen im deutsch-russischen Verhältnis nicht weiter. Notwendig wäre ein klares Signal, dass ein politischer Auftragsmord mitten in der deutschen Hauptstadt eine Grenzüberschreitung ist, die nicht folgenlos bleiben kann.
Die Bundesregierung sollte diese Tat zum Anlass nehmen, ihre Russland-Politik grundlegend zu überdenken. Sie könnte damit anfangen, die Dinge endlich beim Namen zu nennen. In den vergangenen fünf Jahren war Putins Russland verantwortlich für die Beeinflussung von Wahlen in westlichen Demokratien, für Hackerangriffe, auch auf Bundestag und Regierung, für massive Desinformationskampagnen im Internet und für die Kriege in der Ukraine und in Syrien.
Gespräche mit dem Kreml wird es weiter geben
Doch wer die deutsche Debatte über die Russlandpolitik verfolgt, findet davon wenig wieder. Stattdessen ist in Berlin alle paar Wochen die Rede davon, die Sanktionen abzubauen, die wegen der russischen Intervention in der Ukraine verhängt wurden. Immer wieder wird beschworen, man müsse mit Russland im Gespräch bleiben – als würde irgendjemand den Abbruch der Kontakte verlangen.
Gespräche mit dem Kreml wird es selbstverständlich weiterhin geben. Bereits am Montag trifft die Bundeskanzlerin den russischen Präsidenten beim Ukraine-Gipfel in Paris. Aber dann sollte sie Russlands Rolle im Ukraine-Krieg klar benennen und den Abzug russischer Kämpfer aus dem Donbass fordern.
Deutschland braucht eine Russlandpolitik, die auf Fakten basiert – und nicht auf einer Wunschvorstellung, die mit der Realität wenig zu tun hat.