Kopfschuss-Mord in Berlin-Moabit: Moskau unter Verdacht, Bundesanwaltschaft übernimmt Ermittlungen
In den Fall des in Berlin ermordeten Georgiers kommt Bewegung. Eine schwere diplomatische Krise zwischen Russland und Deutschland könnte folgen.
Den deutsch-russischen Beziehungen steht offenbar eine schwere Belastungsprobe bevor. Im Fall des im August in Berlin erschossenen Georgiers Zelimkhan Khangoschwili wird die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen übernehmen, wegen des Verdachts auf eine Verstrickung staatlicher russischer Stellen. Darüber hatte zuerst der „Spiegel Online“ berichtet.
Sicherheitskreise sagten am Dienstag gegenüber dem Tagesspiegel, der festgenommene, mutmaßliche Mörder habe wahrscheinlich in Russland nach einem früheren Tötungsverbrechen eine neue Identität erhalten und dann die Tat in Berlin verübt. Die Bundesanwaltschaft sagte auf Anfrage nur, „wir haben noch nicht übernommen“. Die russische Regierung hat bislang dementiert, staatliche Stellen seien an dem Verbrechen beteiligt gewesen.
Gefälschter Pass – von oberster Stelle?
Am 23. August wurde der 40-jährige Khangoschwili in Moabit im Kleinen Tiergarten mit Schüssen in den Kopf getötet. Kurz nach der Tat nahm die Polizei einen Russen fest. In seinem Pass steht der Name Wadim Andreevich Sokolov, 49 Jahre alt. Der Mann bestritt den Mord und verlangte, die russische Botschaft solle von der Festnahme unterrichtet werden. Deutsche Ermittler hatten von Beginn an Zweifel, dass der Name des mutmaßlichen Mörders stimmt. Nun gibt es Erkenntnisse, dass „Sokolov“ bereits 2013 in Moskau einen Geschäftsmann ermordet hat.
Der Täter soll damals mit seinem vermutlich echten Namen Wadim Krasikov aufgetreten sein. Dass der jetzt offenbar 54 Jahre alte Krasikov dann trotz des Verbrechens einen echten russischen Pass auf den falschen Namen Sokolov erhielt, sei ein gewichtiges Indiz für die Verwicklung Russlands in den Mord in Berlin, hieß es jetzt in Sicherheitskreisen. Es sei unvermeidlich, dass die Bundesanwaltschaft nun die Ermittlungen übernehme.
Die deutschen Behörden sollen über ein Fahndungsersuchen Russlands aus dem Jahr 2014 auf Krasikov gestoßen sein. Das berichtet "Spiegel Online". Demnach wurde Krasikov damals verdächtigt, den Geschäftsmann erschossen zu haben. Die Tat lief offenbar ähnlich ab wie der Mord in Berlin. Krasikov soll sich dem Opfer auf einem Fahrrad genähert und gezielt in Kopf und Rücken geschossen haben. In Moabit kam der Täter ebenfalls auf einem Rad und schoss Zelimkhan Khangoschwili in den Kopf.
Gemeinsam mit den Rechercheplattformen Bellingcat, The Dossier Centre und The Insider hatte der "Spiegel" bereits kurz nach dem Mord in Berlin herausgefunden, dass Krasikov mit einer falschen Identität in Deutschland eingereist war. Der Name "Sokolov" war nicht in der russischen Datenbank für Reisepässe eingetragen, der Visumsantrag für den Schengen-Raum war falsch und der Mann war bei seinem angeblichen Arbeitgeber nicht bekannt.
Außerdem war die Personalie Sokolov im russischen Register für nationale Ausweispapiere mit einem Sperrvermerk versehen. Der Reisepass auf den Namen Sokolov wurde zudem erst kurz vor dem Attentat auf Khangoschwili ausgestellt.
Suche nach Auftraggeber geht weiter
Schon früher war in deutschen Sicherheitskreisen zu hören, der Mord an Khangoschwili sei offenbar Staatsterrorismus. Ob ein russischer Geheimdienst oder eine anderes Staatsorgan hinter der Tat steckt, ist offen. Verdächtigt wird auch Russlands brutaler Statthalter in Tschetschenien, Ramsan Kadyrow. Er hat die Rebellen in der Provinz mit extremer Härte bekämpft. Zelimkhan Khangoschwili hatte an der Seite der Aufständischen gegen Russland gekämpft. Im Mai 2015 wurde Khangoschwili bei einem Attentat in der georgischen Hauptstadt Tiflis angeschossen. Ein Täter wurde nicht ermittelt. 2016 beantragte der Georgier in Deutschland Asyl.
Mit der Übernahme der Ermittlungen durch die Bundesanwaltschaft bekommt der Mord an Khangoschwili eine politische Dimension wie der Fall Skripal, der zu schweren Verwerfungen im russisch-britischen Verhältnis führte.
Im März 2018 hatten offenkundig Agenten des russischen Militärgeheimdienstes GRU den zu den Briten übergelaufenen Ex-Geheimdienstoberst Sergej Skripal und seine Tochter in der englischen Stadt Salisbury mit dem Nervenkampfstoff Nowitschok attackiert. Die beiden Opfer überlebten nur knapp. Die britische Regierung machte Russland für den Anschlag verantwortlich und wies 23 russische Diplomaten aus. Weitere 27 Staaten, darunter Deutschland und die USA, schickten russische Diplomaten in die Heimat.
Der Innenexperte der Unionsfraktion im Bundestag, Armin Schuster, hält im Fall des Mordes in Berlin eine harte Antwort der Bundesrepublik für nötig. "Sollte sich nach dem Fall Skripal in England jetzt auch in Deutschland ein politischer Mordanschlag im Auftrag Russlands bestätigen, müssten ernste diplomatische Sanktionen Deutschlands, aber auch der EU folgen", sagte Schuster dem Tagesspiegel. "Solche Tathergänge erinnern an die Zeiten des Kalten Krieges. Das hat dann auch erhebliche Konsequenzen für die Spionageabwehr gegenüber Russland", betonte der CDU-Politiker.