Kommunalpolitiker wehren sich gegen Hetze: „Deutschland hat ein massives Problem mit Hass und Gewalt“
Die Bedrohung von Bürgermeistern, Landräten, Stadt- und Gemeinderäten wächst. In Zwickau vernetzt Bundespräsident Steinmeier Betroffene.
„In den letzten Jahren ist das Klima rauer geworden“, sagt Pia Findeiß. Seit 26 Jahren ist die 64-Jährige SPD-Frau in der Kommunalpolitik, seit 2008 Oberbürgermeisterin von Zwickau. Sie spricht also aus Erfahrung, als Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Dienstag rund 150 andere Kommunalpolitiker im Rathaus der südwestsächsischen Stadt zum Gespräch empfängt.
Im Januar 2016 war des Nachts ein Pflasterstein durchs Badezimmerfenster in die Einliegerwohnung ihrer Mutter im gemeinsamen Wohnhaus geflogen - ein politischer Angriff von rechter Seite, wie sich aus dem beigefügten Zettel ergab. Schon zuvor hatte es immer wieder Aufläufe pöbelnder Demonstranten vor ihrem Wohnhaus gegeben.
„Hass schlägt in Gewalt um“, schildert Findeiß der Diskussionsrunde, die unter dem Motto „Gemeinsam gegen Hass und Gewalt“ vor allem die Bedrohung von Stadt- und Gemeinderäten, Bürgermeistern und Landräten erörtern will.
Bestärkt wird die SPD-Politikerin von zahlreichen Diskutanten, die sich bei der Beratung zu Wort melden. Etwa Frank Vogel (CDU), Landrat im Erzgebirgskreis. Er beobachtet vor allem seit 2015 - den Auseinandersetzungen um die in großer Zahl in Deutschland eintreffenden Flüchtlinge - einen „zunehmenden Werteverfall“. Und sagt: „Sich mal vernünftig zu unterhalten, ist eigentlich nicht mehr gegeben.“
Bedrückend findet er auch die „große Masse der Anonymität“, die in Hass-Postings im Internet ihren Ausdruck findet.
Roland Gefreiter, ehrenamtlicher Bürgermeister der Gemeinde Schönwald im brandenburgischen Landkreis Dahme-Spreewald ergänzt: „Gewalt entsteht durch Frust.“ Und nicht selten spiegele sich diese Stimmung auch in hohen Wahlergebnissen für die AfD nieder.
Andere berichteten in der Runde von Morddrohungen, in Heidelberg beispielsweise habe es „Gewaltangriffe durch AfD-Stadträte“ gegeben. Eher am Rande ist Thema, dass immer wieder auch AfD-Politiker Gewaltattacken ausgesetzt sind.
Das Thema der Bedrohung von Kommunalpolitikern ist Steinmeier seit Monaten ein zentrales Anliegen. Im Juli vergangenen Jahres lud er Vertreterinnen und Vertreter der Kommunalpolitik ins Schloss Bellevue ein, um sowohl über verbale Angriffe als auch über gewalttätige Attacken zu sprechen.
Sein Ziel: Jüngere zu ermutigen, für die Demokratie zu arbeiten. Was immer schwerer möglich ist, wenn Kommunalpolitiker unkalkulierbaren Risiken ausgesetzt sind. Mitte Dezember 2019 war der Bundespräsident in der sächsischen Lebkuchen-Kleinstadt Pulsnitz und tauschte sich auch hier zu dem Problem aus.
Studie: Zwei von drei Bürgermeistern betroffen
Das ist wahrlich gewaltig. Am Dienstag, quasi pünktlich zum Steinmeier-Besuch in Zwickau, ist eine Studie des Kommunal-Verlages mit alarmierenden Zahlen veröffentlicht worden. Im Auftrag des ARD-Politmagazins „Report München“ wurden fast 2500 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister aus allen Teilen Deutschlands befragt.
Demnach stieg die Zahl derer, die in ihrer Funktion beleidigt, beschimpft, bedroht oder tätlich angegriffen wurden, im vergangenen Jahr noch einmal deutlich an. Fast zwei Drittel der Befragten (64 Prozent) sagten, sie hätten das schon erlebt, ein großer Teil von ihnen sogar mehrfach. 2018 waren es „nur“ 41 Prozent.
Und das ist noch eine Gruppe, die eine, verglichen mit der Zivilgesellschaft, vergleichsweise gute Lobby hat, wie André Löscher von der Opferberatung RAA Sachsen sagte. Das zeige sich auch an der großen Aufmerksamkeit für die von Steinmeier vorangetriebene Diskussion.
Galgen im Vorgarten einer Bürgermeisterin
„Deutschland hat ein massives Problem mit Hass und Gewalt“, sagte der Bundespräsident in Zwickau. Er erwähnte noch einmal den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, die rechtsterroristischen Morde in Halle und Hanau. Und erklärte dann, dass genau die Bürgernähe, welche die Arbeit von Kommunalpolitikern so unverzichtbar mache, auch ihre Verwundbarkeit begründe.
„In den allermeisten Fällen haben Sie keinen Personenschutz und keine gepanzerten Fahrzeuge“, sagte er. „Wenn es hart auf hart auf hart kommt, stehen Sie ganz alleine auf dem Bürgersteig.“ Was ihm berichtet werde, reiche vom Eierwurf „bis hin zur Drohung, dass der Galgen schon aufgebaut sei, in einem Fall im Vorgarten einer Bürgermeisterin schon errichtet wurde“.
Konkrete Maßnahmen dagegen? Die in Zwickau geladenen Expertinnen und Experten gaben zu, dass noch längst nicht alles getan wird, was möglich ist. Anna-Lena von Hodenberg von der zivilgesellschaftlichen Initiative „Hate Aid“ benannte als Problem, dass auf kommunaler Ebene meistens die Adressen von Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern bekannt sind, die Täter oft aus dem Umfeld kämen.
Rücktritte nach Mobbing von rechts
In den vergangenen Jahren gab es eine Reihe von Beispielen dafür, dass Bürgermeister ihr Amt nach rechtsextremen Drohungen abgegeben haben. Markus Nierth aus Tröglitz im sachsen-anhaltischen Burgenlandkreis beispielsweise 2015, weil eine Demonstration der NPD vor seinem Wohnhaus stattfinden sollte.
In Arnsdorf bei Dresden wurde die SPD-Bürgermeisterin Martina Angermann so lange von Rechten gemobbt, bis sie krank wurde. Nach 18 Jahren gab sie ihr Amt ab - in jener Gemeinde, in der in Bürgerwehr-Manier ein Flüchtling mit Kabelbindern an einem Baum gefesselt worden war. Als Nachfolger für Angermann im Bürgermeister-Amt tritt jetzt ein AfD-Politiker an - ein früherer CDU-Gemeinderat, der an der Kabelbinder-Aktion beteiligt war.
Experten sagen, die Justiz könnte mehr tun
Einigkeit bestand am Dienstag in Zwickau in der Kritik, dass Anzeigen von Straftaten oft nicht mit Vehemenz verfolgt werden, viele Verfahren werden eingestellt. „Feiertage für die Täter“, wie Zwickaus Oberbürgermeisterin Findeiß es sieht.
Oberstaatsanwalt Markus Hartmann, Leiter der Zentralstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen, sagte: „Respekt werde ich mit Mitteln des Strafrechts nicht erzwingen können.“ Er gab aber zu, dass sich die Strafverfolgungsbehörden besser vernetzen und „deutlich zugänglicher aufstellen“ müssten. „Die Reaktionszeiten sind zu lange.“
Ähnlich wie der Bundespräsident hat auch Sachsens Vize-Ministerpräsident und SPD-Landeschef Martin Dulig die Befürchtung, dass, wenn das Problem nicht in den Griff genommen werde, es immer schwerer werde, Menschen für den Einsatz in der Kommunalpolitik zu gewinnen. Als Appell wiederholt er seinen Satz, nach dem „Demokratie kein Pizzadienst“ sei, bei dem man nur bestellen müsse.
Aus München angereist war der jüdische Stadtrat Marian Offman, 2019 von der CSU zur SPD gewechselt. Er schilderte das behäbige Verhalten der bayerischen Justiz nach Hass-Attacken. Und sagte: „Die Neonazis haben es inzwischen in München geschafft. Dank des Verhaltens der Staatsanwaltschaft wollen sich jüdische junge Leute nicht mehr in die Kommunalpolitik einmischen.“
CDU-Mitglied aus Zwickau beschimpfte Heiko Maas als „Volksverräter“
Dialog kann helfen, muss aber nicht. Die Attacken kommen zuweilen aus der Mitte der Gesellschaft. Als 2016 der damalige Justizminister Heiko Maas (SPD) von rechten Pöblern aus Zwickau verjagt wurde, war auch ein CDU-Mitgliedern unter jenen, die „Volksverräter“ skandierten. Er kam später einem drohenden Parteiausschluss durch Austritt zuvor.
Im Stadtrat und im Kreistag von Zwickau gibt es zuweilen seltsame Allianzen, bei denen sich auch AfD und Linkspartei verbünden. Selbst Oberbürgermeisterin Findeiß ist stolz darauf, dass „fast immer einstimmige Stadtratsbeschlüsse“ gefasst werden. „Dass man alle von einem gemeinsamen Weg überzeugt - das ist mir immer ein Anliegen gewesen“, sagte die Politikerin kurz vor dem Steinmeier-Besuch der „Zeit“. „Das lassen wir uns von der AfD nicht kaputtmachen.“
Findeiß tritt demnächst von ihrem Amt zurück. Sie versichert, dass diese Entscheidungen mit den rechtsextremen Bedrohungen nichts zu tun habe. Aber sie vermisst, wie sie am Dienstag beim Gespräch mit dem Bundespräsidenten sagte, den „Aufschrei aus der Gesellschaft, wenn Dinge passieren, die nicht passieren dürfen“. Ihre künftige Rolle in Zwickau beschrieb sie so: Sie sei dann „Mitglied der Zivilgesellschaft“.