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21,1 Milliarden Euro haben Bund, Länder, Kommunen und die Sozialversicherungen mehr eingenommen als ausgegeben.
© Jens Wolf/dpa

Überschuss in Staatskassen: Deutschland hat 21,1 Milliarden auf der hohen Kante

21,1 Milliarden Euro haben die staatlichen Kassen mehr eingenommen als ausgegeben. Nun wird über die Verwendung gestritten. Wofür könnte das Geld ausgegeben werden?

In jedem Kabinett gibt es einen Onkel Dagobert – und viele Donalds. Der Finanzminister verwaltet die Einnahmen, die Ressortminister sinnen auf Ausgaben. Dagobert neigt dazu, das Geld zusammenzuhalten, bei den Neffen sitzt es locker. Lange haben die Finanzminister das Sagen gehabt, denn seit der Finanzkrise nach 2007 war – angesichts von Konjunktureinbrüchen und geringeren Steuereinnahmen – erst einmal Sparen und Konsolidieren angesagt. Doch nun kann sich die Geschichte wenden. Am Dienstag berichtete das Statistische Bundesamt, dass sich der staatliche Überschuss im ersten Halbjahr auf eine stattliche Summe beläuft: 21,1 Milliarden Euro wurden mehr eingenommen als ausgegeben.

Gemessen an der gesamten Wirtschaftsleistung Deutschlands ist das ein Etatüberschuss von 1,4 Prozent. Zum Vergleich: Im Krisenjahr 2010 lag das Minus bei 4,2 Prozent. Die Euro-Stabilitätsvorgaben verlangen, dass das jährliche Minus die Dreiprozentmarke nicht überschreiten soll. So gesehen hat der deutsche Staat jetzt also viel Luft – 4,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, wenn man den gesamten Spielraum ausschöpfen wollte. Oder 65 Milliarden Euro. Um eine solche Summe wird es zwar nicht gehen, aber streiten werden Dagobert und die Neffen nun um die Frage, wohin mit dem vielen Geld.

Woher kommen die Mehreinnahmen?

Die Wirtschaft brummt derzeit, auch dank des günstigen Euro-Kurses gegenüber vielen Währungen, vor allem dem US-Dollar. Das verteuert zwar Importe von außerhalb der Euro-Zone, also vor allem das Öl, aber da der Ölpreis fällt und fällt, wirkt sich das nicht allzu negativ aus. Für die Exporte, die Stärke der deutschen Wirtschaft, ist der relativ schwache Euro dagegen gut. Die Bundesrepublik verkauft mehr, und das steigert die Steuereinnahmen, die aus Unternehmensgewinnen resultieren. Noch mehr aber steigert es die Einkommen der Arbeitnehmer. Insgesamt wuchsen die Steuereinnahmen um 4,6 Prozent auf gut 343 Milliarden Euro.

Dazu trugen vor allem die Steuern auf Einkommen und Vermögen mit einem Plus von 6,4 Prozent bei. Höhere Einkommen brachten auch mehr Konsum – das Mehrwertsteueraufkommen wuchs daher um 3,3 Prozent. So stiegen auch die Sozialbeiträge, also für Renten- und Krankenversicherungen, um 3,9 Prozent. Und da der schwache Euro mit extrem niedrigen Zinsen einhergeht, fielen die staatlichen Zinsausgaben wiederum deutlich – um 17,5 Prozent. Das hat den Ausgabenanstieg gedämpft: Er lag bei 2,1 Prozent, oder plus 13,5 Milliarden auf 641 Milliarden Euro.

Wie verteilt sich der Überschuss?

Die Hälfte der gut 21 Milliarden Euro, die sozusagen überplanmäßig in die Kassen fließen, kann der Bund verzeichnen. Ein Plus von 10,5 Milliarden Euro kann Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) auf der Habenseite verbuchen. Allerdings rühren 4,4 Milliarden davon aus einer einmaligen Sondereinnahme – der Versteigerung von Mobilfunkfrequenzen im Juni. Auch die Länder profitierten davon in Höhe von 0,6 Milliarden Euro. Und auch sie konnten in den ersten sechs Monaten ein klares Plus erzielen – insgesamt 2,6 Milliarden Euro. Noch mehr kam bei den Kommunen zusammen – 4,2 Milliarden Euro. Und auch die Sozialkassen verzeichneten ein Mehr von 3,7 Milliarden Euro, allerdings waren es im vorigen Jahr noch 6,5 Milliarden.

Was werden die Streitpunkte im Bund sein?

Zunächst einmal steigt das Bundesfinanzministerium auf die Bremse: „Eine konkrete und belastbare Aussage zum voraussichtlichen Abschluss des Bundeshaushalts 2015 kann derzeit nicht getroffen werden“, lautet die offizielle Stellungnahme. Man will abwarten, was die zweite Jahreshälfte bringt. Doch dürfte die das Plus kaum ins Minus verkehren. Nach der Haushaltsordnung fließen Überschüsse im Bundesetat eigentlich in die Schuldentilgung. Schäuble dürfte so viel wie möglich für diesen Zweck behalten wollen – um gut dazustehen, wenn die Zinsen wieder steigen. Nach der Planung des Bundesfinanzministers soll die Euro-Stabilitätsvorgabe eines nationalen Schuldenstandes von 60 Prozent der Wirtschaftskraft 2019 annähernd erreicht sein. Doch könnte die Union darauf zielen, schon früher dahinzukommen, um im Bundestagswahlkampf 2017 als Partei der finanzpolitischen Solidität zu glänzen. Der SPD dürfte dagegen mehr daran gelegen sein, die Ausgaben zu erhöhen – nach den Schmalhansjahren soll es nun wieder mehr sein für Soziales, für Investitionen, für Schulen und Forschung (obwohl der Bildungsetat des Bundes bereit üppig gefüllt ist). Mit Blick auf 2017 dürften sich die Sozialdemokraten nicht gern von der grünen und linken Konkurrenz vorwerfen lassen, zu sehr an Schäubles Leine geführt worden zu sein.

Angesichts der steigenden Zahl von Flüchtlingen muss zunächst jedoch ein Teil der Mehreinnahmen für deren Unterbringung und deren Versorgung zur Seite gelegt werden. Der Bund wird den Zuschuss an Länder und Kommunen nochmals steigern müssen, Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) hat zuletzt eine Summe von zwei bis drei Milliarden Euro ins Gespräch gebracht. Da die Länder aber auch Mehreinnahmen haben, dürfte zumindest Schäuble hier Abstriche machen wollen.

Zwar hat der Bund zuletzt seine Investitionsausgaben schon erhöht, doch ist damit zu rechen, dass auch hier noch einmal draufgelegt wird. Nicht zuletzt beim Ausbau der digitalen Infrastruktur, vor allem in ländlichen Gebieten, gibt es großen Bedarf. Dafür ist Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) zuständig, und der dürfte seine Scharte bei der Pkw-Maut auswetzen wollen (sie bringt vorerst keine Einnahmen). Auch wird der Druck aus München wachsen, den neuen finanziellen Spielraum für ein Länderbetreuungsgeld zu nutzen.

Das Bundesverfassungsgericht hat diese Leistung aus dem Bundesetat als verfassungswidrig bezeichnet – nun will die CSU das von ihr erfundene Betreuungsgeld als Landesleistung anbieten und sich dabei aus den im Bundeshaushalt frei gewordenen 900 Millionen Euro bedienen. Auf der anderen Seite möchte Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) aber mehr Geld für den Kita-Ausbau ausgeben. Und Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) könnte auf die Idee kommen, dass der Bund die Eingliederungshilfe für Behinderte verbessern könnte.

Wie sieht es bei den Sozialversicherungen aus?

Mit Ausnahme der gesetzlichen Krankenversicherung lagen die Einnahmen in allen Sektoren wieder deutlich höher als die Ausgaben. Die Rentenversicherung etwa erzielte trotz Beitragssenkung um 0,2 Prozentpunkte, Milliarden-Mehrausgaben durch das Rentenpaket und Rentenerhöhung immer noch ein Plus von 4,6 Milliarden. Ihre Rücklage dürfte damit, aktuellen Prognosen des Schätzerkreises zufolge, zum Jahresende auf 33,4 Milliarden anwachsen. Das entspricht 1,73 Monatsausgaben. Im Mai waren die Experten noch von zwei Milliarden Euro weniger ausgegangen. Pflege- und Unfallversicherung nahmen jeweils 1,2 Milliarden Euro mehr ein, als sie ausgaben. Und die Bundesagentur für Arbeit schaffte nicht nur ein Plus von 0,7 Milliarden Euro, sondern aufgrund der guten Beschäftigungssituation sogar das Kunststück, ihre Ausgaben gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 400 Millionen zu verringern.

Warum liegen die Krankenkassen im Minus?

Etwas anders sieht es in der Krankenversicherung aus. Laut Statistischem Bundesamt lagen die Ausgaben in der ersten Jahreshälfte hier deutlich über den Einnahmen – die Differenz betrug satte 4,2 Milliarden Euro. Das ist zwar zu verkraften, weil der Gesundheitsfonds nach dem letzten Überschlag Ende März noch fast zehn Milliarden und die Kassen selber 15,5 Milliarden in Reserve hatten. Doch bei den derzeit 123 Versicherern sind die Rücklagen höchst unterschiedlich verteilt. Während manche, wie die AOK Plus oder die Techniker Krankenkasse, nach wie vor Hunderte von Millionen horten, leben andere Kassen bereits von der Hand in den Mund. Und wenn man sich die einzelnen Kassenarten genauer ansieht, stellt man fest, dass es bei fast allen bergab geht.

So hat es inzwischen auch die Allgemeinen Ortskrankenkassen erwischt, die erstmals seit Jahren wieder ein Defizit in dreistelliger Millionenhöhe melden mussten und dies mit einem „rasanten Ausgabenanstieg“ begründen. Ihr Minus betrug Ende Juni 110 Millionen Euro, drei Monate vorher waren sie noch mit 36 Millionen im Plus. Die Ersatzkassen verzeichneten ein Defizit von 191 Millionen. Die Betriebskrankenkassen rutschten mit 100 Millionen ins Minus, die Innungskassen mit 118 Millionen. Einzig die Knappschaft kommt noch auf schwarze Zahlen, ihr Überschuss betrug zur Jahreshälfte 48 Millionen Euro.

Die Bundesregierung rechnet wegen dieser Entwicklung damit, dass die Kassen schon im kommenden Jahr von ihren Versicherten höhere Zusatzbeiträge verlangen werden. In der Branche ist die Rede von einem durchschnittlichen Aufschlag von 0,2 bis 0,3 Prozentpunkten. Und der SPD-Experte Karl Lauterbach forderte bereits, dann auch wieder über steigende Arbeitgeberbeiträge zu reden. Aufgrund eines Koalitionsbeschlusses sind diese bisher eingefroren. Alle Kostensteigerungen wären, wenn es dabei bliebe, allein von den Arbeitnehmern zu zahlen.

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