Judenfeindlichkeit in Deutschland: Deutschland braucht einen Antisemitismusbeauftragten
Die Bekämpfung des Phänomens bleibt aber einer gesamtgesellschaftlich Aufgabe schreibt der parlamentarische Geschäftsführer der FDP in einem Gastbeitrag.
Jüdische Schüler werden in Berlin und in vielen anderen deutschen Städten Opfer massivsten religiösen Mobbings und trauen sich nicht mehr, offen zu ihrer Religion zu stehen. „Jude“ wird auf deutschen Schulhöfen als Schimpfwort gebrüllt. Zwei Rapper, deren Texte klare antisemitische Aussagen enthalten, werden mit dem wichtigsten Preis der deutschen Musikbranche ausgezeichnet –ausgerechnet am Tag des Holocaust-Gedenkens. Im deutschen Bundestag provozieren Rechtspopulisten durch das Infragestellen der Notwendigkeit einer lebendigen Erinnerungskultur an die Gräueltaten des NS-Regimes.
Wir brauchen einen Antisemitismusbeauftragten – dieser Satz ist im Jahr 2018 so richtig, wie er nachdenklich stimmen muss. Die Hoffnungen vergangener Jahrzehnte, der Antisemitismus in Deutschland werde im Zuge einer gelingenden „Vergangenheitspolitik“, besserer Aufklärung und wachsender zeitlicher Distanz zum Holocaust auf wenige Spurenelemente reduziert, war ebenso wohlmeinend wie leider auch etwas naiv. Gelernt haben wir aus der verengten Analyse zu wenig.
Mitten auf deutschen Straßen wird der "Kampf gegen Juden" immer brutaler
Nach wie vor ordnen auch die mit lauteren Motiven geführten Debatten über zunehmenden Antisemitismus das Phänomen spezifischen gesellschaftlichen Gruppen zu. Dies ist einerseits durchaus berechtigt: Nach wie vor zeigen alle empirischen Befunde und Antisemitismusberichte, dass insbesondere im Rechtsextremismus antisemitische Haltungen tief verwurzelt sind. Rechtsextreme begehen zudem eine Vielzahl antisemitisch motivierter Straftaten. Der weniger verbreitete aber durchaus vorhandene Antisemitismus der politischen Linken amalgamiert antiamerikanische, antikapitalistische und antiisraelische Versatzstücke. Mittlerweile richtet sich die Aufmerksamkeit aktueller Diskussionen und Geschehnisse auf einen Antisemitismus in einigen Migrantenmilieus: Der Nahostkonflikt führt bisweilen zu einem immer brutaler werdenden antisemitischen „Kampf gegen Juden“ mitten auf deutschen Straßen – und natürlich zu keiner Konfliktlösung zwischen Israel und den Palästinensern.
Nicht zuletzt die politischen Debatten zeigen nach dieser empirischen Grundierung stetig eine gewisse Einseitigkeit. Insbesondere die AfD verweist pauschaliert auf „den Islam“, auch der politischen Linken fehlt es bisweilen an einer kritischen Selbstreflexion. Als Liberaler könnte man sich an dieser Stelle mit einer gewissen Selbstzufriedenheit in der Gewissheit zurücklehnen, der diesbezüglich angeblich besseren Seite, der Mitte der Gesellschaft, anzugehören. Auch diese Analyse greift aber deutlich zu kurz und verkennt, dass die Bekämpfung des Phänomens eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe schon deshalb ist, weil der Antisemitismus leider auch in der gesamten Gesellschaft, auch in ihrer Mitte, verbreitet ist – mal mehr mal weniger. Wer daher nach Methoden der Bekämpfung des Antisemitismus sucht, der sollte nicht zuletzt den wertvollen Beitrag der Mitglieder der jüdischen Gemeinden und der jüdischen Zivilgesellschaft für das Gelingen des Gemeinwesens in unserem Land herausstellen.
Vor dem Hintergrund der bedauerlichen anhaltenden Aktualität des jahrhundertealten Phänomens der Judenfeindlichkeit in Deutschland ist die Einrichtung eines Antisemitismusbeauftragten zweifellos eine wichtige Maßnahme. Es wäre jedoch naiv zu glauben, dass der neue Mann im Innenministerium alleine und kurzfristig dieses vielschichtige Problem lösen wird. Der Kampf gegen den Antisemitismus ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die zum einen Bildung, Prävention und Aufklärung erfordert. Zum anderen ist sie ein eindringlicher Appell an jedes Mitglied unserer Gesellschaft, sich mutig und engagiert judenfeindlichen Tendenzen entgegenzustellen.
Der Kampf gegen Judenfeindlichkeit darf nicht durch Kompetenzgerangel erschwert werden
Gemessen an der Komplexität des gesellschaftlichen Problems der Judenfeindlichkeit, erscheint es dringend notwendig, dass der Handlungsspielraum des Antisemitismusbeauftragten nicht durch Zuständigkeitsgerangel unnötig beschränkt wird. Begreift man die Bekämpfung des Antisemitismus als gesamtgesellschaftliche Aufgabe, so erscheint eine Anbindung des Beauftragten an den Deutschen Bundestag geboten. Denn nur dort kann er dem Anspruch, für die gesamte Zivilgesellschaft zu stehen, gerecht werden. Und nur dort wird tatsächlich deutlich, dass der Kampf gegen Jugendfeindlichkeit nicht eine Aufgabe für Verwalter, Ministeriale und die Exekutive ist, sondern eine gesamtgesellschaftliche Querschnittsaufgabe, die von allen Bürgerinnen und Bürger und ihrem Repräsentativorgan Bundestag getragen und angegangen werden muss.
Stefan Ruppert ist Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag.
Stefan Ruppert