Flüchtlinge aus Syrien: Deutscher Kleinmut
Ein Jahr ist es her, dass die Bundesrepublik Syrern Zuflucht zugesagt hat. Doch unser Autor meint, es müsse mehr getan werden: Bei der Aufnahme von Flüchtlingen sollte mehr Großzügigkeit herrschen.
Das Mädchen strahlt mit den Kerzen auf ihrer Geburtstagstorte um die Wette. Die Familie singt lauthals „Happy Birthday“ – ein glücklicher Moment im Leben einer Neunjährigen. Wenige Augenblicke später sind Schüsse und Granateneinschläge zu hören. Das Mädchen muss das Elternhaus verlassen. Sie hat Angst, wird krank, muss in eine Klinik. Die Idylle eines behüteten Alltags ist von einer Sekunde auf die andere zu einem Albtraum geworden.
Gut 90 Sekunden dauert das Video der Hilfsorganisation Save the Children, das auf Youtube zu sehen ist. Es sind anderthalb verstörende, quälende Minuten. Sie zeigen in einfachen Bilder, was Krieg mit den Menschen macht, wie schnell man auf Hilfe und Schutz angewiesen sein kann. Fast 28 Millionen Mal wurde der Kurzfilm – er ist anlässlich des dritten Jahrestags des Syrienkonflikts entstanden – in den vergangenen zwei Wochen aufgerufen. Und es ist an der Zeit, dass Vertreter der Bundesregierung und der Ministerialbürokratie sich das Video zu Gemüte führen. Vielleicht entwickeln sie so etwas wie Empathie.
Denn Deutschland tut sich mit der Aufnahme syrischer Flüchtlinge schwer. Genau vor einem Jahr gab der damalige Innenminister Hans-Peter Friedrich bekannt, die Bundesrepublik werde aus humanitären Gründen 5000 Syrern Zuflucht gewähren. Inzwischen wurde das Kontingent auf 10000 Plätze erhöht. Das mag zunächst großzügig klingen, vor allem im Vergleich zu anderen europäischen Ländern. Doch bei näherer Betrachtung entpuppt sich das Engagement für die Schwachen als kleinmütig. Das fängt schon bei der Größe des Aufnahmekontingents an. In Syrien sind mittlerweile fast zehn Millionen Menschen auf der Flucht, mehr als 2,5 Millionen haben in den Anrainerstaaten eine behelfsmäßige Unterkunft gefunden.
Das wohlhabende Deutschland fühlt sich dagegen schon von 10000 Flüchtlingen überfordert. Dabei konnten bislang gerade mal 4000 Schutzbedürftige überhaupt einreisen. Was den bürokratischen Hürden geschuldet ist. Da wird geprüft, ausgewählt und nochmals geprüft. Alles muss ja seine Ordnung haben. Und das kann sich bekanntermaßen hinziehen. Realitätsfern, weil ziemlich bemüht, wirken zudem einige der Aufnahmekriterien. Wer zu uns möchte, sollte zum Beispiel einen Bezug zu Deutschland haben und möglichst die Fähigkeit besitzen, nach Konfliktende einen „besonderen Beitrag zum Wiederaufbau“ zu leisten. Und wer als in Deutschland lebender Syrer Angehörige zu sich holen möchte, muss sich verpflichten, einen Beitrag für deren Lebensunterhalt zu leisten.
Das hört sich dann doch sehr nach „Premium-Flüchtling“ an. Kein Wunder, dass es den Hilfsorganisationen im Libanon schwerfällt, entsprechende Kandidaten zu finden. Ganz abgesehen davon, dass ein derartiger Kriterienkatalog der dramatischen Lage, der Not der Menschen in Syrien Hohn spricht. Dort geht es schlicht ums Überleben – mit oder ohne „Bezug“ zu Deutschland. Kein Wunder, dass Flüchtlingsorganisationen jeden Tag aufs Neue fordern, die reiche Bundesrepublik müsse viel mehr Syrern Schutz gewähren. Aus moralischen Gründen. Und weil wir es uns dank eines behüteten Alltags leisten können.