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Donald Trump wahlkämpferisch in der vergangenen Nacht in Las Vegas.
© Ethan Miller/Getty Images/AFP

Donald Trump gewinnt in Nevada: Der Wortführer der Zornigen

Dritter Sieg in der vierten Vorwahl: Donald Trump spricht unzufriedene Amerikaner aller Art an. Wie viele Wähler ausscheidender Kandidaten kann er hinter sich bringen? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Er bleibt die Überraschung der Saison: Donald Trump hat drei der vier frühen Vorwahlen gewonnen - in Nevada in der Nacht zu Mittwoch zudem erneut mit hohem Vorsprung. Er findet breite Zustimmung, unabhängig von der Zusammensetzung der jeweiligen Wählerschaft in unterschiedlichen Staaten: im eher liberalen Neuenglandstaat New Hampshire ebenso wie im ziemlich konservativen South Carolina mit seiner Südstaaten-Tradition oder nun weit im Westen in Nevada, wo die Bürger Distanz zum Staat halten, auf individuelle Verantwortung setzen und libertär denken. Er bleibt ein ernsthafter Konkurrent um die Präsidentschaftskandidatur der Republikaner. Das hätten bis vor wenigen Monaten nur wenige für möglich gehalten.

Nun muss man freilich auch nicht ins umgekehrte Extrem verfallen und ihn bereits zum unaufhaltsamen Sieger ausrufen, der die Nominierung schon so gut wie in der Tasche habe. Bis jetzt hatten die Bürger erst in vier von 50 Staaten die Gelegenheit, ihre Stimme abzugeben. Und auch wenn sich das Bewerberfeld langsam reduziert, sind noch immer Konkurrenten im Rennen, die selbst keine Aussicht auf die Kandidatur haben, aber anderen Rivalen der selben Strömung in der Partei Stimmen wegnehmen. Das verzerrt das Gesamtbild.

Um die Nominierung - und später das Weiße Haus - zu gewinnen, muss ein Kandidat zeigen, wie er eine absolute Mehrheit der jeweiligen Wähler hinter sich bringen will - erst im republikanischen Lager; später in der Gesamtwählerschaft. Nach den bisherigen Erfahrungen liegt Donald Trumps Potenzial um die 30 bis 35 Prozent unter den Teilnehmern an republikanischen Vorwahlen. In Staaten, die das Caucus-System praktizieren, erlebte er Ausreißer nach unten und nach oben. In Iowa, wo er die Bedeutung der direkten Ansprache der Caucus-Teilnehmer unterschätzte, blieb er deutlich darunter. In Nevada, wo er zudem als Casino-Besitzer in Las Vegas einen Vorteil bei Bekanntheit und Einfluss hatte, schnitt er über 40 Prozent ab.

Die Frage für Trump wie für seine Konkurrenten ist nun, wer die Wählerpotenziale der ausscheidenden Mitbewerber zu sich ziehen kann. Wie verlässlich ist die Loyalität zu den drei dominierenden Flügeln im Wahljahr 2016 mit seiner außergewöhnlichen Grundstimmung eines weit verbreiteten Unmuts?

Der größte Strömung in früheren Wahljahren war die Koalition aus Parteiapparat ("Establishment"), Business-Flügel und moderaten Konservativen; sie hatte anfangs die meisten Vertreter im Rennen, weshalb keiner von ihnen nach oben durchdrang. Nach dem Ausscheiden von Carly Fiorina, Chris Christie und Jeb Bush bleiben noch John Kasich, Gouverneur von Ohio, und Marco Rubio, der junge Senator aus Florida. Rubio hat die besseren Aussichten von den beiden. Er muss nun zeigen, ob er alle Stimmen dieser Koalition auf sich ziehen kann oder nennenswerte Anteile an Trump verliert.

Einen kompakteren Flügel bilden die rechtskonservativen "Value Voters": Amerikaner, die als "religiöse Rechte" oder aus anderen weltanschaulichen Motiven, zum Beispiel, die Homo-Ehe und Abtreibungsrechte ablehnen und in der Regel auf Budgetdisziplin und traditionelle Werte drängen. Ihr dominierender Vertreter ist 2016 Ted Cruz. Er gewann die erste Vorwahl in Iowa. Auch Ben Carson bekam Stimmen dieser Strömung. Ihr Potenzial liegt nach bisherigen Erfahrungen jedoch unter 30 Prozent. Und da Cruz sich ideologisch weit rechts positioniert, sind seine Möglichkeiten, moderate Wähler anzuziehen, begrenzt.

Trump entzieht sich einer Einordnung in traditionelle Strömungen

Und dann ist da Donald Trump. Sein Potenzial nach oben ist schwer einzuschätzen, da er sich einer strengen Einordnung in die traditionellen Strömungen entzieht. Raum für einen "Maverick", einen Revoluzzer gegen das Parteiestablishment, gab es auch früher schon. Trumps Anziehungskraft reicht aber weit über dieses Aufbegehren gegen die Parteiführung hinaus. Sie hatte die Republikaner 2008 und 2012 beschworen, man habe nur mit einem moderaten Kandidaten eine Chance gegen die Demokraten, verlor dann aber die Hauptwahl beide Male mit deutlichem Abstand. Deshalb hören viele nicht mehr auf sie.

Trump ist ein "Crossover"-Kandidat, der unzufriedene Amerikaner aller möglichen Weltanschauungen anspricht: Religiöse, obwohl er alles andere als bibelfest ist. Konservative, obwohl er ideologisch unzuverlässig ist und früher sogar erklärter Anhänger der Demokraten war. Und auch Demokraten, obwohl er 2016 verbal gegen alles randaliert, was früher als typisch demokratisch galt, zum Beispiel die Solidarität mit Einwanderern der Arbeiterklasse oder Hilfsorganisationen für ungewollt Schwangere.

Viele wollen einen Außenseiter als Kandidaten

Trump ist der Wortführer aller, die zornig sind über die realen Verhältnisse in den USA im Jahr 2016. Das sind außergewöhnlich viele, wie Wählerbefragungen bei den Vorwahlen ein ums andere Mal zeigen. Sie wünschen sich einen Außenseiter als Kandidaten, weil sie sich von traditionellen Vertretern beider Lager keine Abhilfe mehr versprechen. Andererseits sagen um die 60 Prozent der republikanischen Wähler, dass sie einen anderen Präsidentschaftskandidaten als Trump haben wollen.

Die entscheidende Frage vor dem "Super Tuesday" am 1. März, an dem die Republikaner in zwölf Bundesstaaten parallel über ihren Wunschkandidaten abstimmen: Wird diese Wahrnehmung als Außenseiter, der ein erstarrtes politisches System aufrüttelt, Trump helfen, über das eine Drittel Wählerpotenzial hinaus zu kommen, bei dem er bislang gedeckelt scheint? Oder wird Rubio ihn überholen, sobald er als der einzig aussichtsreiche Kandidat des moderaten Flügels feststeht - und weil diese Strömung sich trotz der Revolutionsstimmung 2016 am Ende doch behauptet?

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