Fußball-WM am Golf - Sigmar Gabriel in Katar: Der Wirtschaftsminister und die unsichtbaren "Sklaven"
Tausende Wanderarbeiter schuften bei irrer Hitze, damit 2022 die Fußballwelt in Katar ihre große Party feiern kann: SPD-Chef Gabriel schaut sich am Golf Baustellen an - und widerspricht Kaiser Franz Beckenbauer
Vor dem Emir kommt der Kaiser. Doha, 35 Grad, leichter Wind vom Golf: Sigmar Gabriel wird mit Franz Beckenbauer konfrontiert. Zwei Jahre ist es her, da fiel der legendäre Satz von Beckenbauer, er habe rund um die WM-Baustellen in Katar nicht einen einzigen Sklaven gesehen: "Die laufen alle frei rum." Sie seien weder in Ketten gefesselt noch hätten sie irgendwelche Büßerkappen am Kopf. Menschenrechtler und Gewerkschafter waren entsetzt.
Gabriel kennt die Berichte über viele Todesfälle auf WM-Baustellen, die Ausbeutung asiatischer und afrikanischer Wanderarbeiter. Der Wirtschaftsminister guckt sich gerade das Modell einer neuen 450.000-Einwohner-Stadt an, die unter deutscher Bauleitung für 45 Milliarden US-Dollar aus dem Wüstensand gestampft wird. Im Stadion von Lusail City sollen Eröffnung und Abschluss der WM stattfinden, erklärt der Fremdenführer. Auf Kaiser Franz angesprochen, verzieht der SPD-Chef beim Rundgang spöttisch den Mund: "Da ich weiß, dass man Sklaven in der Regel nicht sieht, habe ich, glaub' ich, ein anderes Bild." Zum Abschluss seiner Vier-Tage-Tour durch die Golfstaaten ist er in Katar gelandet. Der märchenhafte Reichtum lockt viele Touristen ins gasreiche Emirat, das seit dem Arabischen Frühling in der Weltpolitik eine umstrittene Rolle spielt. Einerseits enger Partner des Westens, andererseits der Verdacht, katarisches Geld fließe nach Syrien und Irak, womöglich auch an die sunnitische Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS). Das weist der Emir, Scheich Tamim bin Hamad al Thani, zurück, den Gabriel auch kennenlernt.
Die Eintrittskarte zum Emir hat Gabriel am Abend zuvor in einem schillernden Museum gelöst. Scheich Faisal, ein steinreicher Großcousin des Herrschers, führt ihn herum. Über 500 Oldtimer, ein Rennanzug von Michael Schumacher, tote Tiere, antike Waffen sind zu sehen. Auch eine nachgestellte Folterszene gehört zur Sammlung.
So eine Einladung kann ein Politiker kaum ausschlagen, der Geschäfte in Katar machen will. Das Emirat ist Großaktionär etwa bei Deutscher Bank, Siemens, VW, Hochtief und Solarworld. Faisal ist nicht irgendwer, sondern sei der "Milchbruder" des Emir-Vaters, wird erzählt. Sie sollen von derselben Amme gestillt worden sein.
Gabriel ist von Faisal, dem in Berlin Luxushotels und eine Beteiligung am Klinikkonzern Vivantes gehören, beeindruckt, weil der auch mal klein angefangen habe: "Da kann man nur ein Gefühl großer Bewunderung empfinden. Einen besseren Gastgeber hätten wir uns nicht vorstellen können." Nicht alle sehen das so, hätten sich mehr Distanz gewünscht. Der Kontrast zu Gabriels vollmundigen Einsatz für Menschenrechte in Saudi-Arabien sei groß: "Ich bin irritiert, ich habe mich hier nicht wohlgefühlt. Es geht in Katar um ernste Themen wie die Ausbeutung von Wanderarbeitern", meint der mitreisende grüne Bundestagsabgeordnete Dieter Janecek. Die Fußball-Welt ist in Aufruhr, weil das globale Ereignis erstmals im Winter stattfinden soll, mit einem Finale kurz vor Weihnachten.
Über einen Boykott oder eine Verlegung will Werder-Bremen-Fan Gabriel lieber nicht reden: "Wenn sie stattfindet, dann werde ich sicherlich, sofern ich dafür Zeit habe, überlegen, ob ich mir ein Ticket kaufe." Momentan sind mehr als 13.000 Gastarbeiter in Katar. Der Internationale Gewerkschaftsbund fällte im Vorjahr ein vernichtendes Urteil: "Ausländische Beschäftigte werden wie Sklaven behandelt." Schuld sei das "Kafala"-System. Die Arbeiter gehören dem Arbeitgeber, der den Pass abnimmt. Schuften in der Hitze, sechs Tage die Woche, führte zu vielen Todesfällen. Der Emir reagierte. "Es gibt vier Helikopter, die innerhalb von acht Minuten an jedem Unfallort sind", sagt die Regierung. Auch Gabriel spricht von vielen Verbesserungen. Die ILO ist da vorsichtiger. Die Katarer haben oft viel versprochen, schwarz auf weiß liegt nichts vor. Eine Untersuchung der Arbeitsschutz-Kontrolleure der Vereinten Nationen dazu läuft. In Berlin wird darauf gesetzt, dass der Emir eine Eskalation vermeiden will. Er habe genug andere Probleme vor der Haustür. (dpa)