zum Hauptinhalt
Katar und die Fußball-WM, welch ein Treiben
© Imago

Fußball-WM in Katar: Sportwelt aus den Fugen

Die Fußball-WM 2022 soll im Winter stattfinden. Das erbost nicht nur die Spitzenklubs, die deswegen schon Entschädigungen fordern. Auch andere Sportarten bekommen große Probleme.

Die Welt diskutiert weiter über die Winter-WM 2022 in Katar. Und die Fifa erhält eisigen Gegenwind. Dabei muss der Fußball-Weltverband den Vorschlag, den seine Task Force am Dienstag unterbreitet hat, erst noch absegnen. Doch schon jetzt zeichnen sich viele Probleme ab bei der Verlegung des Turniers in den November und Dezember. Auch wenn die Fifa ankündigte, die WM von zuletzt 32 Tagen auf 28 Tage zu verkürzen – Vereine, Ligen, Sender und Fans weltweit stehen vor einem Berg von Problemen und sind erbost. Eine Übersicht.

Deutschland

Rainer Rauball ist außer sich. „Das ist ein Unding, das muss ausgeglichen werden“, schimpft der Präsident der Deutschen Fußball-Liga über den finanziellen Schaden der europäischen Ligen. Besonders der mögliche Finaltermin am 23. Dezember „sei ein Affront“. Dabei geht es der Bundesliga ungleich besser als den Engländern, Spaniern oder Italienern. Sie hat der Versuchung einer Ausweitung auf 20 Klubs widerstanden und erfreut sich eines klimatisch gemäßigten Sommers, in dem das Fußballspielen noch Spaß macht. Vereinfacht formuliert bedeutet das: Die Bundesliga verlagert ihren Spielbetrieb aus den wenig attraktiven Monaten November und Dezember in den auch beim Publikum beliebten Sommer hinein. Das sollte organisatorisch zu meistern sein, auch wenn sich die DFL auf Anfrage nicht zu möglichen Planungen äußern will. Legt man die bisherige Abstellungsfrist von dreieinhalb Wochen zugrunde und den bisher kolportierten WM-Beginn am 26. November, müsste die Bundesliga 2022 ab Ende Oktober eine Pause einlegen. Ob bis dahin die komplette Hinserie gespielt werden kann, ist zumindest fraglich. Einen vergleichbaren Fall hat es schon einmal gegeben. In der Saison 1988/89, als die Bundesliga vier Wochen aussetzte, weil die Olympischen Spiele in Seoul im September stattfanden. In jedem Fall müsste die Saison 2022/23 deutlich früher beginnen, als es bisher der Fall war. In 52 Jahren hat eine Bundesligaspielzeit nur vier Mal schon im Juli begonnen, zuletzt 2001. Frühester Saisonbeginn war 1988 der 22. Juli. Die große Ausnahme bildet das Jahr 1972, als die Sommerpause wegen Olympia in München bis zum 16. September dauerte. Um die Zeit ohne Bundesliga zu überbrücken, wurde erstmals ein Ligapokal ausgetragen.

England

Die Premier League ist wahrscheinlich der größte Verlierer der Winter-WM. In der laufenden Saison wurden im November und Dezember insgesamt 100 Premier-League-Partien gespielt. Zudem gelten Spieltage am Boxing Day (26. Dezember) und am 1. Januar für viele englischen Fans als Ikonen, die sie gerne unter Unesco-Schutz sehen würden. Wegen der Liebe zu diesen Spieltagen gab es in England nie eine Diskussion über eine Winterpause. Zudem braucht die englische Liga mit ihren 20 Teams mehr Termine als etwa die Bundesliga und trägt nebenbei noch FA- und Liga-Pokal  aus. Die Premier League gilt zudem als größter Spielerlieferant einer WM. 2014 in Brasilien stellte sie 106 Profis ab – mehr als jede andere Liga. Die Engländer hoffen auf den 18. Dezember als Termin für das WM-Finale – nicht, um das Weihnachtsfest zu retten, sondern den Boxing Day.

Spanien/Italien

Klimatisch ist Südeuropa am stärksten betroffen. Die Primera Division und Serie A umfassen je 20 Erstligisten und haben keine Winterpause. Ihren Spielbetrieb können sie aber nicht so einfach vorziehen wie nordeuropäische Ligen. Denn im Sommer ist es in Andalusien oder Sizilien nicht viel kühler als in Katar. Fußball im August gibt es deshalb, wenn überhaupt, erst in den späten Abendstunden und vor bescheidener Zuschauerkulisse. Denn anders als in Deutschland sind die Schulferien weitgehend einheitlich geregelt in Italien und Spanien, im August liegt das ganze Land am Strand und Innenstädte und Stadien sind verwaist. Auch die Klubs reisen nach Schottland oder Österreich ins Trainingslager. Nun im Sommer zu spielen, ist keine Option. Zusammen mit der englischen Premier League gehört die spanische Primera Division daher auch zu den größten Kritikern im Verband der europäischen Profiligen EPFL, der für eine WM im Mai plädiert hatte und nun protestiert.

Lateinamerika

Die süd- und mittelamerikanischen Fußballnationen spielen nach einem grundlegend anderen System als die Europäer. Pro Halbjahr gibt es eine Meisterschaft. Da die südamerikanischen Nationalmannschaften ihr Personal weitgehend aus Europa rekrutieren, ist die Bedeutung der regionalen Ligen sukzessive zurückgegangen. Internationale Relevanz besitzen eigentlich nur das Campeonato Brasileiro, die Primera Division in Argentinien und die mexikanische Liga MX. Allen gemein ist die Kunst zur Improvisation, was die Vorbereitung auf die Wüstenwinter-WM 2022 doch sehr erleichtert. In Brasilien etwa war es problemlos möglich, die großen Stadien schon Wochen vor der WM der Fifa zur Verfügung zu stellen – die Meisterschaftsspiele wurden delegiert, zur Not auch in andere Städte.

USA

Hier betrifft das WM-Problem weniger den Fußball als den Football. Der Zeitraum November und speziell Dezember gehört in den USA traditionell dem American Football. Die Profiliga NFL geht dann in ihre heiße Phase, die Teams spielen um den Einzug in die Play-offs. Dass sich die Amerikaner zugunsten der Fußball-WM in Katar von ihrem liebsten Spiel abwenden, darf man getrost bezweifeln. Eher umgekehrt wird der Expansionsdrang der Fifa auf den wichtigen US-Markt dadurch vermutlich einen empfindlichen Rückschlag erleiden.

Afrika

Der Afrika-Cup 2023 sollte eigentlich im Januar in Guinea stattfinden. Doch das Turnier wird nun sechs Monate später ausgetragen, also direkt nachdem die Ligen in Europa enden. Der Afrika-Cup werde in den Juni verlegt, teilte Fifa-Generalsekretär Jerome Valcke am Mittwoch mit. Dann beginnt in Guinea jedoch die Regenzeit.

Andere Sportligen

Konkurrenz schadet dem Geschäft. Deshalb prüfen die deutschen Sportligen abseits des Fußballs, wie sie der WM ausweichen können. Eine Aussetzung der Basketball-Bundesliga sei „sicherlich auch ein denkbares Szenario“, sagt BBL-Chef Jan Pommer. Die Handball-Bundesliga erwägt den Spielplan umzukrempeln, um Überschneidungen mit dem WM-Fußball zu vermeiden. Auch die Deutsche Eishockey-Liga befürchtet weniger Aufmerksamkeit, plant aber bislang keine Pause.

Folgen Sie der Tagesspiegel-Sportredaktion auf Twitter:

Zur Startseite