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Eine Statue von Christoph Kolumbus im Bayfront Park in Miami ist mit roter Farbe und dem Symbol einer Faust bemalt.
© Lynne Sladky/AP/dpa

Kampf gegen den Rassismus: Der weite Weg zur Hoffnung

Wer Rassismus wirksam bekämpfen will, darf beim Blick in die Vergangenheit nicht heutige Maßstäbe anlegen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gregor Dotzauer

Nein, dies ist nicht die Zeit, in der man sein Herz daran wärmen will, wie Clark Gable seinen Schnurrbart in Vivien Leighs Lippen stippt, während Hattie McDaniel als schwarze Hausangestellte Mammy beider Liebesglück bestaunt. Der amerikanische Streamingdienst HBO verwehrt seinen Abonnenten derzeit sogar, das Südstaaten-Melodram „Vom Winde verweht“ aus dem Jahr 1939 abzurufen.

Es soll erst mit Erläuterungen zu den darin enthaltenen rassistischen Klischees wieder auf den Bildschirm zurückkehren.

Viel eher ist es an der Zeit, den Vorschlag der Grünen aufzugreifen, endlich das Wort Rasse aus Artikel 3 des Grundgesetzes zu streichen. Das Versprechen, niemanden wegen „seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft“ zu benachteiligen, lässt sich mit diesem Begriff nur noch missverständlich ablegen – und das, obwohl er sich ausdrücklich gegen die nationalsozialistische Vergangenheit richtete.

Frankreich hat ihn bereits vor zwei Jahren aus der Verfassung getilgt.

In beiden Fällen geht es um symbolische Akte. Aber auch Symbolpolitik ist Politik, und wenn sie über bloße Vermeidungsstrategien und Sprachregelungen hinaus Gestalt annimmt, hat sie ebenso ihren Wert wie ihre Grenzen.

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Wo Straßennamen verbrecherischen Kolonialherren ein ehrendes Andenken bewahren, soll man sie ändern. Wo Denkmäler wie in Bristol an die ambivalenten Verdienste eines Kaufmanns und Sklavenhändlers namens Edward Colston erinnern, soll man sie stürzen. Geschichte in ihren unvermeidlichen Blindheiten und Verirrungen grundsätzlich zu planieren, verhindert jedoch auch einen klaren Sinn für das, wovon sich eine Gesellschaft abzusetzen versucht.

Niemandem wäre damit gedient, die Romanvorlage zu „Vom Winde verweht“ auf den Index zu setzen. An ihr ließe sich vielmehr zeigen, wieviel differenzierter als der Film Margaret Mitchell, ohne über die Stereotype ihrer Zeit hinauszuwachsen, mit ihrem Stoff umgeht. Wie verhängnisvoll wäre es erst, Harriet Beecher-Stowes Roman „Onkel Toms Hütte“ aus dem Jahr 1852 aus dem Kanon zu verbannen.

Inbegriff des literarischen Bürgerrechtsaktivisten. James Baldwin, Autor von so einflussreichen Schriften wie "Nach der Flut das Feuer", 1972 in Frankreich.
Inbegriff des literarischen Bürgerrechtsaktivisten. James Baldwin, Autor von so einflussreichen Schriften wie "Nach der Flut das Feuer", 1972 in Frankreich.
© imago/Leemage

Ihre Empathie für das Leid der Sklaven mag auch von haarsträubenden Klischees durchdrungen sein. Doch erst in der Zusammenschau mit der literarischen Wiederentdeckung von James Baldwin, der fast ein Vierteljahrhundert nach seinem Tod 1987 noch einmal zum Helden der Bewegung Black Lives Matter wurde, ergibt sich ein Bild des Weges, den die USA zurückgelegt haben – und der Strecke, die ihnen noch bevorsteht.

Streit um das "Herz der Finsternis"

Die Bruchlinie zwischen Diskriminierung und Anerkennung verläuft fast immer entlang von Selbstbeschreibung und Fremdzuschreibung. Exemplarisch ist der Streit um Joseph Conrads „Herz der Finsternis“. Während der nigerianische Friedenspreisträger Chinua Achebe die Kongonovelle in einem einflussreichen Aufsatz als rassistisch geißelte, hielt Hannah Arendt sie als antiimperialistische Grundschrift in Ehren.

In ihrer Studie über „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“, deren afrikanische Dimension auch die aktuelle Berliner Arendt-Ausstellung im Deutschen Historischen Museum beleuchtet, sah sie in Joseph Conrad einen wichtigen Verbündeten.

Sowohl das Lob als auch die Verdammung verfehlen die Vielschichtigkeit des Ganzen. Während Achebe mit einem postkolonialen Standard misst, den Conrad noch gar nicht haben konnte, gelangt Arendt über einen wohlwollenden europäischen Humanismus nicht hinaus. Erst beide Perspektiven zusammen ermöglichen den Blick auf die historische Konstruiertheit des Begriffs Rasse, ohne dass man damit jedes Bewusstsein für kulturelle Differenz aufgeben müsste.

Im praktischen Kampf gegen den alltäglichen Rassismus, den die Afroamerikaner gerade am verzweifeltsten ausfechten, sieht dies vielleicht wie ein Nebenkriegsschauplatz aus. Für das Verständnis seiner geistigen Voraussetzungen ist es zentral.

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