Israel vermittelt im Ukraine-Konflikt: Der Versuch, Putin von noch Schlimmerem abzuhalten
Kann man mit Wladimir Putin noch reden? Auf allen Kanälen wird versucht, das Töten zu stoppen – auch neue militärische Optionen werden geprüft. Eine Analyse.
Das Schlimmste verhindern, aber wie? Erstmals seit Kriegsbeginn ist am Wochenende eine Vermittlungsoffensive in Gang gekommen, im Mittelpunkt steht Israels Premierminister Naftali Bennett. Er soll herausfinden, unter welchen Bedingungen Wladimir Putin bereit ist, ein noch größeres Blutvergießen und die Zerstörung weiter Teile der Ukraine zu verhindern.
[Alle aktuellen Nachrichten zum russischen Angriff auf die Ukraine bekommen Sie mit der Tagesspiegel-App live auf ihr Handy. Hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen]
Als religiöser Jude darf Bennett am Sabbat eigentlich nicht reisen. Es ist ihm nur dann erlaubt, wenn es um die Rettung von Menschenleben geht. Doch genau darum geht es in der Ukraine.
Daher flog Bennett am Samstag zum russischen Präsidenten Wladimir Putin und danach weiter nach Berlin, wo er am späten Abend Kanzler Olaf Scholz unterrichtete.
Aber im Kanzleramt warnt man vor zu viel Hoffnung, einen „Gamechanger“, also einen Ausweg, der die Waffen zum Schweigen bringt, sieht bisher noch niemand. Und die Töne aus dem Kreml verdüstern die Lage immer wieder aufs Neue.
Warum Bennett vermitteln soll
Aber dass es nach dem Bennett-Besuch bei Putin am Sonntag auch zu einem weiteren Telefonat der Beiden kommt, zeigt, dass zumindest Auswege diskutiert werden, was genau, darüber schweigt man sich vorher aus, aber es gibt Andeutungen.
Diskutiert wurde die Idee einer Vermittlung durch Israel bereits am Rande des Scholz-Besuchs am vergangenen Mittwoch in Jerusalem. Bennett ist unbelastet in dem Konflikt. Seine Reise nach Moskau spielte dem Vernehmen nach auch in den Telefonaten des französischen Präsidenten Emmanuel Macron am Donnerstag und von Scholz am Freitag mit Putin eine Rolle. Der israelische Regierungschef ist nun der der erste führende ausländische Politiker seit dem russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar, der Putin persönlich getroffen hat.
Israelische Regierungsvertreter betonen, es sei zumindest eine gute Nachricht, wenn es noch einen Staat gibt, der gute Kommunikationskanäle nach Moskau und Kiew hat. Über eine Million Israelis ist in Russland oder der Ukraine geboren. Israel ist auf russische Hilfe angewiesen, um den Iran vom Bau einer Atombombe abzuhalten. Bennett hat sich wohl auch deshalb mit direkter Kritik an Putins Krieg eher zurückgehalten. Bisher weigert er sich auch, Waffen an die Ukraine zu liefern.
Den Ruf des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, dem Enkel eines Überlebenden des Holocaust, hat er jedoch erhört. Nach Moskau begleitet wurde Bennett von Wohnungsbauminister Zeev Elkin. Der wurde Charkiw geboren, in der ukrainischen Stadt in der mehrheitlich Russen leben und die von der russischen Armee seit zehn Tagen bombardiert wird. Elkins Familienangehörige leben dort. Er hat laut der Zeitung „Haaretz“ immer wieder zwischen Putin und Bennett gedolmetscht.
„Es ist unsere Pflicht als Führungspersönlichkeiten, alles zu tun, um das Blutvergießen zu verhindern und die Geschehnisse möglichst schnell vom Kampffeld auf den Verhandlungsboden zu bringen“, hatte Bennet beim Besuch von Scholz in Israel gesagt. Dass er so schnell zum „Gegenbesuch“ nach Berlin kam, war dann aber doch überraschend.
Nachts um eins im Kanzleramt
Um kurz nach 01:00 Uhr am Sonntagmorgen verließ die israelische Delegation das Kanzleramt und flog zurück nach Israel. Regierungssprecher Steffen Hebestreit betonte nach dem 90-minütigen Gespräch, „gemeinsames Ziel bleibe es, den Krieg in der Ukraine so schnell wie irgend möglich zu beenden“. Es geht vor allen darum, abzuklopfen, ob es irgendeinen Weg gibt, Putin zu bremsen oder zumindest eine längere Feuerpause zu erreichen.
Der russische Präsident zeigt sich bisher aber nicht kompromissbereit, er ist nicht für ein Nachgeben bekannt und hält an seinem Kriegsziel fest: Sturz der Regierung, Demilitarisierung und das Ende der Ukraine als unabhängiger Staat.
Drei Mal telefonierte Bennett am Wochenende auch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymy Selenskyj - er befürchtete, dass nach Mariupol die Hafenstadt Odessa das nächste Zerstörungsziel Putins ist. Aufschlussreich war am Wochenende eine Verlautbarung über ein anderes Telefonat.
[Alle aktuellen Entwicklungen im Ukraine-Krieg können Sie hier in unserem Newsblog verfolgen.]
Auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan forderte von Putin eine Waffenruhe. Putin informierte Erdogan nach Kremlangaben jedoch, dass die „Spezialoperation“ nach Plan laufe. Die russischen Streitkräfte würden alles tun, um das Leben und die Sicherheit friedlicher Bürger zu schützen, behauptete Putin. Laut der Kremlmitteilung gingen „nationalistische, neonazistische Gruppierungen“ in der Region „mit besonderer Brutalität und mit Zynismus“ vor. Alle überprüfbaren Erkenntnisse aus der Ukraine widersprechen dieser Darstellung.
Kommt es zur Aufspaltung der Ukraine - als "Ausweg"?
Vor allem aber betonte Putin demnach in dem Telefonat mit Erdogan, dass es „Frieden“ nur zu seinen Bedingungen gebe: zum Dialog mit der ukrainischen Führung und mit „ausländischen Partnern“ sei er bereit, ein Ende der Angriffe sei aber nur möglich, wenn Kiew die Kampfhandlungen einstelle und die Bedingungen Russlands erfülle. Dazu gehört auch die Anerkennung der Unabhängigkeit der Regionen Luhansk und Donezk und die „Zugehörigkeit“ der Schwarzmeer-Halbinsel Krim zu Russland. Das hat Selenskyj stets abgelehnt – aber je aussichtloser und opferreicher die Lage wird, desto stärker rückt dieses Thema einer Aufspaltung des Landes in den Fokus. Doch die westlichen Partner betonen, das könne nur Selenskyj entscheiden.
Putin sieht Sanktionen als "Kriegserklärung"
Die westlichen Sanktionen gegen sein Land kämen „einer Kriegserklärung“ gleich, erklärt Putin. Dass nun auch Visa und Mastercard ihre Dienste in Russland einstellen und durch den Rubelverfall die Ersparnisse von Millionen Russen immer weniger Wert sind, setzt Putin innenpolitisch unter Druck. Am Wochenende wurden bei Protesten gegen den Krieg in zahlreichen russischen Städten rund 3000 Menschen festgenommen. Gleichzeitig zeigen Umfragen, dass noch immer eine stabile Mehrheit zu Putins Krieg steht. Die junge Generation aber, das zeigen die gleichen Umfragen, die hat der Präsident verloren.
Keine Flugverbotszone, aber Kampfflugzeuge für die Ukraine?
Welche Optionen hat der Westen, sollte Putin hart bleiben? Kanzler Scholz und die westlichen Partnern bleiben dabei, dass die Nato weiterhin nicht eingreifen wird, um eine Ausweitung des Krieges zu vermeiden. Am Freitag hatten die Nato-Staaten bekräftigt, dass man das Territorium der Mitgliedsstaaten im Rahmen der gemeinsamen Beistandspflichten verteidigen werde, aber dass es keine eigenen Flugzeuge im ukrainischen Luftraum und keine Truppen in dem Land geben wird.
Doch jeden Tag wächst angesichts der rücksichtlosen Bombardements der Truppen Putins der Druck auf die Nato, weitere Schritte zu erwägen. Sie würde zur Kriegspartei, wenn sie die von Selenskyj geforderte Flugverbotszone einrichtet. Zu ihrer Durchsetzung müsste der Nordatlantikpakt in den ukrainischen Luftraum eindringende russische Kampfflugzeuge abschießen. US-Außenminister Blinken erklärte, bei einem Besuch in der Republik Moldau, Washington arbeite mit Polen an einer Vereinbarung über die Lieferung von Kampfflugzeugen aus sowjetischer Zeit an die Ukraine. Medien hatten zuvor berichtet, im Gegenzug sollten F-16-Kampfjets nach Polen geliefert werden. Die polnische Regierung lehnt diesen Vorschlag ab, hieß es.
Die nukleare Bedrohung
Moskau warnt bereits, dass Luftunterstützung als Kriegseingriff gesehen werden könnte. Dass Putin vor einer Woche die Nuklearstreitkräfte in Alarmbereitschaft versetzt hat, ist mehr als eine Drohkulisse. Inzwischen hat der Westen gelernt, dass der russische Präsident meint, was er sagt. Putin hat gedroht, wenn sich der Westen einmische, werde es Konsequenzen gegeben, wie noch nie in der Geschichte. Es war als die Drohung verstanden worden, dass er zum Einsatz von Atomwaffen bereit ist.
Ein Öl- und Gasembargo?
Daher rücken weitere Sanktionen in den Fokus, denn trotz des Krieges beziehen Deutschland und viele weitere Staaten weiter Öl und Gas aus Russland. Sie füllen damit viele Millionen Euro Tag für Tag Putins Kriegskasse. Vor allem über die Ostseepipeline Nord Stream 1 fließt noch reichlich Gas. „Wie viele Menschen müssen sterben, bis wir aufhören, diesen Horror mit Öl und Gas zu finanzieren“, fragt etwa der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen mit Blick auf die schrecklichen Bilder aus Mariupol. Sieben russische Banken sind inzwischen von dem Banken-Kommunikationsnetzwerk Swift abgeschnitten, daher können Transaktionen de facto nicht mehr getätigt werden. Ausgenommen sind aber die größte russische Bank, die Sberbank, und die Gazprombrank, über sie laufen die meisten Bezahlungen von Öl- und Gaslieferungen. Werden auch sie vom Swift-Bann getroffen, könnten die Lieferungen nicht mehr bezahlt werden.
In Regierungskreisen wird jedoch von womöglich dann doppelt so hohen Gaspreisen gewarnt. Und ob das Putin stoppen würde, sei auch mehr als fraglich – er zieht vielmehr im Inland wie in der Ukraine die Eskalationsschraube an. Vor allem über die Ostseepipeline Nord Stream 1 fließt noch reichlich Gas, der frühere Leiter der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung, Ralf Fücks, fordert folgendes: „Wenn ein komplettes Embargo gegen russische Gaslieferungen zu massiven Problemen für die Energiesicherheit in Deutschland führe, weshalb lege man dann nicht als ersten Schritt Nord Stream 1 sofort still? Gazprom müsste dann via Ukraine liefern, mit entsprechenden Transiteinnahmen für die Ukraine - und eine Zerstörung dieser Pipelines würde Russland am Ende selbst treffen.
Die Deutsche Botschaft kontert die Russische Botschaft in Südafrika
Wie sich die Diplomatie auch der deutschen Seite in Kriegszeiten gerade verändert, zeigt ein Beispiel aus Südafrika. Die dortige russische Botschaft hatte sich bei Twitter für „zahlreiche Solidaritätsschreiben von Südafrikanern - sowohl Einzelpersonen wie Organisationen“ bedankt und betont: „Wir schätzen Ihre Unterstützung und sind froh, dass Sie heute an unserer Seite stehen, da Russland - wie vor 80 Jahren - den Nazismus in der Ukraine bekämpft.“
Die Deutsche Botschaft in der Hauptstadt Pretoria reagierte darauf mit folgendem Hinweis: „Sorry, aber da können wir nicht still bleiben, das ist einfach zu zynisch.“ Russland schlachte in der Ukraine Männer, Frauen und Kinder ab, das sei definitiv keine Nazi-Bekämpfung. „Schande auf jeden, der drauf reinfällt“, heißt es in der Reaktion, die mit einem Hinweis in Klammern endet: „Leider sind wir eine Art Experten, wenn es um Nazismus geht“. Der Büroleiter von Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt, Steffen Rülke, kommentierte diese ganz und gar undiplomatische Antwort wie folgt: „So geht Diplomatie in Zeiten wie diesen. Well done“. Aber als gäbe es nicht schon genug Probleme, sind er und Kanzleramtschef Schmidt nun auch noch in Corona-Isolation und müssen die Krise vorerst von daheim weiter managen, statt im Kanzleramt. Verstärkt wird es nun auch um die Verteilung der in Deutschland ankommenden Flüchtlinge gehen, Berlin fühlt sich bisher allein gelassen.
Eine gewisse Machtlosigkeit, auch im Kanzleramt
Es ist ein Dilemma auf allen Ebenen, auch im Kanzleramt kann keiner in Putins Kopf gucken. Der Krisenkanzler Scholz hat deutlich an Statur gewonnen, seine oft belächelte nüchterne Art hilft ihm in dieser historischen Zeitenwende, kühlen Kopf zu bewahren. Mit dem im kleinsten Kreis vorbereiteten Plan eines 100-Milliarden-Sondervermögens für die Bundeswehr hat er sogar die eigene Partei überrumpelt.
Der Kanzler ist in seinem Handeln auch geprägt von Helmut Schmidts Unterstützung des Nato-Doppelbeschlusses. Mit der Aufrüstung wurde damals die Sowjetunion finanziell und wirtschaftlich in die Knie gezwungen. Scholz hat verstanden, dass Putin so agiert, weil er den Westen in einem Moment der Schwäche wähnte. Doch gerade Putins verschärfte Kriegsführung kann weitere Millionen Menschen in die Flucht nach Europa treiben. Die Aussichten sind düster, es dominiert an diesem Wochenende die Hoffnung auf vielleicht doch eine Verhandlungslösung oder umfassende Feuerpause mit Hilfe Bennetts – oder auf einen Umsturz von innen in Moskau.