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Der ehemalige Außenminister und FDP-Chef bei der Präsentation seines Buches.
© REUTERS

Zum Tod von Guido Westerwelle: Der Verletzliche

Guido Westerwelle wollte eine Republik, in der Menschen wie er sich nicht verstecken müssen. Er meinte es ernst. Bis zum Schluss. Ein Nachruf

Das war also das letzte Bild: Dieser blasse Mann auf einem Stuhl auf einer kleinen Tribüne im Berliner Ensemble, der ein Buch vorstellt, das vom Sterben handelt und vom Leben. Er hat die Hand zum Herzen geführt, wenn er jemanden in dem kleinen Zuhörerkreis erkannte, weil es zu gefährlich war, fremde Hände zu drücken, das Immunsystem, er bat um Verständnis. Ein sehr intimes Bild war das, ganz ungewöhnlich für ihn. Guido Westerwelle hat in seinem politischen Leben so viele Bilder geboten, auf offenen Bühnen und in den Talkshows der Republik, immer wach, immer schnell, immer schlagfertig, oft witzig. Ein Kämpfer auch, der sich in Niederlagen nicht schickte.

Im letzten Bild ist all das noch zu erahnen. Aber unter den Kronleuchtern des holzgetäfelten Theaterraums sitzt einer, den die Leukämie aus der Mitte des Lebens gerissen hatte in einen Zustand „Zwischen zwei Leben“, wie er das Buch über seine Krankengeschichte genannt hat. „Und morgen beginnt ein neuer Tag“, hieß der letzte Satz. Westerwelle sollten nur noch wenige bleiben.

Ein manisch energischer Politiker

Vielleicht wäre es richtig, so wie er es zuletzt selbst tat, jetzt einfach nur über den Menschen zu erzählen. Den Politiker kennen ja alle noch, oder glauben es zumindest. Dabei war bei kaum einem wie bei dem Bonner Anwaltssohn das Politische so stark mit dem Biographischen verschränkt, das Engagement mit dem Seelenleben. Er hat Politik mit manischer Energie betrieben. Getrieben haben ihn dabei sehr oft die eigenen Dämonen.

Also zuerst die Biographie. Westerwelle wird 1961 geboren. Die Eltern trennen sich, er wächst beim Vater auf. Vom Gymnasium muss er zur Realschule wechseln, von da kämpft er sich zurück zum Gymnasium. Westerwelle hat den Moment selbst beschrieben. Er enthielt in der Nussschale das, was ihn antrieb. Auf der Realschule, erzählte er, hatten die Klassenkameraden das ganze Leben schon fertig vor Augen: zur Sparkasse, zur Polizei, ein Haus, Kinder. Ihm war das zu wenig. Auf dem Gymnasium traf ihn ein Schock: Die neuen Mitschüler, „die gingen zur Schule!“ Einfach in den Tag hinein, unglaublich – sorgenfreie Elitekinder!

Er hat zu denen nie gehört. Aber in einer Nische seiner selbst hat er sie beneidet um ihre Normalität. Er konnte nicht normal sein. Sein Schwulsein hat er offiziell versteckt, obwohl jeder davon wusste – nur dem Musterungsarzt hat er’s gesagt, was ihm den Wehrdienst ersparte. Erst als Angela Merkel ihren 50. Geburtstag feierte, saß auf einmal ein Mann neben dem Außenminister. Er schrieb Michael Mronz in dem letzten Buch eine Liebeserklärung auf. „Warum sollte ich die nicht machen?“, hat er im Theater ins Publikum gefragt. „Warum nicht?“ Er spürte, nein, es war immer noch nicht normal.

Anstrengung sollte sich lohnen

Zum persönlichen Kampf kam bald der politische. Westerwelle wuchs in die Nachbeben der 68er Studentenrevolte hinein. 1983 gründete er die Jungen Liberalen als Gegenprojekt gegen die Jungdemokraten. Die waren beim Protest dabei, eine linke Truppe. Die Julis trugen Schlips und Kragen. Als der FDP-Generalsekretär Westerwelle 1998 sein erstes Buch schrieb, wurde es nicht nur zur Absetzbewegung von Helmut Kohl, sondern nebenher zum Glaubensbekenntnis. „Von guten Menschen und Gutmenschen“ hieße eine Kapitelüberschrift, „Über Apos und Opas“ eine andere.

Der Kampf gegen eine vermeintliche Vorherrschaft linker Tabu-Setzer blieb prägend bis in seine letzten Tage als Politiker. Mit dem flotten Spruch von der „spätrömischen Dekadenz“ eines Landes, das ihn und seine FDP nicht mehr zu brauchen glaubte, schloss sich der Kreis. Er wollte immer und aufrichtig eine andere Republik, eine, in der Menschen wie er sich nicht verstecken mussten, und in der Anstrengung sich lohnt. Westerwelle, der Spaßpolitiker mit der „18“ auf den Schuhsohlen, meinte es ernst.

Vom "Projekt 18" zu immerhin 14,6 Prozent

Dieses „Projekt 18“ wurde seine erste harte Niederlage. 2001 zwang er Wolfgang Gerhardt zum Rückzug und erkämpfte sich so den FDP-Vorsitz. Angestachelt von Jürgen Möllemann, glaubte er die Zeit gekommen, nach den Sternen zu greifen. Der Wahlkampf als „Kanzlerkandidat“ im „Guidomobil“ endete im Schlamm der Oderflut mit 7,4 Prozent und einer persönlichen Katastrophe. Möllemann, auch ein großer Manischer in der Politik, stürzte sich ein Jahr später mit dem Fallschirm in den Tod, als die Staatsanwaltschaft einer illegalen Parteispende auf die Schliche kam.

Westerwelle war tief erschüttert und wochenlang von Selbstzweifeln geplagt. Er hatte dem Nordrhein-Westfalen in einer legendären Redeschlacht den Anspruch auf die „Kanzlerkandidatur“ abgerungen: „Auf jedem Schiff, das dampft und segelt, ist einer, der die Sache regelt – und das bin ich!“ Er hatte ihn nach der „Projekt 18“-Pleite kaltgestellt. Aber so hätte es niemals enden sollen. Guido Westerwelle war nie ein kalter Mensch, auch wenn er auf viele so wirkte in seiner schneidigen Art und mit dem ewigen „einfach, niedrig, gerecht“ – der Wunderwaffe Steuerreform.

Zwei Wahlen später schien er doch noch am Ziel. 2009 führte er die FDP mit 14,6 Prozent in den Bundestag, das beste Ergebnis aller Zeiten, der Weg zur kleinen Volkspartei. In den Tagen danach konnte man ihn beinahe fliegen sehen. Den Kern der Niederlage im Triumph übersah er. Statt des Finanzministeriums, des Steuerreformressorts, wählte er das Außenministerium für sich selbst. Das politische Ziehkind Hans-Dietrich Genschers wollte endlich aus dessen übergroßen Schatten treten. Genscher hat danach zwei Wochen lang versucht, ihn anzurufen. Das Ziehkind nahm nicht ab. Er wollte ab jetzt ganz alleine gehen, ganz ohne den alten Strippenzieher.

Westerwelle erzwang Enthaltung zu Libyen-Mandat

Als Außenminister folgte er trotzdem Genschers Spuren. Als die Staatengemeinschaft Libyen bombardieren wollte, erzwang er Deutschlands Stimmenthaltung im UN-Sicherheitsrat. Die Entscheidung trug ihm Kritik und Häme ein. Er hat sie bis zuletzt verteidigt. Manche Kritiker von damals geben ihm heute ganz heimlich recht.

Der Rest ist bekannt. Angela Merkel und Wolfgang Schäuble zermürbten den freidemokratischen Steuerreformplan. Die so lange ersehnte schwarz- gelbe Koalition wurde zur „Wildsau-“ und „Gurkentruppe“. Zu Merkel blieb sein Verhältnis trotzdem eng, viel enger als zu den meisten in der eigenen Partei, diesem chronischen Intrigantenhaufen. Sie beide waren gemeinsam aufgebrochen, das Land zu reformieren. Merkel gab 2005 das Reformieren auf, als die Wähler Nein sagten. Er nicht. Trotzdem blieb etwas von dieser Geschichte. Vielleicht war es die Fremdheit mit der alten, der scheingemütlichen Kohlschen Republik, die die CDU-Chefin und den Freidemokraten verbanden. Als sie den Schwerkranken besuchte, war er gerührt.

2011 zwang ihn die eigene Partei zum Rückzug. Der Mann, der sie zum größten Triumph geführt hatte, erschien vielen jetzt als Belastung. Die stürmischen Reden, das Gewitzel auf den Parteitagen, der weit ausholende Besserwisser-Gestus und das gereckte Kinn – auf einmal schien das alles nicht mehr zeitgemäß. Er kämpfte auch da noch mal, vergebens. Der Mann, der ihn ablöste und die FDP in eine krachende Niederlage führte, ist längst vergessen. Ob Westerwelle die Rückkehr seiner Partei in die Parlamente in Mainz und in Stuttgart noch bewusst erlebt hat?

Nach dem Rücktritt gings ums Private

Aber das alles zählte lange nicht mehr. Vorigen Sommer saß Guido Westerwelle in einer Talkshow. Er war abgetaucht nach dem Rücktritt. Jetzt saß da zu später Stunde ein braungebrannter Mann mit Drei-Tage-Bart und selbstironischem Lächeln. Es ging nicht wirklich um Politik, mehr ums Leben, und wer den Guido Westerwelle der jungen Tage erlebt hat, den Unbekümmerten, Frechen, der erkannte ihn auf einmal wieder. Was für ein schöner Moment – der Polit-Junkie hatte es hinter sich!

Die Zufallsdiagnose nach einem kleinen Laufunfall traf ihn wenig später. Die Geschichte seiner Krankheit hat er aufgeschrieben, seine Art, weiterzukämpfen. Es ist ein sehr ehrliches Buch geworden, das von Angst erzählt und von Schmerz. Nur ein bisschen Politik kommt im Rückblick vor – nicht mehr wichtig. Er hat das Leben geliebt und die Kunst, von der er etwas verstand, und seinen Mann. Wie hieß noch sein erstes Buch? „Neuland“. Vielleicht hat er es doch erreicht.

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